Bluthochdruck: Immer niedriger – immer besser für die Patienten?

Arzneiverordnung in der Praxis

Ausgabe 3/2019

Autor

Ein aktueller Kommentar von Haase et al. im British Medical Journal (1) beschäftigt sich mit dieser Frage. Das NICE (National Institute for Health and Care Excellence) hat einen Entwurf für eine Aktualisierung seiner Leitlinie zur Diagnostik und Therapie des Bluthochdrucks bei Erwachsenen vorgelegt (2). In diesem Update wird vorgeschlagen, Patienten mit einer Hypertonie Grad I (140–149/90–99 mmHg) bereits dann – auch medikamentös – zu behandeln, wenn ihr kardiovaskuläres 10-Jahres-Risiko über 10 % beträgt und nicht wie bisher über 20 %. Dadurch würde die Behandlungsindikation erheblich erweitert. Dies entspricht ganz der zunehmenden Tendenz der modernen Medizin, neue behandlungsbedürftige Krankheiten zu erkennen oder bestehende Behandlungsindikationen auszuweiten.

2017 hat eine internationale Arbeitsgruppe Kriterien erarbeitet, die insbesondere letzteres rechtfertigen können, und diese in einer Checkliste zusammengefasst (3). Das Ziel war die Vermeidung von Überdiagnosen. Wird diese Checkliste (siehe unten) angewandt, sieht das geplante Update der NICE-Leitlinie zur Hypertoniebehandlung schlecht aus:

  • Nur ein Punkt dieser Checkliste wurde hinreichend erfüllt: Definition der Unterschiede zwischen neuer und alter Leitlinie.
  • Ein Punkt wurde nicht ausreichend gewürdigt: die Gründe für die Änderung.
  • Nur zwei mögliche Nachteile einer niedrigeren Blutdruckeinstellung wurden genannt: Verletzungen durch Stürze und akutes Nierenversagen. Psychische Probleme der Patienten mit der Diagnose wurden gar nicht berücksichtigt ebenso wenig wie Hypotonie, Synkopen und Elektrolytstörungen.
  • Wünsche und Werte der Patienten werden nicht genügend gewürdigt. Diese sollen zwar beim Patienten erfragt werden, aber wie soll das geschehen? Welchen Einfluss sollen sie dann auf die Behandlung haben?
  • Warum wurde die Grenze bei 10 % kardiovaskuläres Risiko gesetzt?

Checkliste zur Änderung von Krankheitsdefinitionen (nach (3))


Fazit für die Praxis

Es gibt keine strikte Grenze zwischen zu niedrigem, normalem oder zu hohem Blutdruck. Vielmehr ist der Blutdruck ein Kontinuum, das zusammen mit anderen Risikofaktoren das kardiovaskuläre Risiko bestimmt. Warum eine Erweiterung der Indikation zur Behandlung des Bluthochdrucks erfolgen sollte, wird nach Ansicht der Autoren des Kommentars im BMJ nicht schlüssig belegt.

Interessenkonflikte

Ein Interessenkonflikt wird vom Autor verneint.

Literatur
  1. Haase CB, Gyuricza JV, Brodersen J: New hypertension guidance risks overdiagnosis and overtreatment. BMJ 2019; 365: 1657.
  2. National Institute for Health and Care Excellence. Guideline hypertension in adults: diagnosis and management: www.nice.org.uk/guidance/GID-NG10054/documents/draft-guideline (letzter Zugriff: 24. Juni 2019). Draft for consultation, March 2019.
  3. Doust J, Vandvik PO, Qaseem A et al.: Guidance for modifying the definition of diseases: a checklist. JAMA Intern Med 2017; 177: 1020-1025.
  4. Guyatt GH, Oxman AD, Vist GE et al: GRADE Working Group. GRADE: an emerging consensus on rating quality of evidence and strength of recommendations. BMJ 2008; 336: 924-926.

vorab online

Dieser Artikel wurde am 1. Juli 2019 vorab online veröffentlicht.