Medikamenteninduzierte Vaskulitis

Arzneiverordnung in der Praxis

Ausgabe 1/2016

Autoren
  • Prof. Dr. med. Dietrich Höffler, Darmstadt, dhoeffler@t-online.de
  • Prof. Dr. med. Andreas Creutzig, Hannover

Zusammenfassung

Eine durch Medikamente induzierte Purpura sollte stets in Betracht gezogen werden, wenn typische Hautveränderungen nach dem Verordnen eines neuen Medikaments auftreten. Da es aber auch Fälle gibt, bei denen sich erst nach längerer Zeit die Antikörper entwickeln, müssen auch Medikamente berücksichtigt werden, die unter Umständen schon über Monate eingenommen wurden. Entscheidend ist die frühe Diagnose, weil bei sofortigem Absetzen des Medikaments zumeist bleibende Schäden an anderen stark durchbluteten Organen (Niere, Lunge) vermieden werden können oder sich – wenn schon vorhanden – zurückbilden. Eine große Palette von Arzneimitteln kann eine solche Purpura hervorrufen.

Abstract

Drug-induced purpura should be considered as diagnosis if typical skin manifestations appear immediately after a new drug prescription. However, the time lag between first prescription of the incriminated compound and onset of dermatological symptoms can last up to months. Early diagnosis and ceasing of the medication is critical to prevent internal organs from persisting damages, such as kidney and lung. Numerous drugs can trigger a purpura.

Der Fall

Ein 82-jähriger multimorbider Patient, bei dem eine Herzinsuffizienz Grad III im Vordergrund steht, klagt seit 10–12 Tagen über ein Druckgefühl im Unterbauch, Durchfall und Erbrechen. An beiden Beinen zeigen sich herpetiforme Exantheme. Die eGFR liegt bei 49 ml/min. Das Hb beträgt 7,1 g/dl, das CRP 79,7 mg/l, p-ANCA sind positiv, die c-ANCA negativ. Es wird eine Hautbiopsie durchgeführt, die perivaskuläre Infiltrate und in den betroffenen Kapillaren Endothelproliferationen und perivaskuläre mesenzymzellige Reaktionen zeigt. Die histologische Diagnose lautet: leukozytoklastische Vaskulitis.

Da der Patient etwa einen Monat zuvor erstmals auf Pradaxa® (Dabigatran), 2 x 110 mg tgl. eingestellt worden war, und kurz darauf die ersten Hauterscheinungen auftraten, wurde ein Kausalzusammenhang vermutet. Pradaxa® wurde abgesetzt und eine Prednisolon-Behandlung begonnen. Hierunter verschwand der Hautausschlag rasch.

Welche Medikamente können eine solche Vaskulitis hervorrufen?

In der Literatur (www.pubmed.com) fanden wir einen Bericht über eine bioptisch gesicherte kutane Vaskulitis im Zusammenhang mit Dabigatran (6). Es werden zudem einige Fälle von „rash“ (Ausschlag) beschrieben.

In der Datenbank des deutschen Spontanmeldesystems sind insgesamt etwa 500 Fälle von Hypersensitivitätsvaskulitis erfasst, darunter fünf Fälle, in denen Dabigatran als vermutlich ursächlich angegeben wird. Zu den Arzneimitteln, die häufiger mit dieser Reaktion in Verbindung gebracht werden, zählen auch Rivaroxaban (zwölf Meldungen) und Phenprocoumon (zehn Meldungen). Es gibt eine lange Liste von Medikamenten, die in der Lage sind, eine medikamentös induzierte Purpura hervorzurufen. In Übersichtsarbeiten (1;2) wird besonders auf Propylthiouracil und Minocyclin hingewiesen, für die wiederholt Fälle publiziert wurden. Doch fehlen Zahlen zur Inzidenz. Auch Medikamente, die den Tumornekrosefaktor hemmen, wie Adalimumab, Etanercept und Infliximab, werden genannt.

Diagnose und Differenzialdiagnose

Die kutane Kleingefäßvaskulitis, wie das Krankheitsbild in den 2012 revidierten Kriterien der Chapel Hill Consensus Conference genannt wird, fällt in der Regel mit palpabler Purpura der unteren Extremitäten auf. Sie wird auch Hypersensitivitätsvaskulitis oder leukozytoklastische Vaskulitis genannt. Man versteht unter Purpura eine kleinfleckige Kapillarblutung in der Unterhaut und/oder den Schleimhäuten, also Petechien. Im Gegensatz zu einem Erythem verschwinden die Flecken nicht bei Druck auf die entsprechende Stelle. Den Kleingefäßvaskulitiden gemeinsam ist die Ablagerung von Immunkomplexen von zirkulierenden Antikörpern. Sie aktivieren das Komplement. Die Entzündungsreaktion der postkapillären Venolen zerstört leicht die dünnen Wände und zieht Einblutungen in die durch das Infiltrat hervorgerufenen Papeln nach sich. Daraus ergibt sich das klinische Bild der palpablen Purpura (5). Im Laufe der Zeit färben sich die meist kreisförmigen Flecken durch den Abbau des Hämoglobins braun, dann grün und schließlich gelb.

Die Hälfte der Kleingefäßvaskulitiden wird als idiopathisch angesehen, die andere Hälfte tritt nach Medikamenteneinnahme und postinfektiös auf, häufig nach respiratorischem Infekt mit beta-hämolysierenden Streptokokken A oder einer Hepatitis C Infektion. Eine sichere ätiologische Zuordnung gelingt indes häufig nicht.

Die medikamenteninduzierte Vaskulitis erscheint meist in engem zeitlichen Zusammenhang von sieben bis zehn Tagen mit der Medikamentenneugabe, kann aber unter Umständen auch erst ein halbes Jahr nach der Einnahme des neuen Medikamentes auftreten. Voraus gehen der Purpura oft grippeähnliche Symptome wie leichtes Fieber, Gliederschmerzen, allgemeine Abgeschlagenheit. Das Labor zeigt eine der Schwere der Erkrankung korrelierte Anämie. BSG und CRP sind erhöht. Medikamente können auch eine ANCA-assozierte Vaskulitis auslösen (2). Bei Mitbefall der Niere (als einem wie die Haut stark durchdurchblutetem Organ) findet sich eine Kreatininerhöhung (Abfall der eGFR) sowie eine Erythrozyturie und Proteinurie. Da auch die Lunge ein sehr stark durchblutetes Organ ist, kann auch sie befallen werden. Klinische Symptome sind aber nur in schwersten Fällen zu fassen.

Differenzialdiagnostisch gegenüber der hier beschriebenen medikamentenallergischen Vaskulitis sind andere Mitglieder der Gruppe der Kleingefäßerkrankungen zu beachten. Diese sind besonders die Purpura Schönlein-Henoch und die essentielle kryoglobulinämische Vaskulitis. Alle drei Erkrankungen gehören zu den Immunkomplexvaskulitiden. Eine Übersicht gibt Tabelle 1. Auch findet man eine Kleingefäßvaskulitis bei einem Lupus erythematodes, einer rheumatoiden Arthritis oder Dermatomyositis sowie einer ANCA-assozierten Vaskulitis mit überlappender Beteiligung von kleinen und mittelgroßen Gefäßen sowie bei Malignomen (3).

Tabelle 1: Übersicht: Immunkomplexvaskulitiden

Zur Sicherung der Diagnose sollte möglichst eine Hautbiopsie durchgeführt werden. Die histopathologische Aufarbeitung kann auch Hinweise auf eine zu Grunde liegende Erkrankung geben (Übersicht bei (4)). Nur in besonderen Fällen wird eine Nierenbiopsie erforderlich sein, noch seltener eine Lungenbiopsie. Ganz entscheidend ist die Frage, ob die Purpura verschwindet, wenn das angeschuldigte Arzneimittel abgesetzt wird. In aller Regel kommt es dann zu einer Rückbildung der Purpura und auch der Kreatininerhöhung und Erythrozytenausscheidung. Ist dies nicht der Fall, müssen spezialisierte Zentren in Anspruch genommen werden.

Tabelle 2: Symptome und Therapie (nach (2))

Therapie

Die therapeutischen Möglichkeiten sind in Tabelle 2 zusammengefasst. Da randomisierte Studien nicht vorliegen, muss nach allgemeinen Prinzipien und Erfahrung behandelt werden. Ganz entscheidend ist, dass bei früh gestellter Diagnose Organschäden im Allgemeinen vermeidbar und/oder reversibel sind. Insofern sollte die größte Mühe auf die Früherkennung gelegt werden. In diesen früh erkannten Fällen kommt es meist zu einer restitutio ad integrum. Die meisten Episoden einer auf die Haut beschränkten Kleingefäßvaskulitis klingen ohne Therapie mit einer Hyperpigmentierung ab und rezidivieren nicht.

Fazit

Eine Reihe von verschiedenen Medikamenten kann eine Vaskulitis auslösen. Neu angesetzte Medikamente der letzten sechs Monate kommen dafür infrage.

Interessenkonflikte

Ein Interessenkonflikt wird von den Autoren verneint.

Literatur
  1. Berden A, Göçeroglu A, Jayne D et al.: Diagnosis and management of ANCA associated vasculitis. BMJ 2012; 344: e26.
  2. Radić M, Martinović Kaliterna D, Radić J. et al.: Drug-induced vasculitis: a clinical and pathological review. Neth J Med 2012; 70: 12-17.
  3. Micheletti RG, Werth VG: Small vessel vasculitis of the skin. Rheum Dis Clin North Am 2015; 41: 21-32.
  4. Goeser MR, Laniosz V, Wetter DA: A practical approach to the diagnosis, evaluation, and management of cutaneous small-vessel vasculitis. Am J Clin Dermatol 2014; 15: 299-306.
  5. Sunderkötter C: Hautmanifestationen der verschiedenen Vaskulitiden. Z Rheumatol 2013, 72: 436-444.
  6. Cakmak MA, Sahin S, Cinar N, Karsidag S: Adverse skin reaction caused by dabigatran. Eur Rev Med Pharmacol Sci 2014; 18: 2595.