Tolvaptan bei Zystennierenerkrankungen
Arzneimittel – kritisch betrachtet
Arzneimittel – kritisch betrachtet
Tolvaptan hemmt den Vasopressin-2-Rezeptor in den Sammelrohren der Niere. Das Zystenwachstum bei Zystennierenpatienten soll dadurch gehemmt und die Nierenfunktion erhalten werden. Es ist in Europa, aber nicht in den USA zugelassen. Die Nebenwirkungen können erheblich sein. Für Patienten mit eingeschränkter Nierenfunktion, der eigentlichen Zielgruppe, liegen bisher keine Daten vor, die eine Verordnung rechtfertigen könnten.
Tolvaptan inhibits the vasopressin-2-receptor in the collecting ducts of the kidney. Cyst growths in patients with cystic kidney disease is allegedly arrested and kidney function preserved. Tolvaptan has a marketing authorisation in the European Union, but not in the USA. The adverse effects may be substantial. For patients with impaired kidney function, the actual target group, there are no data yet available that would warrant prescription.
Tolvaptan ist eine Substanz, die den sogenannten Vasopressin-2-Rezeptor in den Sammelrohren beeinflusst und zu einer verstärkten Wasserausscheidung führt. Es ist eine oral verfügbare Substanz.
Durch die verstärkte Wasserausscheidung und die Hemmung von Signalkaskaden in der Zelle vermutet man eine reduzierte Flüssigkeitssekretion in die durch das PKD(Polycystic kidney disease)-Gen mutierte Zelle bzw. in die daraufhin entstandene Zyste und dadurch eine Verminderung des Zystenwachstums bei Zystennierenpatienten. Darüber hinaus soll die Zellproliferation gehemmt werden, sodass die Zunahme des Zystenvolumens unabhängig von der Flüssigkeitsmenge ebenfalls reduziert wird. Die Voruntersuchungen an Zellkulturen und Tiermodellen beruhen hauptsächlich auf den Arbeiten von Vincent Torres, die in den vergangenen 15 Jahren erfolgten (1-5).
Aufgrund der verbesserten bildgebenden Diagnostik können Zystenvolumina und Nierengrößen heute besser vermessen und dargestellt werden. Bereits in den achtziger Jahren war von Franz und Reubi (6) in Bern der Verdacht geäußert worden, dass die Zystengröße mit der Abnahme der glomerulären Filtrationsrate (GFR) korreliert. Diese beiden Messparameter (Zystenwachstum und Abfall der GFR) wurden als Endpunkte für die Studien u. a. zu Tolvaptan gewählt (7).
Die sogenannte TEMPO-Studie (8), eine Phase-3-Studie, zeigte einen verminderten GFR-Abfall für 1/Serumkreatinin und errechnete GFR. Für 1/Serumkreatinin war die Differenz im Hinblick auf GFR-Verlust 1,2 ml/min in 36 Monaten (d. h. weniger Funktionsverlust). Für die errechnete GFR waren es 0,98 ml/min im selben Zeitraum.
Die weitere Analyse ergab (8), dass vor allem bei über 35-jährigen Zystennierenpatienten mit Hypertonie und Patienten mit einer GFR von < 80 ml/min oder einem Nierenvolumen von > 1500 ml die Verminderung der GFR unter Tolvaptan am geringsten war.
Auch die Nierenschmerzen als potenzieller Marker für das Zystenvolumen waren unter Tolvaptan geringer ausgeprägt als bei Patienten, die mit Placebo behandelt worden sind.
Es wurden verschiedene Studien durchgeführt, unter anderem die bereits oben erwähnte sogenannte TEMPO-Studie (8), eine Phase-3-Studie. Bezüglich der Nebenwirkungen waren die Hauptbeschwerden Durst, Polyurie, Nykturie, Pollakisurie und Polydipsie. Diese Nebenwirkungen sind aufgrund des Wirkungsmechanismus zu erwarten. Ein weiterer wichtiger Punkt ist der Anstieg der Leberwerte im Vergleich zu Placebo.
Die europäische Zulassung für die Behandlung erfolgte im Mai 2015 (9). Die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA) sieht die mögliche Therapieoption im Vergleich zu Placebo als überlegen an. Allerdings ist diese Zulassung mit Auflagen verbunden. Es muss eine Schulung für Patienten und für medizinisches Fachpersonal (inkl. Ärzte) erfolgen. Zusätzlich ist ein kontrolliertes Abgabesystem erforderlich und Leberwertkontrollen müssen Teil der Patientenführung sein (10).
Im Gegensatz dazu hat die amerikanische Zulassungsbehörde FDA keine Zulassung erteilt (11). Sie hat das Nierenvolumen nicht als primären Endpunkt akzeptiert und sieht ein größeres Problem in den Nebenwirkungen, insbesondere in den Nebenwirkungen für die Leber. Die Patientenzahl sei außerdem zu gering und die Nachbeobachtungszeit zu kurz. Die FDA fordert weitere Studien bevor sie einer Zulassung zustimmen kann. Insbesondere fordert sie Studien bei Patienten mit fortgeschrittener Niereninsuffizienz CKD (Chronic kidney disease) 2–3.
Das Medikament ist seit Anfang August 2015 verfügbar. Eine Nutzen-Risiko-Prüfung ist nicht notwendig, da die Substanz bereits 2009 in der Indikation Hyponatriämie zugelassen wurde (12).
Basierend auf den Forderungen der EMA (10) muss Schulungsmaterial für medizinisches Fachpersonal und Patienten vorliegen. Es muss eine Schulung und Listung aller geschulten Ärzte bei der Firma Ozuka Pharma GmbH (Hersteller) hinterlegt werden. Der Großhändler muss vor Abgabe an die Apotheke überprüfen, dass die verordnenden Ärzte erfasst sind. Der Name und die Adresse des Arztes muss im Rahmen des Bestellsystems an den Großhändler übermittelt werden.
Erhöhung der Leberwerte (dies wird noch zusätzlich differenziert, ohne dass hier jetzt genau darauf eingegangen wird). Sicherheitskontrollen: Leberwerte und Gesamtbilirubin vor Behandlungsbeginn, bis Monat 18 monatlich die Leberwerte, nach Monat 18 vierteljährlich die Leberwerte ebenso der S-Kreatininspiegel und die Elektrolyte. Selbstverständlich ist auf Symptome der Dehydratation und Elektrolytstörung zu achten (9).
Tolvaptan kann mit folgenden Arzneimitteln in Wechselwirkung treten: CYP3A-Hemmer (z. B. Ketoconazol oder Grapefruitsaft), mit CYP3A-induzierenden Substanzen (z. B. Rifampicin und Johanniskraut) oder mit CYP3A-Substraten (Warfarin oder Amiodaron). Außerdem muss darauf geachtet werden, dass ausgeprägte CYP3A-Hemmer die Wirkung von Tolvaptan steigern und die Dosis dann reduziert werden muss.
Bei Behandlungsbeginn wird mit 45 mg morgens begonnen, nachmittags werden 15 mg hinzugefügt. Die Tagesgesamtdosis beträgt 60 mg. Nach einem Monat wird nur nachmittags von 15 mg auf 45 mg erhöht, sodass die Tagesgesamtdosis 90 mg beträgt. Nach einem weiteren Monat werden zu den 90 mg insgesamt wieder nachmittags 30 mg hinzugefügt, sodass die Enddosis von 120 mg erreicht wird. Dies geschieht unter den oben genannten Sicherheitsmaßnahmen. Das Medikament soll 30 Minuten nüchtern vor Nahrungsaufnahme eingenommen werden.
Die Zulassungsdiversifizierung (Europa ja, USA nein) stellt erhebliche Probleme dar. Die Fallzahl ist relativ gering und es besteht das große Risiko, dass Patienten bereits jetzt die Verschreibung des Medikaments einfordern und Studien daher verlassen. Damit ist eine wissenschaftliche Beurteilung der Wirkung des Medikaments problematisch. Bislang liegen auch keine Daten „zu harten Endpunkten“ vor, insbesondere für das Erreichen der terminalen Niereninsuffizienz. Die Nebenwirkungen sind klinisch relevant, insbesondere die Dehydratation, die Elektrolytverschiebung und die Veränderungen der Leberwerte. Außerdem ist bislang unklar, welcher Patient tatsächlich behandelt werden sollte. Erste Ergebnisse zeigen ja, dass eher der Patient mit eingeschränkter Nierenfunktion hierfür in Frage kommen würde.
Nach dem derzeitigen Kenntnisstand kann zur Gabe von Tolvaptan bei Zystennierenerkrankung noch nicht geraten werden.
Ein Interessenkonflikt wird vom Autor verneint.