Fallberichte von Herpes zoster bzw. Zoster-artigen Hautläsionen nach Shingrix® -Impfung („Aus der UAW-Datenbank“)

Deutsches Ärzteblatt, Jg. 117, Heft 26, 26.06.2020

Deutsches Ärzteblatt, Jg. 117, Heft 26, 26.06.2020

Zusammenfassung

Seit Anfang 2019 werden der AkdÄ Fälle über Herpes zoster bzw. Zoster-artige, teilweise bläschenförmige Hautläsionen berichtet, die in engem zeitlichen Zusammenhang nach einer Impfung mit Shingrix® aufgetreten sind. Ausgehend von zwei Fallbeispielen wird diskutiert, ob ein kausaler Zusammenhang bestehen kann und welche Pathomechanismen denkbar sind. Ärzte, die solche Fälle beobachten, werden um die Mitwirkung an einer Studie des Paul-Ehrlich-Instituts gebeten, welche diese potenzielle Nebenwirkung des Impfstoffs weiter aufklären soll.

Erkrankungen durch das Varizella-Zoster-Virus

Das Varizella-Zoster-Virus (VZV) ist eins von acht humanen Herpesviren und bildet zusammen mit Herpes-Simplex-Virus 1 und 2 die Familie der Alpha-Herpesviren (1). Die primäre Infektion führt zur Windpockenerkrankung, einer hochansteckenden Tröpfcheninfektion. VZV wird dabei zunächst im oberen Respirationstrakt repliziert und infizierte T-Zellen gelangen in die Haut, wo die Viren an Keratinozyten und Epidermiszellen übertragen werden, was zum typischen Hautausschlag mit Vesikeln führt. VZV kann wie Herpes-Simplex-Viren in sensorischen Ganglien persistieren. Beschrieben ist dies für Hinterwurzeln des Rückenmarks, Hirnnerven und das enterische Nervensystem (2).

Bei einer Reaktivierung wandert VZV mit dem axoplasmatischen Fluss vom Ganglion in die Nervenenden der Haut; dabei gehen Schmerzen dem Hautausschlag meist voraus. Der Hautausschlag beschränkt sich typischerweise auf das vom betroffenen Nerven innervierte Dermatom und kennzeichnet klinisch einen Herpes zoster (HZ). Auch Reaktivierungen ohne Ausschlag sind möglich und werden als „Zoster sine herpete“ bezeichnet (3).

Die Inzidenz von HZ steigt mit dem Lebensalter von 3 pro 1000 bei 40– bis 50-Jährigen auf 10 pro 1000 bei den über 80-Jährigen (1). Ursächlich für die Zunahme der Erkrankungen in höherem Lebensalter ist die Abnahme der gegen VZV gerichteten spezifischen T-Zellen, die für die Immunabwehr entscheidend sind. Weitere Risikofaktoren für HZ sind u. a. immunsuppressive Behandlungen, Diabetes mellitus, weibliches Geschlecht, psychologischer Stress oder mechanische Traumen (4;5). Das Risiko einer postherpetischen Neuralgie (PHN) liegt in Studien je nach Alter der Patienten und den verwendeten Definitionen bei 5 bis 30 % (6).

Informationen zu Shingrix®

Seit Mitte 2018 ist in Deutschland der adjuvantierte Subunit-Totimpfstoff Shingrix® zur Verhinderung von HZ und PHN verfügbar. Er enthält als Antigen 50 μg rekombinantes VZV1-Glykoprotein-E sowie das Adjuvans AS01B, um die Antikörper- und T-Helferzell-Antwort zu stimulieren. Gegenüber dem attenuierten Lebendimpfstoff Zostavax® ist die Wirksamkeit von Shingrix® besser und beträgt bei allen Altersgruppen ab 50 Jahre 92 % zum Schutz vor HZ und 82 % zum Schutz vor PHN (7). Die STIKO empfiehlt die Impfung mit Shingrix® bei Personen ab einem Alter von 60 Jahren bzw. bereits ab 50 Jahren, wenn eine Immunsuppression oder eine andere schwere Grundkrankheit vorliegt. Eine Impfserie besteht aus zwei Impfungen im Abstand von mindestens zwei bis maximal sechs Monaten.

Fallbeispiel 1: Bei einer 83-jährigen Patientin mit einem HZ in der Anamnese kommt es einen Tag nach Applikation der ersten Shingrix®-Impfung in den M. deltoideus zu einem ausgeprägten HZ im Dermatom der Einstichstelle. Die Behandlung erfolgt mit Brivudin und Metamizol. Die Hauteffloreszenzen sind nach etwa einem Monat abgeheilt. Zum Zeitpunkt der Meldung leidet die Patientin noch unter einer PHN. Eine Untersuchung zum direkten Nachweis von VZV mittels PCR oder ein serologischer Verlauf anhand der Antikörper erfolgte nicht.

Fallbeispiel 2: Bei einer 65-jährigen Patientin ohne HZ in der Anamnese kommt es einen Tag nach der ersten Impfung mit Shingrix® in den linken Oberarm zunächst zu einem HZ im Bereich des 2. Trigeminusasts (N. maxillaris), der im Verlauf generalisiert mit einzelnen Vesikeln an der Brustwirbelsäule, am Dekolleté und am Unterbauch. Nachdem eine ambulante Behandlung mit Penciclovir, Tannosynt® und Aciclovir-Creme keine Besserung erbracht hatte, wurde die Patientin stationär aufgenommen und die Therapie auf Famciclovir p.o. umgestellt sowie durch topische Maßnahmen ergänzt. Mittels PCR wurde aus einem Vesikel am Rücken VZV nachgewiesen und so die Diagnose eines HZ gesichert.

Zwischen Januar und August 2019 wurden der AkdÄ zehn Verdachtsfälle von HZ bzw. Zoster-artigen Hautläsionen in einem engen zeitlichen Zusammenhang mit einer Shingrix®-Impfung gemeldet. Am 23. August 2019 wurde mit einer Drug Safety Mail über diese Beobachtung informiert und um Meldung ähnlicher Fälle gebeten (8). Bis Ende 2019 gingen daraufhin 43 weitere Berichte bei der AkdÄ ein. Von den insgesamt 53 betroffenen Patienten waren 31 Frauen und 22 Männer. Das mittlere Alter lag bei 71 Jahren. In über 80 % der gemeldeten Fälle trat die Reaktion, soweit aus den vorliegenden Unterlagenerkennbar, nach der ersten Impfung auf, also vor Abschluss der vollständigen Impfserie. Die Zeit zwischen der Impfung und dem Beginn der Beschwerden lag im Median bei 14 Tagen, mit einer erheblichen Spanne zwischen einem Tag und mehreren Monaten. Nur für einen gemeldeten Fall liegt der Nachweis des VZV mittels PCR aus den Hautläsionen vor (siehe Fallbeispiel 2).

Bei 13 von 53 gemeldeten Fällen wird angegeben, dass die Patienten in der Anamnese einen HZ hatten. In den Zulassungsstudien zu Shingrix® waren Patienten mit HZ in der Anamnese ausgeschlossen (9;10). In einer nicht kontrollierten, unverblindeten klinischen Phase-III-Studie erhielten 96 Studienteilnehmer zwei Dosen Shingrix®. Innerhalb der Beobachtungsdauer von einem Jahr gab es neun Berichte von HZ bei sechs Studienteilnehmern (11). Diese Rezidivrate ist höher als man aus Beobachtungsstudien bei ungeimpften Personen mit HZ in der Anamnese erwarten würde. Allerdings wurden in dieser unkontrollierten Studie die Fälle eines HZ nicht virologisch bestätigt, sodass Zweifel an der Aussagefähigkeit der Studie bestehen.

Bewertung der gemeldeten Fälle

Die Assoziation der Shingrix® Impfung mit dem zeitnahen Auftreten eines HZ ist überraschend, da es sich um eine rekombinante Untereinheiten-Vakzine handelt, die im Gegensatz zu einem Lebendimpfstoff nicht unmittelbar einen HZ hervorrufen kann. Eine gut belegte Erklärung hinsichtlich des pathophysiologischen Mechanismus für das Auftreten von HZ nach Impfung mit Shingrix® gibt es nicht.

Grundsätzlich ist denkbar, dass es sich bei den gemeldeten Fällen um rein zufällige zeitliche Assoziationen handelt. Bei Patienten besteht nach der ersten Impfung mit Shingrix® noch kein ausreichender Impfschutz, sodass sie rein zufällig kurz nach der Impfung an einem HZ erkranken können. Bei einigen der beobachteten Hautreaktionen handelt es sich möglicherweise nicht um einen HZ im Sinne einer VZV-Reaktivierung, sondern lediglich um einen Zoster-ähnlichen Hautausschlag als Reaktion auf die Impfung.

Geht man jedoch davon aus, dass einige Fälle einem HZ entsprechen, lassen sich aus den bislang nur teilweise bekannten Mechanismen der Latenz und Reaktivierung von VZV sowie der Pathogenese des HZ verschiedene hypothetische Erklärungsansätze ableiten: Shingrix® generiert eine hohe Zahl gegen Glykoprotein E gerichtete CD4-positive T-Lymphozyten (12). Es ist denkbar, dass diese CD4-positiven T-Lymphozyten VZV-Reservoirzellen angreifen und Mechanismen aufheben, die den Latenzzustand stabilisieren. Auch ist bekannt, dass VZV regelmäßig subklinisch reaktiviert wird, wobei immunologische Mechanismen das zellfreie Virus schnell wieder neutralisieren (2;13). Wenn die Impfung zufällig in eine solche Reaktivierungsphase fällt, könnte es zur Neutralisation der T-Zell-vermittelten Immunabwehr gegen VZV durch überschüssiges Glykoprotein E kommen und aus der subklinischen Reaktivierung ein symptomatischer HZ entstehen.

Studie des Paul-Ehrlich-Instituts: Bitte um Mitwirkung

Um weiter abzuklären, ob es sich in den oben beschriebenen Fällen um die Reaktivierung des VZV handelt, hat das Paul-Ehrlich-Institut eine Studie initiiert und die Ärzte um Mithilfe gebeten. Hierzu soll eine Serie von Verdachtsfällen von HZ sowie bullösen Hautreaktionen untersucht werden, die innerhalb von 28 Tagen nach Impfung mit Shingrix® aufgetreten sind und noch persistieren. Zudem soll eine Fotodokumentation der Hauterscheinung angefertigt und eine Probe vom Bläscheninhalt bzw. der Läsion oder Kruste entnommen werden. Das Paul-Ehrlich-Institut bittet um Meldung entsprechender Verdachtsfälle (Tel. 06103 77 3130 oder 06103 77 0 bzw. E-Mail Studiensekretariat-S@pei.de). Nach Kontaktaufnahme mit dem Studiensekretariat erhält die teilnehmende Praxis Studienunterlagen und Material zur Probenentnahme per Kurier. Das Paul-Ehrlich-Institut übernimmt die Kosten für die virologische Diagnostik im Konsiliarlabor sowie die Versendung des Probenmaterials und zahlt eine Aufwandsentschädigung für die pseudonymisierte Dokumentation des klinischen Verlaufs.

Fazit und Empfehlung der AkdÄ:

Die Ätiologie der spontan gemeldeten Fälle von Herpes-zoster-artigen bullösen Hautreaktionen in engem zeitlichem Zusammenhang mit einer Shingrix®-Impfung ist derzeit unklar. Durch weitere klinische und virologische Untersuchungen soll abgeklärt werden, ob ein ursächlicher Zusammenhang mit der Impfung bestehen könnte oder ob es sich um zu erwartende Fälle eines unvollständigen Impfschutzes handelt.

Das Paul-Ehrlich-Institut hat eine Studie initiiert, um diese Berichte weiter zu untersuchen. Ärzte werden gebeten, mit dem Paul-Ehrlich-Institut Kontakt aufzunehmen, wenn sie entsprechende Fälle beobachten, um an der Aufklärung dieser wichtigen Fragestellung mitzuwirken.

Bitte teilen Sie der AkdÄ Nebenwirkungen (auch Verdachtsfälle) mit. Sie können online über unsere Website www.akdae.de melden oder unseren Berichtsbogen verwenden, der regelmäßig im Deutschen Ärzteblatt abgedruckt wird.


Literatur
  1. Arnold N, Messaoudi I: Herpes zoster and the search for an effective vaccine. Clin Exp Immunol 2017; 187: 82–92.
  2. Kennedy PGE, Gershon AA: Clinical features of varicella-zoster virus infection. Viruses 2018; 10.
  3. Cohen JI: Clinical practice: Herpes zoster. N Engl J Med 2013; 369: 255–263.
  4. Bharucha T, Ming D, Breuer J: A critical appraisal of ‚Shingrix‘, a novel herpes zoster subunit vaccine (HZ/Su or GSK1437173A) for varicella zoster virus. Hum Vaccin Immunother 2017; 13: 1789–1797.
  5. Gershon AA, Gershon MD, Breuer J et al.: Advances in the understanding of the pathogenesis and epidemiology of herpes zoster. J Clin Virol 2010; 48 Suppl 1: S2–7.
  6. Kawai K, Gebremeskel BG, Acosta CJ: Systematic review of incidence and complications of herpes zoster: towards a global perspective. BMJ Open 2014; 4: e004833.
  7. Mitteilung der Ständigen Impfkommission (STIKO) beim RKI: Wissenschaftliche Begründung zur Empfehlung einer Impfung mit dem Herpes zoster-subunit-Totimpfstoff. Epidemiol Bull 2018; Nr. 50: 541–567.
  8. Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft: Fallberichte von Herpes zoster nach Shingrix®-Impfung. AkdÄ Drug Safety Mail 2019–46 vom 23. August 2019.
  9. Cunningham AL, Lal H, Kovac M et al.: Efficacy of the herpes zoster subunit vaccine in adults 70 years of age or older. N Engl J Med 2016; 375: 1019–1032.
  10. Lal H, Cunningham AL, Godeaux O et al.: Efficacy of an adjuvanted herpes zoster subunit vaccine in older adults. N Engl J Med 2015; 372: 2087–2096.
  11. GlaxoSmithKline GmbH & Co. KG: Shingrix. Stand: Oktober 2019.
  12. Heineman TC, Cunningham A, Levin M: Understanding the immunology of Shingrix, a recombinant glycoprotein E adjuvanted herpes zoster vaccine. Curr Opin Immunol 2019; 59: 42–48.
  13. Laemmle L, Goldstein RS, Kinchington PR: Modeling varicella zoster virus persistence and reactivation – closer to resolving a perplexing persistent state. Front Microbiol 2019; 10: 1634.