Vincristin: Tödliche Zwischenfälle nach versehentlicher intrathekaler Gabe (Aus der UAW-Datenbank)

Zu den Aufgaben der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ) gehören die Erfassung, Dokumentation und Bewertung von unerwünschten Arzneimittelwirkungen (UAW). Die AkdÄ möchte Sie regelmäßig über aktuelle Themen aus der Arbeit ihres UAW-Ausschusses informieren und hofft, Ihnen damit wertvolle Hinweise für den Praxisalltag geben zu können.

Vincristin ist ein Zytostatikum (Mitosehemmer) aus der Gruppe der Vinca-Alkaloide und ist unter anderem zur Kombinationstherapie der akuten lymphatischen Leukämie, des Hodgkin- und Non-Hodgkin-Lymphoms, des Mammakarzinoms, des kleinzelligen Bronchialkarzinoms und verschiedener Sarkome zugelassen. Es ist streng intravenös anzuwenden.

Im deutschen Spontanmeldesystem (gemeinsame Datenbank von BfArM und AkdÄ, Datenstand: 21.01.2005) sind 528 Verdachtsfälle unerwünschter Arzneimittelwirkungen nach Gabe von Vincristin erfasst. Erwartungsgemäß dominieren Meldungen über Blutbildveränderungen, neurologische und gastrointestinale Störungen sowie generalisierte Störungen wie Fieber oder verschlechterter Allgemeinzustand.

An dieser Stelle soll auf eine besondere Gefahr hingewiesen werden, die durch irrtümlich falsche Applikation, also einen nicht bestimmungsgemäßen Gebrauch, von Vincristin auftritt:

Einem 60-jährigen Patienten mit hochmalignem Non-Hodgkin-Lymphom wurden versehentlich 2 mg Vincristin intrathekal injiziert. Gleichzeitig erhielt er (in richtiger Anwendung) Cytarabin und Methotrexat intrathekal verabreicht. Der folgenschwere Fehler wurde frühzeitig bemerkt; obwohl sofort eine Spülung der Zerebrospinalflüssigkeit eingeleitet wurde, entwickelte sich bei dem Patienten ein aufsteigendes Querschnittssyndrom. Es traten ein akutes Nierenversagen sowie ein Anstieg der Leberwerte auf. Schließlich entwickelte sich eine Ateminsuffizienz, die eine Langzeitbeatmung erforderlich machte. Der Patient konnte nicht gerettet werden. Die Sektion ergab makroskopisch und mikroskopisch ausgedehnte Schädigungen des Rückenmarks und verschiedener Teile des Gehirns.

Das Problem ist seit langem bekannt. In den Fachinformationen wird deshalb ausdrücklich darauf hingewiesen, dass eine intrathekale Gabe tödlich sein kann und Vincristin daher auf keinen Fall auf diesem Weg appliziert werden darf. Bereits 1962 wurde über ein dem oben geschilderten Fall vergleichbares Ereignis berichtet (siehe bei 1). Insgesamt werden in einer Zusammenfassung 18 Fälle dargestellt (1). Vier Fälle, eingeschlossen der oben dargestellte, wurden einem der Hersteller des Wirkstoffes berichtet. Eine irrtümlich intrathekale Applikation von Vincristin scheint also nicht ganz selten zu sein. Im Hinblick auf den meist fatalen Ausgang ist dieser Gefahr besondere Aufmerksamkeit zu schenken.

Bitte teilen Sie der AkdÄ alle beobachteten Nebenwirkungen (auch Verdachtsfälle) mit. Sie können dafür den in regelmäßigen Abständen im Deutschen Ärzteblatt auf der vorletzten Umschlagseite abgedruckten Berichtsbogen verwenden oder diesen aus der AkdÄ-Internetpräsenz www.akdae.de abrufen.

Literatur

1. Dettmeyer R, Driever F, Becker A, Wiestler OD, Madea B: Fatal myeloencephalopathy due to accidental intrathecal vincristin administration: a report of two cases. Forensic Sci Int 2001; 122: 60-64.