Idarucizumab zur Normalisierung der Gerinnung nach Gabe von Dabigatran

Arzneiverordnung in der Praxis

Ausgabe 1/2016

Autor

Zusammenfassung

Idarucizumab, ein Antikörper gegen Dabigatran, konnte in einer kleinen Gruppe (n = 90) akut blutender Patienten oder bei Patienten, die notfallmäßig operiert werden mussten, die Wirkung des Antikoagulans wirksam antagonisieren.

Abstract

Idarucizumab, an antibody against Dabigatran, was able to antagonise the anticoagulant activity of this substance in 90 patients with either serious bleeding or in need for urgent surgery or intervention.

Bekanntlich ist die Einstellung eines thrombose- und emboliegefährdeten Menschen auf Phenprocoumon (Marcumar®) aufwändig, schwankend und unsicher. Wer jahrzehntelang „Marcumar®-Pässe“ ausgefüllt oder gar mit einem Menschen, der auf Marcumar® eingestellt war, zusammenlebte, weiß davon zu berichten. Das Spontanerfassungssystem von UAW ist voll von Meldungen über Blutungen unter Marcumar®. Insofern war die Begeisterung groß, als Mittel aufkamen, die die Blutgerinnung herabsetzen, nicht durch Nahrungsmittel in ihrer Wirkung beeinflusst werden und ohne Kontrollen zu dosieren sind. Inzwischen sind der Thrombinhemmer Dabigatran (Pradaxa®) und die Faktor-Xa-Hemmer Apixaban (Eliquis®), Rivaroxaban (Xarelto®) und Edoxaban (Lixiana®) auf dem Markt.

Als großer Nachteil dieser Substanzen wird angesehen, dass ihre Wirkung nicht durch ein Antidot schlagartig unterbrochen und nicht durch standardisierte Tests leicht überprüft werden kann, wie das beim Marcumar® der Fall ist. Es ist folgerichtig, dass sich die pharmazeutische Industrie bemühte, diesen Mangel auszugleichen. Mit Idarucizumab scheint nun für Dabigatran ein erster Schritt in diese Richtung gelungen zu sein.

In einer von Boehringer Ingelheim finanzierten Studie (1) wurde diese Substanz untersucht. Es handelt sich um das Fragment eines monoklonalen Antikörpers mit hoher Bindungsaffinität zu Dabigatran. Bei freiwilligen Versuchspersonen konnte nachgewiesen werden, dass Idarucizumab Dabigatran im Plasma neutralisiert. Nach diesen Vorstudien wurde eine multizentrische prospektive Untersuchung gestartet. Es wurden zwei Gruppen von Patienten unter Dabigatran untersucht:

(a) 51 Patienten mit lebensbedrohlichen Blutungen,

(b) 39 Patienten, bei denen lebenserhaltende chirurgische Eingriffe erforderlich waren, die keine acht Stunden aufgeschoben werden konnten.

Die Patienten erhielten 5 g Idarucizumab i.v. In der überwiegenden Mehrzahl waren es alte Patienten, die Dabigatran zur Thromboembolieprophylaxe bei Vorhofflimmern erhalten hatten. Bei den Blutungen handelte es sich hauptsächlich um intrakranielle und gastrointestinale Blutungen. Bei 68 % der Patienten konnte nach der Gabe von Idarucizumab die Prothrombinzeit und bei 81 % die Ecarin-Gerinnungszeit mit dem Ausgangswert verglichen werden. Die Testergebnisse waren innerhalb von Minuten bei 88 % bzw. 98 % der Patienten normalisiert. Ebenso sanken die Plasmaspiegel des Dagibatran kurz nach der Infusion auf Werte, die nicht mehr gerinnungsrelevant waren. In jeder der beiden Patientengruppen starben je neun Patienten – es handelte sich ja bei dem untersuchten Krankengut um schwerstkranke bis moribunde Patienten.

Thromboembolische Ereignisse, und zwar tiefe Venenthrombosen und Lungenembolien sowie ein Herzinfarkt, ergaben sich bei fünf Patienten im Beobachtungszeitraum von neun Tagen. Bei einer Reihe von Patienten stieg der Spiegel von Dagibatran nach 12−24 Stunden wieder an. Dies wird durch eine Rückverteilung von Dagibatran aus dem Extravasal- in den Intravasalraum gedeutet. Ob hier eine erneute Gabe von Idarucizumab indiziert ist, bleibt offen.

In einem Kommentar zu dieser Arbeit (2) wird ausgeführt, dass die Zielpunkte der Arbeit Laborwerte und keine klinischen Resultate waren. Auch kann ohne eine doppelblinde Studie nicht entschieden werden, ob nicht auch mit konventionellen wie z. B. lokalen Maßnahmen gleiche Ergebnisse hättenerzielt werden können. Hier muss allerdings gleich eingewandt werden, ob solch eine doppelblinde Studie ethisch vertretbar wäre. Schließlich wendet der Kommentator ein, dass ein Viertel der Untersuchten keine erniedrigte Thrombinzeit hatte, d. h. sie hatten gar keine wirksame Konzentration von Dabigatran im Blut. Er fordert also, dass man Laborparameter zur Verfügung haben sollte, die vor der Gabe des sicher sehr teuren Antidots zeigen, dass dieses auch wirklich indiziert ist. Kurz: Vor der Routineanwendung der (noch nicht auf dem Markt befindlichen) Substanz ist noch viel Arbeit zu leisten.

Inzwischen laufen auch Bemühungen, bei den Faktor-Xa-Hemmern entsprechende Antidote zu entwickeln.

Fazit für die Praxis

Idarucizumab ist ein Fragment eines monoklonalen Antikörpers mit hoher Bindungsaffinität zu Dabigatran. Somit liegt ein wirksames Mittel vor, dass die durch Dabigatran herabgesetzte Gerinnung in kurzer Zeit normalisiert. Da die vorgelegte Arbeit aber noch eine Reihe von Fragen offen lässt, wird man noch Geduld haben müssen, bis es zur Routineanwendung des Antidots kommen kann.

Interessenkonflikte

Ein Interessenkonflikt wird vom Autor verneint.

Literatur
  1. Pollack CV Jr, Reilly PA, Eikelboom J et al.: Idarucizumab for dabigatran reversal. N Engl J Med 2015; 373: 511-520.
  2. Bauer KA: Targeted anti-anticoagulants. N Engl J Med 2015; 373: 569-571.