SPRINT – kein Anlass zur Eile ohne Sorgfalt

Arzneiverordnung in der Praxis

Ausgabe 1/2016

Autor

Zusammenfassung

In der SPRINT-Studie (1) wurden 9361 Patienten (Alter über 50 Jahre) mit einem erhöhten kardiovaskulären Risiko ohne Diabetes und ohne Schlaganfall mit einem Blutdruck über 130 mmHg einfach randomisiert mit einem Zielblutdruck < 120 mmHg oder < 140 mmHg systolisch medikamentös eingestellt. Die Studie wurde wegen deutlicher Überlegenheit beim primären Endpunkt für die Patienten mit dem intensiver gesenkten Zielblutdruck abgebrochen. Mögliche Konsequenzen für die antihypertensive Therapie werden diskutiert.

Abstract

In the SPRINT study (1) 9361 patients (age > 50 years) with an increased cardiovascular risk but without diabetes or a history of previous stroke were randomly assigned to a systolic target blood pressure of less than 120 mmHg or less than 140 mmHg. The intervention was stopped early because of significantly lower rate of the primary composite outcome in the intensive-treatment group. Possible consequences are discussed.

Es vergeht zurzeit kein Tag, an dem Medien uns nicht mit Ergebnissen des Systolic Blood Pressure Intervention Trial (SPRINT) (1) konfrontieren. Anlass zu überstürzten Reaktionen gibt es nicht, auch wenn die Studie einmal zu den Meilensteinen der Hochdruckforschung gehören wird.

Blutdruck, Blutzucker und Lipide gehören zu den physiologischen Messgrößen, die, wenn sie erhöht sind, Krankheit und vorzeitigen Tod bewirken können. Dies hat glücklicherweise zur Entdeckung hoch wirksamer und im Mittel gut verträglicher Medikamente geführt, mit denen wir die genannten Parameter inzwischen in einen nahezu beliebig niedrigen Bereich senken können. Wo aber das Optimum liegt, wissen wir nicht. Dies gilt nicht nur für Ältere und Patienten mit vorgeschädigtem Gefäßsystem.

Beim Blutdruck sind wir uns sicher, dass wir es mit einem J-Phänomen zu tun haben. Das Krankheitsrisiko steigt wieder an, wenn eine bisher nur unsicher bestimmte Blutdruckhöhe unterschritten wird. Dies zeigt sich in epidemiologischen Untersuchungen und in klinischen Studien. Banach und Aronov (2) stellten 2012 die Daten aus 24, ganz überwiegend interventiven Studien zusammen. Im ungewichteten Mittel lag der Fußpunkt des J bei einem systolischen Druck um 125 mmHg und einem diastolischen um 75 mmHg. Dieses Ergebnis ist allerdings mit einer Vielzahl von Unsicherheiten behaftet: Post-hoc-Analysen, geringe Fallzahlen im unteren Blutdruckbereich, Komorbiditäten der Patienten, Anwendung bestimmter, teilweise älterer Antihypertensiva, differierende Blutdruckmesstechniken.

Nur wenige Studien haben sich bisher direkt der Frage zugewandt, welche Blutdruckwerte therapeutisch angestrebt werden sollten. Hierzu gehören die Hypertension Optimal Treatment Studie (HOT) (3) für die Höhe des diastolischen Blutdrucks, die Action to Controle Cardiovascular Risk in Diabetes Studie (ACCORD) (4) für die Höhe des systolischen Drucks bei Diabetikern und die Secondary Prevention of Small Subcortical Strokes Studie (SPS3) (5) für die Höhe des systolischen Drucks bei Patienten nach Schlaganfall. Jeweils wurde die Häufigkeit harter kardiovaskulärer Endpunkte oder Tod nach Anstreben unterschiedlicher Zielblutdrucke miteinander verglichen.

In SPRINT wurden weder Patienten mit Diabetes mellitus noch solche nach erlittenem Schlaganfall aufgenommen. Dennoch war das kardiovaskuläre Risiko bei den 9361 Studienteilnehmern deutlich erhöht. Alle waren über 50 Jahre alt, 28 % sogar 75 Jahre und älter. Die Patienten litten entweder an einer kardiovaskulären Erkrankung oder an einer Nierenkrankheit oder hatten nach Framingham-Score ein hohes kardiovaskuläres Risiko. Der Anteil von Männern betrug rund zwei Drittel, der von Schwarzen rund ein Drittel. Der Statin- und ASS-Gebrauch war mit 43,6 % bzw. 51 % hoch.

Bei Studienbeginn lag der Blutdruck im Mittel bei 139,7 mmHg / 78,1 mmHg, ohne oder mit antihypertensiver Behandlung. Zugrunde gelegt wurden Mittelwerte aus drei Messungen mit einem Automaten im Sitzen nach fünf Minuten Ruhe.

Nach Randomisierung wurde für die eine Hälfte der Patienten ein systolischer Zieldruck von unter 140 mmHg vorgegeben, für die andere von unter 120 mmHg. Die vom National Heart, Lung und Blood Institut und anderen US-nationalen Institutionen gesponserte Studie war auf fünf Jahre angelegt. Nach einer mittleren Laufzeit von 3,26 Jahren wurde sie bereits beendet, da sich an zwei aufeinanderfolgenden Kontrollterminen ein signifikanter Vorteil intensiverer Blutdrucksenkung gezeigt hatte.

Die mittleren Blutdruckwerte in den beiden Therapiearmen divergierten sehr bald nach Studienbeginn. Bereits nach einem Jahr betrugen sie in der intensiver behandelten Patientengruppe 136,2 mmHg / 76,3 mmHg, in der anderen 121,4 mmHg / 68,7 mmHg. Vertreter aller Antihypertensivagruppen wurden eingesetzt: am häufigsten ACE-Hemmer und Angiotensinrezeptorantagonisten, Diuretika und Kalziumantagonisten, seltener Alpha-1-Blocker, Aldosteronantagonisten, direkte Vasodilatatoren und zentral wirkende Substanzen. Diese Rangfolge war in beiden Therapiearmen gleich, allerdings wurden pro Patient bei niedrigerem Zielblutdruck im Mittel 2,7 verschiedene Antihypertensiva verwendet, bei dem höheren nur 1,8.

Primärer Studienendpunkt war das erste Auftreten eines Herzinfarktes oder eines anderen akuten Koronarsyndroms oder eines Schlaganfalls oder einer Herzinsuffizienz oder Tod aus kardiovaskulärer Ursache.

Durch intensivere Behandlung sank das Risiko eines primären Endpunktes über 3,26 Jahre relativ um 25 % (RRR), absolut um 1,6 % (ARR; weitere Einzelheiten und Umrechnungen siehe Tabelle1). Die im primären Endpunkt genannten Ereignisse wurden neben anderen als sekundäre Endpunkte aufgeschlüsselt. Der Therapieerfolg zeigte sich vor allem im Vermeiden einer Herzinsuffizienz und eines kardiovaskulären Todes. Aber auch die Gesamtmortalität sank (einer der sekundären Endpunkte, RRR 27 %, ARR 1,2 %), wenngleich einige Todesursachen als nicht klassifiziert bezeichnet werden.

Tabelle 1: Zusammenstellung der Daten aus SPRINT

Beim primären Endpunkt ergab sich in vorspezifizierten Subgruppen keine signifikante Abhängigkeit der Wirksamkeitsunterschiede intensiverer und weniger intensiver Therapie von Alter, Geschlecht, Rasse, Blutdruckhöhe, vorbestehender Herz-Kreislauf- oder Nierenerkrankung. Deskriptiv auffällig ist eine besonders deutliche Risikoreduktion bei über 74-Jährigen (RRR 33 %, ARR 3,2 %) und Männern (RRR 28 %, ARR 2,2 %). Die Gesamtmortalität wurde lediglich bei nicht-afrikanischen Amerikanern (RRR 36 %, ARR 1,7 %) gesenkt.

Schwerwiegende unerwünschte Ereignisse (SUE) traten bei mehr als einem Drittel der Patienten auf, summarisch ohne Unterschied zwischen den intensiv Behandelten (38,3 %) und den Patienten mit Standardbehandlung (37,1 %). Die Aufschlüsselung zeigt aber signifikant häufiger akute Nierenschäden oder akutes Nierenversagen, Hypotonien, Elektrolytstörungen und Synkopen bei Zielblutdruckwerten von < 120 mmHg im Vergleich zum höheren Zielwert. Knapp 10 % der SUE wurden als definitiv oder möglicherweise interventionsbedingt klassifiziert. Hierbei tritt nun ein signifikanter Unterschied zwischen den Behandlungsarmen zutage. Die Möglichkeit von Nierenschäden durch eine stärkere Blutdrucksenkung stieg auf das Dreifache, von Hypotonien und Synkopen auf mehr als das Zweifache. Die aus den interventionsbezogenen SUE errechenbare Number needed to harm (NNH) liegt mit 149 pro Jahr unter der Number needed to treat (NNT) zur Vermeidung eines primären Endpunktes mit 185 pro Jahr. Legt man allerdings nicht nur das erste Auftreten einer der oben genannten kardiovaskulären Komplikationen, sondern die Zahl aller derartigen Komplikationen einschließlich aller Todesfälle zugrunde, ergibt sich eine NNT von 128.

Fazit

Bei über 50-jährigen Patienten mit erhöhtem kardiovaskulärem Risiko ohne Diabetes und ohne erlittenem Schlaganfall können mit dem Einsatz moderner Antihypertensiva kardiovaskuläre Komplikationen durch eine Blutdrucksenkung auf Werte um 120 mmHg besser vermieden werden als durch eine Senkung auf Werte um 135 mmHg. Auch die Gesamtmortalität sinkt. In der Regel müssen hierfür mehr als zwei unterschiedliche Substanzen eingesetzt werden. Die behandlungsbedingten Häufigkeitsdifferenzen schwerwiegender, wahrscheinlich therapiebedingter unerwünschter Ereignisse liegen in der Größenordnung vermiedener kardiovaskulärer Komplikationen. Dies bedeutet, dass für die intensivierte Therapie die Patienten sorgfältig ausgewählt, gut aufgeklärt und intensiv überwacht werden müssen.

Interessenkonflikte

Ein Interessenkonflikt wird von den Autoren verneint.

Literatur
  1. SPRINT Research Group, Wright JT, Williamson JD et al.: A randomized trial of intensive versus standard blood-pressure control (inkl. Suppl. Material). S. N Engl J Med 2015; 373: 2103-2116.
  2. Banach M, Aronow WS: Blood pressure j-curve: current concepts. Curr Hypertens Rep 2012; 14: 556-566.
  3. Hansson L, Zanchetti A, Carruthers SG et al.: Effects of intensive blood-pressure lowering and low-dose aspirin in patients with hypertension: principal results of the Hypertension Optimal Treatment (HOT) randomised trial. HOT Study Group. Lancet 1998; 351: 1755-1762.
  4. ACCORD Study Group, Cushman WC, Evans GW et al.: Effects of intensive blood-pressure control in type 2 diabetes mellitus. N Engl J Med 2010; 362: 1575-1585.
  5. SPS3 Study Group, Benavente OR, Coffey CS et al.: Blood-pressure targets in patients with recent lacunar stroke: the SPS3 randomised trial. Lancet 2013; 382: 507-515.