Temozolomid-induzierte Alveolitis (Aus der UAW-Datenbank)

Deutsches Ärzteblatt, Jg. 107, Heft 12, 26.03.2010

Temozolomid (z. B. Temodal®) ist ein alkylierendes Zytostatikum und seit Ende der 1990er Jahre zugelassen für die Behandlung von Patienten mit erstmalig diagnostiziertem Glioblastoma multiforme, zunächst begleitend zur Radiotherapie und anschließend als Monotherapie in adjuvanten Zyklen. Die Zulassung schließt auch Patienten mit einem malignen Gliom (z. B. anaplastisches Astrozytom) ein, das nach Standardtherapie rezidivierte oder progredient war (1). Im Jahr 2008 wurden in Deutschland etwa 800.000 Tagesdosen (defined daily doses, DDD) von Temozolomid verordnet. Dabei ist in den letzten Jahren ein deutlicher Anstieg der Verordnungen zu verzeichnen (2). Die häufigsten unerwünschten Wirkungen von Temozolomid sind gastrointestinale Störungen (Obstipation, Übelkeit, Erbrechen) und Blutbildveränderungen. Häufig wird eine dauerhafte Müdigkeit von den Patienten geschildert. Es kann unter der Therapie zu juckenden Hautausschlägen sowie zu Haarausfall kommen. Im Rahmen der Lymphopenie bei längerer Einnahme werden selten atypische Pneumonien durch Pneumocystis jiroveci (früher P. carinii) beobachtet.

Der AkdÄ wurde der Fall einer 64-jährigen Patientin gemeldet (AkdÄ-Fall Nr. 149337), bei der im Jahr 2000 erstmalig ein Oligoastrozytom Grad II diagnostiziert wurde. Nach erfolgter Resektion kam es 2008 zum Rezidiv (histologischer Grad III). Es wurde erneut reseziert und eine Radiotherapie in Kombination mit Temozolomid eingeleitet. Nach Einnahme von Temozolomid über etwa drei Monate musste die Patientin mit einer zentralen Lungenembolie, die jedoch nicht massiv war, stationär aufgenommen werden. In den CT-Aufnahmen der Lunge zeigte sich zusätzlich eine basal betonte Alveolitis. Ergänzend wurde eine Bronchoskopie durchgeführt. In der bronchoalveolären Lavage war ein deutliches Überwiegen der Lymphozyten (74 %) festzustellen, was als Bestätigung der nichtbakteriellen Genese der Alveolitis gewertet wurde. Als ursächlich für die entzündlichen Veränderungen der Lunge (Pneumonitis) wurde die Gabe von Temozolomid angesehen. Wegen der subfebrilen Temperaturen der Patientin und erhöhten laborchemischen Entzündungszeichen wurde zusätzlich zu Steroiden eine antibiotische Therapie mit Ceftriaxon über acht Tage durchgeführt. Die Lungenembolie wurde mit niedermolekularem Heparin behandelt. Die Patientin konnte nach elf Tagen aus der stationären Behandlung entlassen werden. Über den weiteren Verlauf liegen keine Informationen vor.

In den Fachinformationen von Temozolomid sind Alveolitiden oder Pneumonitiden zwar bislang nicht als unerwünschte Arzneimittelwirkungen aufgeführt, jedoch findet man in der Literatur drei Fallberichte von Pneumonitiden im Zusammenhang mit Temozolomid (3–5). In der Datenbank des deutschen Spontanmeldesystems (gemeinsame Datenbank von BfArM und AkdÄ, Stand Februar 2010) sind 455 Verdachtsberichte über unerwünschte Arzneimittelreaktionen von Temozolomid erfasst. Die am häufigsten gemeldeten Reaktionen sind Leuko-, Thrombo- und Panzytopenie. Außer dem oben dargestellten Fall werden vier weitere Fälle von Pneumonitis berichtet, von denen einer auch als Fallbericht publiziert wurde (4). In einem der drei anderen Fälle werden außer Temozolomid zwei weitere Arzneimittel (Irinotecan und Dexamethason) als möglicherweise ursächlich für die Pneumonitis angegeben.

Vor dem Hintergrund der vorliegenden und teilweise publizierten Fallberichte kann davon ausgegangen werden, dass Temozolomid in seltenen Fällen ursächlich für eine Pneumonitis ist. Bei Patienten, die unter einer Behandlung mit diesem Arzneimittel klinische Symptome entwickeln, wie z. B. Dyspnoe oder unproduktiven Husten, oder die in den bildgebenden Verfahren entsprechende Befunde zeigen, sollte diese Differenzialdiagnose in Betracht gezogen werden. Um ein Fortschreiten der pulmonalen Schädigung zu verhindern, ist das Absetzen des ursächlichen Arzneimittels sowie ggf. eine Steroidtherapie erforderlich.

Bitte teilen Sie der AkdÄ alle beobachteten Nebenwirkungen (auch Verdachtsfälle) mit. Sie können dafür den Berichtsbogen verwenden, der regelmäßig im Deutschen Ärzteblatt abgedruckt wird oder über die Homepage der AkdÄ abrufbar ist. Es besteht auch die Möglichkeit, über www.akdae.de direkt online einen UAW-Verdachtsfall zu melden.

Literatur

  1. SP Europe Essex Pharma: Fachinformation Temodal® Hartkapseln. Stand: Juni 2009.
  2. Schwabe U, Paffrath D (Hrsg.): Arzneiverordnungs-Report 2009. Heidelberg: Springer Medizin Verlag, 2009.
  3. Guilleminault L, Carre P, Diot P: Hypersensitivity pneumonitis associated with temozolomide. Eur Respir J 2009; 34: 526.
  4. Koschel D, Handzhiev S, Leucht V et al.: Hypersensitivity pneumonitis associated with the use of temozolomide. Eur Respir J 2009; 33: 931–4.
  5. Maldonado F, Limper AH, Lim KG, Aubrey MC: Temozolomide-associated organizing pneumonitis. Mayo Clin Proc 2007; 82: 771–3.