Behandlung von Negativsymptomatik und kognitiven Beeinträchtigungen bei Erwachsenen mit Schizophrenie

Arzneiverordnung in der Praxis

Ausgabe 3/2022

Therapie aktuell

(Dieser Artikel wurde am 18. August 2022 vorab online veröffentlicht.)

Symptomatik, Verlauf und allgemeine Behandlungsprinzipien

Die Schizophrenie ist eine häufige (Lebenszeitprävalenz circa ein Prozent) und schwerwiegende psychische Erkrankung, die bei den meisten Betroffenen in der Jugend oder im frühen Erwachsenenalter (15. bis 25. Lebensjahr) beginnt, weswegen die Erkrankung besonders gravierende Auswirkungen auf die Lebensverwirklichung und die Teilhabe am Leben hat. Die genaue Ursache der Erkrankung ist unbekannt; genetische und andere biologische Faktoren spielen eine relevante Rolle. Schizophrene Erkrankungen äußern sich durch eine Vielzahl unterschiedlicher psychischer Symptome, sodass die Symptomatik vielgestaltig ist (1).

Am häufigsten verläuft die Schizophrenie schubweise, aber auch chronisch progrediente oder auf einem bestimmten Krankheitsniveau verharrende Verläufe kommen vor, ebenso weitgehende Restitutionen. Bei der häufigsten paranoiden Form dominieren im akuten Krankheitsschub psychotische Symptome das Krankheitsbild, also psychische Symptome, die mit einer Störung des Realitätsbezugs einhergehen. Besonders charakteristisch sind akustische Halluzinationen wie Stimmenhören oder Akoasmen (akustische Primitivgeräusche), Verfolgungswahn und sogenannte Ich-Störungen (Störungen der Ich-Umwelt-Grenze, zum Beispiel in Form von Gedankenentzug, Gedankeneingebung oder anderen Fremdbeeinflussungserlebnissen). Diese psychotischen Symptome im akuten Krankheitsschub werden auch Positivsymptomatik genannt (1).

Bei einem relevanten Teil der Betroffenen kommt es im Laufe der Erkrankung zu einer zunehmenden Ausprägung von sogenannter Negativsymptomatik, die insbesondere zwischen den Krankheitsschüben das Krankheitsbild dominiert. Beim klassischen schubförmigen Verlauf bleibt nach jedem Krankheitsschub ein größeres Ausmaß an Negativsymptomatik (auch Residualsymptomatik genannt) zurück. Hierunter wird ein Verlust von früher vorhandenen psychischen Fähigkeiten und Kompetenzen verstanden, unter anderem ein Verlust von Antrieb und Intentionalität (zielgerichtete Lebensführung), ein Verlust früherer Interessen, Aktivitäten und sozialer Kontakte, was dazu führt, dass viele Erkrankte auf kontinuierliche psychosoziale Unterstützung und Hilfe angewiesen sind.

Auch kognitive Fähigkeiten gehen verloren, weshalb kognitive Beeinträchtigungen bei Erwachsenen mit Schizophrenie in der Regel zur sogenannten Negativsymptomatik der Schizophrenie gezählt werden. Die Beeinträchtigungen können weite Bereiche der kognitiven Fähigkeiten betreffen, so die Aufmerksamkeit (selektive und geteilte) und die Daueraufmerksamkeit, die Verarbeitungsgeschwindigkeit, das Arbeitsgedächtnis (verbal und visuell), Lernen und Gedächtnis (verbal und visuell) und sogenannte exekutive Funktionen wie Inhibitionskontrolle, Planen und Problemlösen sowie Funktionen der sozialen Kognition.

Die Negativsymptomatik entscheidet stärker als die Positivsymptomatik über langfristige krankheitsbedingte Einschränkungen und darüber, wie weit die Krankheit zum alles bestimmenden Schicksal für den oder die Patient/in wird. Dementsprechend kommt der Behandlung der Negativsymptomatik eine herausragende Bedeutung zu. Leider ist die therapeutische Beeinflussbarkeit von Negativsymptomatik häufig gering. Insgesamt ist die Behandlung der Negativsymptomatik nur in unbefriedigendem Ausmaß möglich. Die S3-Leitlinie Schizophrenie (2) schreibt hierzu: „für die primären Negativsymptome als Kernsymptomkomplex der Schizophrenie gibt es jedoch nur wenige überzeugende pharmakologische, psychosoziale oder andere Behandlungsoptionen.“. Umso mehr kommt es auf ein abgestimmtes Ausschöpfen aller zur Verfügung stehenden Therapieoptionen an.

Behandlung

Bei den meisten erkrankten Menschen ist eine Langzeitbehandlung erforderlich, die pharmakologische und nicht-pharmakologische Therapien umfasst. Hierbei werden nach dem geltenden Behandlungsstandard und der Versorgungspraxis in der Regel verschiedene Ziele gleichzeitig verfolgt. Die übliche, dem Behandlungsstandard und der gültigen S3-Leitlinie Schizophrenie (2) entsprechende Therapie ist multimodal und zielt synergistisch darauf ab, Positivsymptomatik oder Positivrestsymptomatik zu reduzieren, Negativsymptomatik zu verringern, eine Prophylaxe vor neuen Krankheitsschüben zu bewirken sowie die psychosoziale Integration, die Selbstständigkeit und die Lebensqualität der Betroffenen und deren Teilhabe am sozialen Leben zu verbessern.

Nicht-pharmakologische Behandlung von Negativsymptomatik

Nicht-pharmakologische Behandlungen umfassen psychotherapeutische und psychosoziale Interventionen. Angesichts der bei den meisten Patientinnen und Patienten sehr geringen Wirksamkeit der Pharmakotherapie auf Negativsymptomatik kommt diesen Interventionen zur Behandlung von Negativsymptomatik ein besonders hoher Stellenwert zu. Diese Einschätzung ist in Übereinstimmung mit dem Behandlungsstandard und der S3-Leitlinie Schizophrenie, jedoch nicht in durchgehender Übereinstimmung mit der Versorgungspraxis. Schizophren erkrankte Menschen befinden sich nur äußerst selten in ambulanter Psychotherapie und erhalten diese vorrangig während stationärer oder tagesklinischer Behandlung oder eventuell bei ambulanter Behandlung in einer Psychiatrischen Institutsambulanz (PIA). Psychotherapie kann einzeln oder in Gruppe stattfinden.

Die psychosoziale Versorgung ist in Deutschland im internationalen Vergleich gut ausgebaut, sodass zumindest ein bedeutender Teil schizophren erkrankter Menschen psychosoziale Unterstützung zum Beispiel in den Bereichen Tagesgestaltung, Alltag, Selbstfürsorge, Aktivitäten, soziale Kontakte, Arbeit, Finanzen und Gesundheitssorge erhält, mit dem Ziel der Verbesserung von Integration und sozialem Funktionsniveau.

Zur Behandlung kognitiver Beeinträchtigungen sind Strategien geeignet, die die Selbstständigkeit der Betroffenen fördern und kognitive Fähigkeiten trainieren, insbesondere Ergotherapie, Arbeitstherapie, Training sozialer Fertigkeiten und gezieltes kognitives Training. Letzteres zielt speziell auf die Verbesserung kognitiver Prozesse wie Aufmerksamkeit, Gedächtnis, exekutive Funktionen, soziale Kognition und Metakognitionen. Diesbezügliche therapeutische Strategien werden unter dem Begriff der kognitiven Remediation zusammengefasst und stellen trainingsbasierte Intervention dar, die häufig am Computer durchgeführt werden. Es gibt verschiedene Ansätze, die sich inhaltlich erheblich unterscheiden. Nach der S3-Leitlinie Schizophrenie führt kognitive Remediation zu deutlichen Verbesserungen mit mittleren bis großen Effektstärken in den jeweils angezielten basal-kognitiven (z. B. 95 % Konfidenzintervall [CI] 0,1 bis 1,2) oder sozial-kognitiven Funktionsbereichen mit Effekten, die auch über das Therapieende hinaus andauern (95 % CI 0,18 bis 0,67). Entsprechend empfiehlt die S3-Leitlinie mit dem Empfehlungsgrad A kognitive Remediation bei schizophren erkrankten Menschen mit Beeinträchtigungen von kognitiven Prozessen. Diese Empfehlung entspricht der wissenschaftlichen Evidenz und dem Behandlungsstandard, aber kaum der Versorgungspraxis, da nur die wenigsten betroffenen Menschen kognitive Remediation erhalten, am ehesten noch während Klinikaufenthalten. Eine länger angelegte ambulante Behandlung wäre aber erfolgversprechender, wenngleich zu Dauer, Umfang, Frequenz und spezifischen Inhalten der kognitiven Remediation keine übereinstimmenden Behandlungsstandards existieren.

Pharmakotherapie von Negativsymptomatik

Im Zentrum der Pharmakotherapie der Schizophrenie stehen Arzneimittel aus der Gruppe der Neuroleptika (Antipsychotika). Diese haben häufig eine gute Wirksamkeit auf die Positivsymptomatik, jedoch nur sehr gering auf die Negativsymptomatik. Die geringe Wirkung gilt auch für kognitive Beeinträchtigungen.

Am ehesten konnte für Neuroleptika aus der Gruppe der sogenannten atypischen Neuroleptika (Antipsychotika der zweiten Generation) eine gewisse Wirkung auf die Negativsymptomatik gefunden werden. Diese stellt sich metaanalytisch im Vergleich zu Placebo zwar immerhin mit einer kleinen Effektstärke (standardisierte Mittelwertdifferenz von 0,35 (95 % CI 0,31; 0,40) dar (3), kann im klinischen Alltag häufig aber nicht überzeugend beobachtet werden. Die S3-Leitlinie Schizophrenie benennt, dass verschiedene Metaanalysen widersprüchliche Ergebnisse erbrachten, welche atypischen Neuroleptika zur Behandlung von Negativsymptomatik zu bevorzugen sind. Mit einer B-Empfehlung spricht sich die S3-Leitlinie bei dominanter Negativsymptomatik für den Einsatz der atypischen Neuroleptika Amisulprid oder Olanzapin aus. Im Behandlungsalltag werden in dieser Situation auch die atypischen Neuroleptika Aripiprazol und Cariprazin verwendet (letzteres wurde in der S3-Leitlinie noch nicht systematisch berücksichtigt, da relevante Studien erst nach Redaktionsschluss erschienen).

Die Auswahl des konkreten Arzneimittels innerhalb der Gruppe der atypischen Antipsychotika richtet sich neben individuellen Vorerfahrungen und Wunsch der Patientin oder des Patienten überwiegend nach dem Nebenwirkungsprofil. Hierbei wird vorrangig nach einem Ausschlussverfahren vorgegangen. Tabelle 1 bietet eine Übersicht dazu.

Mit einer B-Empfehlung spricht sich die S3-Leitlinie für den zusätzlichen Einsatz von Antidepressiva aus, wenn eine neuroleptische Monotherapie unzureichende Effekte auf Negativsymptomatik hat. Auch wenn die S3-Leitlinie dies nicht im Detail ausführt, ist zu unterstellen, dass bei dieser Empfehlung vor allem Antriebs- und Affektstörungen als Teil der Negativsymptomatik, nicht aber vorrangig kognitive Beeinträchtigungen gemeint sind.

Bei unzureichendem Ansprechen sind aber vorrangig die nicht-pharmakologischen Maßnahmen (siehe oben) zu intensivieren. In der klinischen Praxis werden in diesem Fall auch häufig atypische Neuroleptika kombiniert. Hierfür gibt es aber kaum positive Evidenz, dieses Vorgehen ist auch nicht leitliniengemäß und führt nur selten zu sichtbaren Erfolgen.

Pharmakotherapie kognitiver Beeinträchtigungen

Es liegen kaum methodisch akzeptable Studien zur pharmakologischen Behandlung kognitiver Beeinträchtigungen als primärem Endpunkt vor. Die S3-Leitlinie Schizophrenie weist ferner zu Recht auf Folgendes hin: „Inwiefern eine antipsychotische Behandlung einen direkten Effekt auf kognitive Symptome hat, oder ob die beschriebenen prokognitiven Effekte nicht sekundäre Effekte der Reduktion des psychotischen Erlebens sind, wird diskutiert.“ Soweit vergleichende Studien oder Netzwerk-Metaanalysen vorliegen, ergeben diese widersprüchliche Befunde zum Vergleich verschiedener Neuroleptika miteinander bezüglich der Besserung kognitiver Beeinträchtigungen.

In der Versorgungspraxis und nach dem akzeptierten Behandlungsstandard werden zur medikamentösen Behandlung kognitiver Beeinträchtigungen die gleichen pharmakologischen Prinzipien angewandt, wie oben allgemein zur Behandlung von Negativsymptomatik erläutert. Im klinischen Behandlungsalltag sind aber zumeist keine eindeutigen Effekte auf kognitive Beeinträchtigungen zu beobachten. In diesem Zusammenhang ist zu berücksichtigen, dass Neuroleptika ‒ auch atypische Neuroleptika ‒ ihrerseits wiederum im Sinne unerwünschter Arzneimittelwirkungen kognitive Fähigkeiten verschlechtern können.

Zusammenfassung

Die Behandlung schizophrener Erkrankungen erfordert nach dem allgemein akzeptierten Behandlungsstandard und der wissenschaftlichen Evidenz bei der großen Mehrzahl der Betroffenen eine neuroleptische Pharmakotherapie. Von dieser, zumindest beim Einsatz atypischer Neuroleptika, können eventuell auch minimale therapeutische Effekte auf kognitive Beeinträchtigungen und andere Negativsymptome erwartet werden. Neuroleptische Medikation, vorrangig mit atypischen Neuroleptika, entspricht auch der weitverbreiteten Versorgungspraxis in Deutschland.

Dem Behandlungsstandard und der wissenschaftlichen Evidenz entspricht es ferner, die neuroleptische Medikation mit psychotherapeutischen und psychosozialen Interventionen zu kombinieren. Diese Interventionen verbessern stärker die Negativsymptomatik einschließlich kognitiver Beeinträchtigungen als eine Pharmakotherapie. Die Versorgungspraxis in Deutschland ist, dass psychosoziale Maßnahmen (zumindest im internationalen Vergleich) gut verfügbar sind und im Behandlungsalltag auch einem Großteil der Betroffenen in unterschiedlichem Ausmaß zugutekommen. Psychotherapeutische Behandlung hingegen, insbesondere die von der S3-Leitlinie Schizophrenie mit dem Empfehlungsgrad A empfohlene kognitive Verhaltenstherapie, wird in der Versorgungspraxis schizophren erkrankter Menschen kaum angeboten, insbesondere nicht im ambulanten Rahmen.

Zur gezielten Behandlung kognitiver Beeinträchtigungen im Rahmen einer schizophrenen Erkrankung sind Strategien, die unter dem Begriff der kognitiven Remediation zusammengefasst werden, wissenschaftlich als wirksam belegt und entsprechen dem Behandlungsstandard, zumindest, wenn die gültige deutsche S3-Leitlinie zugrunde gelegt wird. In der Versorgungspraxis kommen diese Strategien aber nur den wenigsten Betroffenen zugute, am ehesten noch während stationärer Behandlung in psychiatrischen Abteilungen oder Kliniken.

Literatur

  1. Bschor T, Grüner S: Psychiatrie fast. 5. Auflage; Grünwald: Börm Bruckmeier Verlag, 2019.
  2. Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde e. V. (DGPPN) (Hrsg.) für die Leitliniengruppe: S3-Leitlinie Schizophrenie: www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/038-009.html (letzter Zugriff: 14. Februar 2022). AWMF-Register-Nummer: 038-009; Langfassung, Version 1.0; Stand: 15. März 2019.
  3. Leucht S, Leucht C, Huhn M et al.: Sixty years of placebo-controlled antipsychotic drug trials in acute schizophrenia: systematic review, bayesian meta-analysis, and meta-regression of efficacy predictors. Am J Psychiatr 2017; 174: 927-942.

Interessenkonflikte

Der Autor erklärt, keine Interessenkonflikte zu haben.