Opioidrotation in der Praxis – was, warum und wie?
Übersichtsarbeiten
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Opioide spielen in der Behandlung von Tumor- und Nichttumorschmerzen eine wichtige Rolle. Häufig werden aber Opioidwechsel durchgeführt, z. B. wegen Interaktionen, hohen Dosierungen oder Nebenwirkungen. Hierfür erfolgt in der Praxis eine Opioidrotation, bei der die Opioidtagesdosis zunächst mittels entsprechender Äquivalenzdosen in die Morphindosis umgerechnet wird. Diese Äquivalenzdosen weisen häufig eine größere Spannweite auf, welche in der Praxis je nach Morbidität des Patienten mitberücksichtigt werden muss, denn hieraus resultieren immer wieder z. T. bedrohliche Komplikationen. Nach der Kalkulation der entsprechenden Tagesdosis des neuen Opioids sollte diese um 25–50 % reduziert und entsprechend über den Tag verteilt werden. Optional kann die retardierte Medikation um ein Sechstel der errechneten Tagesmedikation in unretardierter Form ergänzt werden, um dann im weiteren Schritt die tatsächliche Dosis in der Praxis zu ermitteln. Die Sicherheit der Opioidmedikation würde deutlich davon profitieren, wenn sich Äquivalenzdosierungen oder -empfehlungen einfach verfügbar in Fachinformationen/Beipackzetteln finden würden.
Opioids play an important role in cancer pain and non-cancer pain therapy. Changes of opioid medication are routinely performed, e. g. due to drug interactions or adverse events. In daily practice, opioid rotations include a calculation of the appropriate morphine dose with morphine equivalents. However, these equivalents have large ranges, which can be very important especially in patients with comorbidities and a high risk for serious opioid related adverse events. After calculation, the new opioid daily dose should be reduced by 25–50 % and should be distributed over the day. Optionally, short-acting opioids (~1/6 of the new calculated daily opioid dose) could be added in order to establish the new real daily opioid dose. However, opioid rotations are currently not without risks, because information about the morphine equivalents are not routinely given within the official drug descriptions provided by the pharmaceutical industry.
Knapp 8 % der Bevölkerung in Deutschland leiden an chronischen nichttumorbedingten Schmerzen, die sie deutlich beeinträchtigen. Dass dieser sehr häufig mit Opioiden behandelt wird, zeigt in Deutschland der Anteil von Opioidverschreibungen für Nichttumorschmerz, der aktuell Schätzungen zufolge bei 77 % liegt (1). In der Tumorschmerzbehandlung ist die Verschreibung von Opioiden Standard und kommt bei der überwiegenden Zahl der Patienten regelhaft zum Einsatz. Allerdings ist die Langzeitanwendung von Opioiden insbesondere beim Nichtumorschmerz sehr umstritten (2). So zeigt eine aktuelle prospektive Untersuchung bei chronischen Schmerzpatienten, die über einen langen Zeitraum eine stabile Opioiddosis einnahmen, einen dosisabhängigen Anstieg der Schmerzintensität, eine stärkere Beeinträchtigung im täglichen Leben, eine geringere Lebensqualität, ein stärkeres Angstvermeidungsverhalten sowie letztlich eine stärkere Inanspruchnahme des Gesundheitssystems (3). Außerdem zeigen Studien, dass diese Patienten stärker von Depressionen, einem höheren Risiko für Suizidalität sowie von der Entwicklung eines Abhängigkeitssyndroms betroffen sein können (4;5).
Die kürzlich veröffentlichte Leitlinie zur Langzeitanwendung von Opioiden bei nichttumorbedingten Schmerzen liefert eine differenzierte Analyse der aktuellen Studienlage und gibt entsprechende Empfehlungen (6-8). Im Rahmen der Erstellung dieser Leitlinie wurden mögliche Therapieindikationen definiert, aber auch Vergleiche zwischen den einzelnen Präparaten bzw. mit anderen Therapien bei speziellen Indikationen analysiert. Insgesamt gilt bei allen Indikationen die Empfehlung, Opioide für einen definierten Zeitraum und nicht allein zu verordnen, sondern nur zusammen mit Therapien, bei der die Patienten selbst aktiv mitarbeiten (körperliches Training, Entspannungstraining etc.).
Während beim Nichttumorschmerz Opioidwechsel aufgrund von auftretender Toleranz nötig sind, wechseln 21–44 % der Krebspatienten im Laufe der Behandlung das Opioid (9), um die beste Balance zwischen Wirkung und Nebenwirkung zu gewährleisten. Ziel dieser Arbeit ist es deshalb aufzuzeigen, was man unter einer Opioidrotation versteht, warum diese nötig ist und wie diese in der Praxis durchgeführt werden sollte.
Unter einer Opioidrotation versteht man eine Einstellung auf ein anderes Opioid mit dem gleichen Wirkmechanismus (Pharmakodynamik) – in der Regel Agonisten am µ-Opioidrezeptor (MOR). Umgerechnet wird in die neue Opioidmedikation mittels der entsprechenden Morphinäquivalente, da traditionell Morphin – als ältestes verfügbares Opioid – als Referenzsubstanz gilt. Die im Internet verfügbaren Opioidumrechnungstabellen und Opioidrechner (z. B. (10)) weisen teilweise allerdings große Unterschiede in den angegebenen Äquivalenzdosen auf. Sie sind also vor unkritischer Nutzung unbedingt zu prüfen. Dies liegt zum einen daran, dass die Daten zu Umrechnungsdosen überwiegend bei Patienten mit Tumorschmerzen erhoben wurden und deshalb nur bedingt auf Patienten mit Nichttumorschmerzen extrapoliert werden können. Zum anderen besteht ein klarer Konsens, dass aufgrund großer interindividueller Unterschiede, die zum Teil auch genetisch determiniert sind, eine passende Dosis nicht für jeden Patienten vorhergesagt werden kann. Die in der folgenden Tabelle angegebenen Äquivalenzdosen lehnen sich an die Empfehlungen der Steuergruppe der LONTS-Leitlinie (LONTS: Langzeitanwendung von Opioiden bei nicht tumorbedingten Schmerzen) (11) sowie den Empfehlungen des National Health Service (NHS) von Großbritannien (12) zur Opioidumrechnung bei Palliativpatienten an (Tabelle 1). Allerdings fehlen diese Hinweise sehr oft in den entsprechenden Fachinformationen. Dieser Umstand trägt zu Unsicherheiten und Umrechnungsfehlern bei, die zum Teil zu schwerwiegenden Komplikationen führen (z. B. Atemdepression).
Es gibt verschiedene Gründe, die eine Umrechnung der Opioiddosis notwendig machen. Einerseits kann bei der Opioideinstellung die Änderung des Wirkstoffes notwendig werden – meist aus pharmakokinetischen Gründen, wie Umstellung von parenteral auf oral etc. Anderseits kann eine Opioidrotation dazu genutzt werden, Nebenwirkungen zu reduzieren oder die analgetische Wirkung zu verbessern. Dazu gehören intolerable, therapieresistente Nebenwirkungen wie Übelkeit und Erbrechen, Müdigkeit, Obstipation, Harnverhalt, Juckreiz, Verwirrtheit, Halluzinationen sowie Hautreaktionen auf Opioidpflaster. Oft erfolgt die Rotation auch bei einem fraglichen Therapieansprechen und damit einer hohen Opioiddosis. Damit vergesellschaftet kann eine opioidinduzierte Hyperalgesie sein, die sich klinisch oft in einem brennenden Ganzkörperschmerz äußert. Weitere Indikationen für eine Opioidrotation sind Medikamenteninteraktionen sowie Veränderungen der Leber- und/oder Nierenfunktion. Aber auch die Darreichung kann eine Indikation für den Wechsel sein, beispielsweise bei Schluckbeschwerden die Rotation auf ein Pflaster oder umgekehrt die Rotation auf orale Opioide wegen der besseren Steuerbarkeit.
Es gibt im klinischen Alltag oft Situationen, in der von oral auf parenteral bzw. von parenteral auf oral umgerechnet werden muss. Oft ist damit ein Wechsel des Wirkstoffes verbunden, sodass die unten genannten Empfehlungen, aus Sicherheitsgründen nur 50–70% der errechneten Dosis zu geben, hier ebenfalls gelten.
Ein Wechsel eines Opioids führt oft dazu, dass die Schmerzlinderung verbessert und/oder unerwünschte Nebenwirkungen verringert werden. Dazu gibt es allerdings keine randomisierten verblindeten Studien. Die empirisch und in der klinischen Praxis oft verbesserte Schmerzlinderung könnte zum einen daran liegen, dass verschiedene Opioide unterschiedliche intrazelluläre Signalkaskaden aktivieren. Dabei geht es voranging um G-Protein-Aktivierung und die beta-Arestin-Rekrutierung; aber auch Rezeptorphosphorylierung und Internalisierung sind wichtige unterschiedliche Signalwege. Während der erstere (G-Protein-Aktivierung) für die analgetische Wirkung zuständig ist, wird letzterer (beta-Arrestin-Weg) für unerwünschte Wirkungen verantwortlich gemacht (sogenannter „biased agonism“) (13). Bisher fehlt allerdings eine genaue Analyse, welche klinisch gebräuchlichen Opioide welche Signalwege präferenziell aktivieren. Es ist aber durchaus auch möglich, dass das verbesserte Outcome nach der Opioidrotation einfach nur auf einer verbesserten Verträglichkeit infolge einer Dosisreduktion beruht.
Zunächst sollte die Gesamtdosis des Opioids erhoben werden. Unbedingt muss die Bedarfsmedikation von Opioiden mit eingerechnet werden. Patienten sollten darauf hingewiesen werden, dass eine genaue Angabe dem Arzt hilft, damit weder unter- noch überdosiert wird. Dann sollte die Dosis anhand einer Tabelle oder von Apps zunächst in Morphinäquivalente und dann in das neue Opioid umgerechnet werden. Es empfiehlt sich in der Praxis besonders: 1. die Dosis noch einmal von einem zweiten Kollegen getrennt berechnen zu lassen und 2. eine Kontrolle der Plausibilität durchzuführen, z. B. wenn sehr große oder sehr geringe Mengen verschrieben werden müssen. Gerade die falsche Umrechnung führt jährlich immer wieder zu Todesfällen durch Überdosierung, meist durch Atemstillstand. Grundsätzlich sollte bei jeder Rotation die verordnete retardierte Medikation mindestens 30 % weniger als ausgerechnet angesetzt werden. Bei älteren und multimorbiden Patienten und bei Patienten mit einer vorherigen hohen Opioiddosis (> 120 mg Morphinäquivalent/24 h) ist es empfehlenswert, die errechnete neue Opioiddosis aus Sicherheitsgründen um 50 % zu reduzieren.
Zusätzlich zur Retardmedikation kann (aber muss nicht) ein schnell wirksames Opioid verordnet werden, wenn die Dosis sich als zu gering erweisen sollte. Die Patienten sollten nach Opioidrotation je nach klinischer Einschätzung täglich visitiert werden, um zeitnah die retardierte Opioiddosis ggf. nach oben oder unten korrigieren zu können. Dazu wird entweder die unretardierte Dosis dazugerechnet oder bei starken Nebenwirkungen wie z. B. Sedierung und suffizienter Schmerzlinderung entsprechend die retardierte Dosis reduziert.
Ein Interessenkonflikt wird von den Autoren verneint.