Penicillin-Allergie
Unerwünschte Arzneimittelwirkungen
Unerwünschte Arzneimittelwirkungen
Zwei Übersichtsarbeiten (1;2) zum Thema Penicillin-Allergie werden im Folgenden referiert.
„Haben Sie Allergien?“ Diese Frage sollte in keinem Anamnesegespräch fehlen. Eine der häufigsten Antworten darauf ist: „Ich habe eine Penicillin-Allergie.“ Dies wird dann rot markiert in der Patientenakte notiert und dabei bleibt es häufig. Sollte der Patient eine antibiotische Therapie benötigen, dann wird auf alternative Antibiotikaklassen zurückgegriffen.
In zwei Übersichtsarbeiten im Journal of the American Medical Association (JAMA) (1) sowie im New England Journal of Medicine (NEJM) (2) werden alternative Vorgehensweisen zum Umgang mit Penicillin-Allergien vorgeschlagen. Diese werden im Folgenden erläutert.
Ca. 95 % der Patienten, die angeben an einer Penicillin-Allergie zu leiden, vertragen Penicilline gut (2;3). Die Inzidenz von IgE vermittelten und allergischen Spätreaktionen auf Penicilline ist in den letzten 50 Jahren nicht gestiegen (2). Bei ca. 0,5–2% aller Penicillin-Gaben treten Reaktionen auf, die als potenzielle Hypersensitivitätsreaktionen gewertet werden könnten (4;5). Nicht selten treten jedoch auch nichtallergische Reaktionen, wie zum Beispiel virale Exantheme auf. Dies ist besonders häufig bei Kindern der Fall. Zur Sicherheit wird die Reaktion dann oft als Allergie gewertet und der Patient instruiert, dies bei nachfolgenden Behandlungen anzugeben. Am häufigsten bei den allergischen Exanthemen ist ein verspäteter oft gutartiger Ausschlag, als Ausdruck einer Typ-IV-Hypersensitivitätsreaktion (siehe Tabelle 1). Dieser muss nicht zwangsläufig bei der nächsten Gabe wieder auftreten. Es sollte jedoch nicht der Umkehrschluss gelten, dass ein Exanthem bei bestehender viraler Erkrankung nicht auch allergisch sein kann. Als klassisches Beispiel dient das Exanthem nach Aminopenicillin-Gabe bei Epstein-Barr-Virus(EBV)-Infektion. Selbst in diesem Fall sollte die Möglichkeit einer Allergie in Betracht gezogen werden.
Auch wenn eine „echte“ IgE vermittelte allergische Reaktion auftritt (siehe Tabelle 1), so entwickelt sich mit der Zeit eine Toleranz (2). Kreuzallergien zu anderen Betalaktamen sind seltener als bisher angenommen. Bei Cephalosporinen liegt die Rate bei ca. 2 %, falls eine Anaphylaxie auf Penicilline (meist Aminopenicilline) aufgetreten sein sollte jedoch bei fast 40 % (6;7). Bei Carbapenemen liegt die Rate unter einem Prozent und bei Monobactamen kommt diese praktisch nicht vor (4).
Aus Angst vor schweren anaphylaktischen Reaktionen wird bei Angabe einer Penicillin-Allergie oft auf Alternativen ausgewichen. Der Gedanke, ein potenziell schädliches Agens zu vermeiden, ist unter dem Gedanken „primum nil nocere“ auf den ersten Blick gut. Eventuell entstehen jedoch mehr Schäden durch die kategorische Vermeidung von Penicillinen, sobald der Patient eine Penicillin-Allergie angibt. Wieso ist das so? Penicilline sind bei vielen häufigen (Atemwegsinfektionen, Harnwegsinfektionen), aber auch selteneren Infektionen (z. B. Syphilis) First-line-Therapie. Der Ersatz durch eine Second-line-Therapie führt nicht immer zu vergleichbaren Ergebnissen: In einer Studie mit Patienten, welche Nachweise von MSSA (Methicillin-sensibler Staphylococcus aureus) in ihren Blutkulturen hatten, wurde Vancomycin statt Betalaktamen gegeben. Die 30-Tages-Mortalität zeigte sich in der Vancomycin-Gruppe erhöht (8). Eine geringere Wirksamkeit, oft auch in Verbindung mit höheren Kosten, ist ein Nachteil von Alternativtherapien. Außerdem haben andere Antibiotika oft ein ungünstiges Nebenwirkungsprofil, wie zum Beispiel Fluorchinolone, oder sind gar potenziell toxisch wie zum Beispiel bei Gentamicin (Nephro- und Ototoxizität). Eine US-amerikanische und britische Studie mit 50.000 Patienten zeigt, dass bei Patienten mit einer Penicillin-Allergie mehr Methicillin-resistenter Staphylococcus aureus (MRSA), Vancomycin-resistenter Enterokokkus (VRE) und Clostridium difficile nachgewiesen werden konnten (9;10). Auch zeigten sich bei diesen Patienten längere Krankenhausaufenthalte, mehr Wiederaufnahmen ins Krankenhaus sowie vermehrt postoperative Wundinfektionen (9;11;12).
Wichtig ist also, eine Differenzierung der Allergien vorzunehmen. Hilfreich ist hier eine genauere Anamnese. Wie in oben beschriebenem Beispiel sollte die Allergieanamnese nicht mit der Aktennotiz „Allergien: Penicillin“ beendet sein. Im Idealfall wird kurz noch vermerkt welche Reaktion und zu welchem Zeitpunkt die Reaktion bestand. Zum Beispiel: „Allergien: Penicillin (juckender Hautausschlag, nach vier Tagen entwickelt; 2012).“
Im Artikel von Shenoy et al. wird die Unterteilung in drei Risikogruppen vorgeschlagen (1):
Niedriges Risiko:
Intermediäres Risiko:
Hohes Risiko:
Voraussetzungen für die Testung sind eine vorherige ausführliche Aufklärung des Patienten, die Möglichkeit von Monitoring und Ressourcen und die Fachkenntnis, eine Allergie bis hin zur Anaphylaxie zu behandeln. Die orale Amoxicillin-Gabe ist sehr sicher. Im Vereinigten Königreich trat unter 100 Millionen Gaben nur eine tödliche Anaphylaxie auf (13). Eine Testung mit oralem Penicillin wird nicht durchgeführt, da es auch isolierte Allergien auf Aminopenicilline gibt. Warnzeichen unabhängig von oben genannten Kriterien sollten immer sein: Anaphylaxie, Reaktionen im Erwachsenenalter, Reaktionen, die einen Arztbesuch notwendig machten und akute Urtikaria.
Außerdem wird in der Übersichtsarbeit des NEJM von jeglicher Testung bei Organreaktionen abgeraten (2). Diese können beispielsweise eine interstitielle Nephritis, eine Hepatitis (DILI: drug induced liver injury), Hämolyse, „drug fever“ oder schwere Hautreaktionen (severe cutaneous adverese reaction, SCAR) sein.
Der Zeitpunkt der Testung ist idealerweise, bevor eine akute Behandlungsindikation besteht. Definitiv sollte dies präoperativ erfolgen, damit eine optimale perioperative Antibiotikatherapie gewährleistet werden kann. Nach erfolgreicher Testung sollte der Patient über das Ergebnis informiert und ein Allergiepass ausgehändigt werden. Bei negativer Testung weiß der behandelnde Kollege um die Sicherheit einer Penicillin-Gabe. Sollte der Hauttest oder die orale Ingestion positiv ausgefallen sein, so muss keine erneute Evaluation erfolgen und der Patient kann einer alternativen Therapie zugeführt werden.
Die meisten Krankenhäuser haben ein Antibiotic-Stewardship(ABS)-Programm. Es wäre sinnvoll im Rahmen dessen ein standardisiertes Vorgehen zur Evaluation von Penicillin-Allergien zu implementieren. Damit könnte die Hürde im klinischen Alltag gesenkt werden, sich mit der Allergie auseinander zu setzen. Selbiges gilt für die Evaluation im ambulanten Bereich. Vorteil der Abklärung in diesem Setting wäre die geringere Rate an Akuterkrankungen, da der Hausarzt meist schon um die Allergie seines Patienten weiß, bevor es zu einer antibiotisch behandlungspflichtigen Erkrankung kommt.
Exkurs: Rapide Desensibilisierung (2)
Für Patienten mit IgE-vermittelter Penicillin-Allergie (inklusive Anaphylaxien), welche eine First-line-Penicillin-Therapie benötigen. Applikation intravenös, per oral (theoretisch auch intramuskulär) in steigenden Dosen (Verdopplung alle 15–30 min) möglich. Begonnen wird mit sehr niedrigen Dosierungen, nach wenigen Stunden wird dann die Zieldosierung erreicht. (siehe (2) für mögliche Desensibilisierungsschemata i.v. oder p.o.). Hierunter wird bei 99 % aller Patienten die Zieldosis erreicht. Nur weniger als 1 % weisen Anaphylaxien auf. Bei 20 % der Patienten zeigen sich Durchbruchkreationen, die jedoch nur selten einen Therapieabbruch notwendig machen. Der Effekt der Desensibilisierung ist nicht anhaltend, er hält jedoch mindestens zwei Dosierungsintervalle. Eine Allergie muss weiterhin abgeklärt werden, falls dies auf Grund der Akuterkrankung nicht möglich war, beziehungsweise ob die Allergie weiterbesteht, falls diese schon vorher bewiesen war.
Nicht jeder Patient mit Penicillin-Allergie ist wirklich gegen diese Substanzgruppe allergisch. Eine genaue Anamnese, Risikostratifizierung und anschließende Testung können möglicherweise hohe Therapiekosten, Therapieversagen und erhöhte Resistenzentwicklung reduzieren.
Ein Interessenkonflikt wird von der Autorin verneint.
Dieser Artikel wurde am 25. Mai 2021 vorab online veröffentlicht.