Unabhängige ärztliche Fortbildung – Entwicklungen in den USA Vorbild für Deutschland?
Transparenz und Unabhängigkeit
Transparenz und Unabhängigkeit
Zertifizierte ärztliche Fortbildung soll frei sein von Einflüssen der Industrie (1). Diese Empfehlung hat das Institute of Medicine1 in den USA bereits 2009 im Standardwerk zu Interessenkonflikten in der Medizin klar formuliert. Kürzlich haben zwei Institutionen in den USA den Einfluss der Industrie auf die ärztliche Fortbildung erneut zurückgedrängt.
So warnte die Inspektionsabteilung des US-amerikanischen Gesundheitsministeriums im November 2020 in einem sogenannten „Special Fraud Alert“ vor dem Risiko für Betrug und Missbrauch im Zusammenhang mit von der Industrie gesponserten Vortragsveranstaltungen, da sie leicht zur Verletzung eines Gesetzes gegen Korruption im Gesundheitswesen führen könnten, dem „Anti-Kickback Statute“ (2). Gemeint waren von der Industrie gesponserte Vortragsveranstaltungen, bei denen das Unternehmen den Referierenden ein Honorar zahlt und die oft auch eine geldwerte Leistung für die Anwesenden beinhalten, beispielsweise kostenlose Mahlzeiten. In den letzten drei Jahren haben pharmazeutische Unternehmer (pU) und Hersteller von Medizinprodukten (HvM) fast zwei Milliarden US-Dollar für Vortragshonorare ausgegeben (2).
Ein wichtiger Grund für die Einführung des „Anti-Kickback-Statute“ war, Patienten vor Empfehlungen von Ärzten zu schützen, die durch Zahlungen von der Industrie beeinflusst sind. Das „Anti-Kickback-Statute“ macht es zu einer Straftat, als Gegenleistung für die Vermittlung von Leistungen, die von staatlichen Krankenversicherungen wie Medicare und Medicaid erstattet werden, eine Vergütung zu erbitten, zu erhalten, anzubieten oder zu zahlen. Bei Verletzungen dieses Gesetzes droht eine Strafe von bis zu 100.000 US-Dollar und/oder bis zu zehn Jahren Gefängnis, sowohl für den Anbieter als auch den Empfänger. Die Inspektionsabteilung des Gesundheitsministeriums bezweifelt den Nutzen gesponserter Vortragsveranstaltungen und vermutet, dass sie vielfach nur darauf abzielen, den Verkauf von Produkten des Sponsors zu fördern – mitunter entgegen den Interessen der Patienten und auf Kosten der staatlichen Krankenversicherungen. Um die Identifikation von Veranstaltungen zu erleichtern, die das „Anti-Kickback-Statute“ verletzen, werden einige besonders verdächtige Charakteristika aufgeführt, die auch in Deutschland nützlich sein dürften, um fragwürdige Veranstaltungen zu erkennen:
Da die Inspektionsabteilung in den letzten 20 Jahren insgesamt nur sechs „Special Fraud Alerts“ herausgegeben hat, ist der aktuellen Warnung eine große Bedeutung beizumessen (2). Anlass war u. a. ein Gerichtsprozess gegen das Unternehmen Novartis wegen Verletzungen des „Anti-Kickback Statute“ aufgrund von Zahlungen in Höhe von mehr als 100 Mio. US-Dollar an Ärzte im Rahmen von fast 80.000 Vortragsveranstaltungen. Zur Beilegung des Prozesses erklärte sich Novartis im Juli 2020 bereit, 678 Mio. US-Dollar zu zahlen (3). In der Vergangenheit bekannt wurde beispielsweise auch ein Prozess gegen Warner-Lambert2, in dem es um üppige Reisen als Bezahlung für Teilnehmende an Veranstaltungen zu Gabapentin in nicht zugelassenen Anwendungsgebieten ging. Im Jahr 2004 willigte Warner-Lambert zur Beilegung des Prozesses in eine Zahlung von 430 Mio. US-Dollar ein (3). Ein aktueller Kommentar im Journal of the American Medical Association (JAMA) fordert, dass von der Industrie gesponserte Fortbildungen der Vergangenheit angehören sollten (4).
Gleichzeitig verschärfte das „Accreditation Council for Continuing Medical Education“ (ACCME) in den USA deshalb die Regeln zur Deklaration von Interessenkonflikten. Das ACCME überwacht die Akkreditierung von Anbietern ärztlicher Fortbildung in den USA. Anders als in Deutschland wird dort nicht jede Fortbildungsveranstaltung zertifiziert, sondern nur der Anbieter von Fortbildungsveranstaltungen. Der Präsident des ACCME, Graham McMahon, beschreibt ebenfalls im JAMA, dass Vertrauen essenziell für die ärztliche Fortbildung ist: Ärzte müssen sich ebenso wie Patienten und die Öffentlichkeit darauf verlassen können, dass Fortbildungen inhaltlich wissenschaftlich korrekt und frei vom Einfluss der Industrie sind (3). Auf dieser Grundlage wurden 1992 erstmals Regeln zur Zusammenarbeit von CME-Anbietern und Industrie veröffentlicht, die 2004 durch eine Verpflichtung zur Offenlegung von Interessenkonflikten geschärft wurden. Nun wurden die Regeln in einem zweijährigen Prozess unter Beteiligung verschiedener Interessenvertretungen erneut überarbeitet und im Dezember 2020 veröffentlicht. Zu den wichtigsten Änderungen gehören:
Die Verpflichtung Interessenkonflikte auch der Ehe- oder Lebenspartner offenzulegen, wurde dagegen aufgehoben. Angestellte oder Besitzer von pU oder HvM sind weiterhin von der Erstellung ärztlicher Fortbildungen ausgeschlossen (außer wenn sich ihr Beitrag auf Basiswissen beschränkt, die Fortbildung ein Thema behandelt, das keine Produkte ihres Unternehmens betrifft, oder sie ein Medizinprodukt demonstrieren). McMahon weist darauf hin, dass die Zuordnungen zunehmend schwierig geworden sind, beispielweise weil aus medizinischen Fakultäten Start-up-Unternehmen gegründet werden.
In Deutschland ist eine Entwicklung wie in den USA mit dem Ziel einer unabhängigen ärztlichen Fortbildung bislang nicht zu erkennen: Aktuell wird ein diesbezüglicher Fortschritt beispielsweise durch Urteile von zwei Verwaltungsgerichten behindert, die Landesärztekammern zur Anerkennung von industriegesponserter Fortbildung verpflichten (5;6). Die Landesärztekammern haben gegen die Urteile jedoch Berufung eingelegt.
Verschiedene Institutionen in den USA arbeiten weiter daran, zertifizierte ärztliche Fortbildung frei von Einflüssen der Industrie zu halten. So warnte die Inspektionsabteilung des US-amerikanischen Gesundheitsministeriums vor Fortbildungsveranstaltungen, die von der Industrie gesponsert werden, weil sie mit einem Risiko für Betrug und Missbrauch verbunden sind. Gleichzeitig verschärfte die Behörde zur Akkreditierung von Anbietern ärztlicher Fortbildung in den USA die Regeln zur Deklaration von Interessenkonflikten. Gesponserte Fortbildung lässt das Produkt des Sponsors regelhaft gut aussehen (7), während die in Deutschland etablierten Nutzenbewertungen des Gemeinsamen Bundesausschusses für mehr als die Hälfte der neu eingeführten Medikamente keinen gesicherten Zusatznutzen feststellen können. Da diese Verzerrung unseren Patienten schadet, setzt sich die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ) dafür ein, gesponserten ärztlichen Fortbildungen die CME-Anerkennung zu versagen. In die Fortbildungsordnungen der Ärztekammern sollten zur Forderung nach Unabhängigkeit von wirtschaftlichen Interessen strengere Kriterien mit einer größeren Verbindlichkeit aufgenommen werden, die bundesweit einheitlich gelten sollten. Kollegen empfehlen wir den Besuch von unabhängig finanzierten Fortbildungsveranstaltungen, die beispielsweise vom Aktionsbündnis Fortbildung 20203 aufgeführt werden (8) und auch von der AkdÄ angeboten werden (9).
Die Autoren erklären, keine Interessenkonflikte zu haben.
1 Das Institute of Medicine (IOM) ist eine unabhängige, gemeinnützige Organisation, die außerhalb der Regierungsorganisationen arbeitet, um Entscheidungsträgern und der Öffentlichkeit unabhängige und evidenzbasierte Entscheidungsgrundlagen anzubieten. Das IOM wurde 1970 gegründet und ist der gesundheitspolitische Arm der National Academies of Sciences, Engineering, and Medicine. Mehr dazu: www.nap.edu.
2 Warner-Lambert war ein bekanntes US-amerikanisches Pharmaunternehmen, das im Jahr 2000 von Pfizer übernommen wurde.
3 Das „Aktionsbündnis Fortbildung 2020“ engagiert sich seit 2018 in Deutschland für unabhängige ärztliche Fortbildung. Unter der Seite cme-sponsorfrei.de haben Ärzte Zugang zu hochwertiger und neutraler Fortbildung sowie zu einem umfassenden Informationswerkzeug zur Organisation und Durchführung pharmafreier Fortbildungen. Initiator des im Frühjahr 2018 gegründeten Aktionsbündnisses ist MEZIS e.V., Gründungsorganisationen sind die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ), die Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM) und die Heidelberger Medizinakademie (HD Med).
Dieser Artikel wurde am 28. März 2022 vorab online veröffentlicht.