Neue Thrombozytenaggregationshemmer – eine Übersicht über die aktuelle Evidenz
Therapie aktuell
Therapie aktuell
Die zunehmende Vielfalt neuer Thrombozytenaggregationshemmer bereichert die Therapie, verunsichert viele Ärzte aber auch. Dieser Artikel soll die Studienevidenz zusammenfassen. Clopidogrel sollte nach beschichtetem Stent nur sechs Monate lang zusätzlich zu ASS eingesetzt werden. Auf den Einsatz von Prasugrel sollte verzichtet, Ticagrelor sollte dagegen nach akutem Koronarsyndrom für zwölf Monate verwendet werden. Eine Triple-Therapie sollte so kurz wie möglich, nur unter Verwendung von Clopidogrel und Vitamin-K-Antagonisten und nicht mit anderen neuen Thrombozytenaggregationshemmern bzw. neuen oralen Antikoagulanzien (NOAK) durchgeführt werden.
The increasing diversity of antiplatelet agents enriches the therapeutic arsenal but alleniates some doctors. This article summarises the available evidence. After insertion of a drug eluting stent, clopidogrel should be used for only six months in combination with aspirin. Prasugrel should not be used. Ticagrelor should be prescribed for twelve months after acute coronary syndrome. As part of a triple therapy only clopidogrel and vitamin-K-antagonists should be utilised, but not other new antiplatelet agents and no novel oral anticoagulants (NOAC).
Die Verfügbarkeit neuer Thrombozytenaggregationshemmer stellt eine Bereicherung der Therapieoptionen dar. Zugleich sehen viele hausärztlich tätige Ärzte* fachspezialistische Empfehlungen zum Einsatz der neuen Substanzen kritisch im Hinblick auf mögliche Blutungskomplikationen sowie die generelle Nutzen-Schadens-Bilanz.
Bislang ist die Verordnung von Clopidogrel als Monotherapie zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung nur gestattet (1) bei:
Keine Indikation für Clopidogrel als Monotherapie sind Zustand nach Insult oder stabile KHK (2), Insult unter ASS (2) (unter Clopidogrel gibt es genauso häufig Rezidiv-Insulte), sowie Übelkeit oder Ulcus unter ASS oder NSAR (hier ist eher die Kombination von ASS mit einem PPI indiziert) (3).
Indiziert dagegen ist die Kombination mit ASS (duale Plättchenhemmung) nach koronarem Stent unabhängig von der Indikation für diesen Stent (4) − bei Bare Metal Stents (BMS) für vier Wochen nach akutem koronarem Syndrom (5) und vermutlich für vier Wochen auch nach Stenting anderer Gefäße (Carotis, Femoralis). Letztere Empfehlung entspricht einem Analogieschluss − bislang liegt keine Zulassung vor.
Keine Indikation** für die Kombination von Clopidogrel mit ASS sind Zustand nach Insult (6), symptomatische pAVK, chronische stabile KHK (7) und der Einsatz bei Vorhofflimmern anstatt einer Antikoagulation (8) oder anstatt ASS-Monotherapie (9).
Zu dieser Frage liegen verschiedene Metaanalysen vor. Sie schlossen bis zu 14 randomisierte kontrollierte Studien (RCT) über 69.644 Patienten ein (10) (sowohl Patienten nach akutem Koronarsyndrom (ACS) als auch mit perkutaner transluminaler Koronarangioplastie (PTCA) bei stabiler KHK). Alle Metaanalysen legen den Schluss nahe, dass länger als sechs Monate nach beschichtetem Stent (DES) zusätzlich zu ASS verabreichtes Clopidogrel keinen sicheren Vorteil hinsichtlich ischämischer Ereignisse bietet, der über dem erhöhten Risiko schwererer Blutungskomplikationen liegt. Eine Metaanalyse (11) legt sogar den Schluss nahe, dass eine drei Monate dauernde doppelte Plättchenhemmung (dual antiplatelet therapy, DAPT) ausreichen könnte. Die meisten Ereignisse entstammen allerdings einer einzigen Studie (12), in der nur mit Zotarolimus beschichtete Stents untersucht wurden und nur Patienten mit stabiler KHK, bei denen die Indikation zur PTCA ohnehin zu hinterfragen ist. In der DAPT-Studie (13) senkte eine längere DAPT zwar die Infarktrate, ging aber mit einer Erhöhung der Gesamtsterblichkeit einher.
▶ Darum sollte Clopidogrel nach DES wegen des Blutungsrisikos nicht länger als sechs Monate zusätzlich zu ASS eingesetzt werden.
Auch die europäische kardiologische Gesellschaft ESC, deren Empfehlungen die meisten deutschen Kardiologen befolgen, rückt inzwischen von der Empfehlung ab, immer ein Jahr lang Clopidogrel zusätzlich zu ASS zu verwenden.
Zu dieser Frage liegen vier größere RCTs mit 21.865 Patienten vor. Die größte Studie ist die TRITON-TIMI-38-Studie (14). Hier erhielten 13.608 Patienten mit akutem Koronarsyndrom und geplanter PTCA zusätzlich zu ASS entweder Prasugrel oder Clopidogrel. Nach 14,5 Monaten traten kardiovaskulärer Tod, Infarkt und Schlaganfall zwar um 2,2 % seltener auf, dieses positive Bild wurde aber getrübt durch häufigere Blutungsereignisse: bei nicht mit Bypass versorgten Patienten bei 2,4 % vs. 1,8 %, bei ACVB-Patienten (Aorto-Coronarer-Venen-Bypass) bei 13,4 % vs. 3,2 %. Die Gesamtsterblichkeit wurde zudem nicht beeinflusst. Die TRITON-TIMI-38-Studie wurde wiederholt kritisiert (15;16): Nur 24 % der Patienten erhielten Clopidogrel, das bis zum Wirkeintritt länger braucht, zeitgerecht und in ausreichender Dosierung vor der koronaren Intervention. Bei den Infarkten wurden periprozedurale Troponin-Erhöhungen im Zuge von Revaskularisierungsmaßnahmen mitgezählt, bei den Blutungskomplikationen dagegen nicht diejenigen, die nach einer Bypass-OP aufgetreten waren. Das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) hat die entsprechenden Studiendaten nachgefordert und in einem Bericht (17) verarbeitet. Das Ergebnis: Klinisch relevante Infarkte traten unter Prasugrel zwar seltener auf als unter Clopidogrel, bei Weitem aber nicht in solchem Ausmaß wie in TRITON-TIMI-38 dargestellt. Die Zunahme schwerwiegender Blutungen unter Prasugrel war dagegen deutlich häufiger als in der Publikation angegeben (siehe Tabelle 1).
In der nächst größeren Studie TRILOGY-ACS (18) (7.243 Patienten) hatte Prasugrel keinerlei Vorteil gegenüber Clopidogrel.
▶ Prasugrel (Efient®) sollte nach akutem Koronarsyndrom nicht verwendet werden.
In der PLATO-Studie (19) erhielten 18.624 Patienten mit ACS zusätzlich zu ASS entweder Ticagrelor oder Clopidogrel. Nach zwölf Monaten traten kardiovaskulärer Tod, Infarkt oder Insult absolut bei 1,9 % weniger Patienten auf (9,8 vs. 11,7 %). Unter Ticagrelor starben 1,4 % weniger Patienten (4,5 vs. 5,9 %). Schlaganfälle ereigneten sich unter Ticagrelor nicht signifikant häufiger (1,5 vs. 1,3 %). Der Blick auf die Kurve mit kardiovaskulärem Tod, Infarkt oder Schlaganfall zeigt einen kontinuierlich zunehmenden Vorteil von Ticagrelor. Größere und intrazerebrale Blutungen waren nicht signifikant häufiger. Luftnot gab es unter Ticagrelor deutlich häufiger (13,8 vs. 7,8 %), sie war meist aber nach einigen Wochen reversibel und zwang nur selten zum Absetzen (0,9 vs. 0,1 %). Pausen im LZ-EKG > 3 sec. (5,8 vs. 3,3 %) und ein Anstieg von Kreatinin (11 vs. 9 %) oder Harnsäure (15,0 vs. 7,0%) traten unter Ticagrelor gehäuft auf. Die Verordnung von Ticagrelor nach ACS kann als Praxisbesonderheit angeführt werden.
▶ Alle Patienten mit akutem Koronarsyndrom sollten zusätzlich zu ASS zwölf Monate lang Ticagrelor erhalten.
Wie lange sollte eine Triple-Therapie (ASS + Clopidogrel + Phenprocoumon (Marcumar®)) nach unbeschichtetem und wie lange nach beschichtetem Stent bei stabiler KHK und bei ACS durchgeführt werden?
Zu dieser Frage fanden sich nur Metaanalysen aus nicht randomisierten Studien (20–22). Im Vergleich mit einer dualen Plättchenhemmung allein senkte die zusätzliche Antikoagulation Insultrisiko und Gesamtsterblichkeit signifikant, allerdings um den Preis einer Verdopplung schwerer Blutungen. Die kleine randomisierte WOEST-Studie (23) verglich die Kombination von Clopidogrel plus Antikoagulation mit einer Triple-Therapie. Die Rate aller Blutungen und auch die Gesamtsterblichkeit lagen unter der Triple-Therapie gut doppelt so hoch. Schwere Blutungen und ischämische Ereignisse traten unter der Triple-Therapie sogar numerisch häufiger auf. Die Studie hatte zwar methodische Schwächen, ihre Ergebnisse wurden aber durch eine große populationsbasierte Kohortenstudie aus Dänemark (24) bekräftigt.
▶ Eine Triple-Therapie sollte so kurz wie möglich und nur mit einer Ziel-INR von 2,0–2,5 durchgeführt werden.
▶ Planbare Operationen sollten verschoben werden.
▶ Neben ASS sollte nur Clopidogrel als Thrombozytenaggregationshemmer eingesetzt werden – zu den anderen fehlt die Studienevidenz genau wie für den Einsatz von neuen Antikoagulanzien.
▶ Bei antikoagulierten Patienten und unbeschichteten Stents sollte nach vier Wochen Triple-Therapie nur noch antikoaguliert werden. Dies gilt für Patienten mit stabiler KHK als auch nach ACS.
▶ Bei stabiler KHK und DES sollte je nach Stentbeschichtung drei bzw. sechs Monate mit Triple-Therapie, dann bis Ende des 12. Monats mit Clopidogrel und Phenprocoumon und dann nur noch antikoaguliert werden.
▶ Bei DES nach ACS sollte sechs Monate mit Triple-Therapie, dann bis Ende des 12. Monats mit Clopidogrel und Phenprocoumon und dann nur noch antikoaguliert werden.
Clopidogrel sollte nach beschichtetem Stent nur für sechs Monate gegeben werden. Auf Prasugrel sollte verzichtet, Ticagrelor dagegen für zwölf Monate nach akutem Koronarsyndrom verordnet werden. Eine Triple-Therapie sollte so kurz wie möglich und mit Ziel-INR 2,0−2,5 durchgeführt werden. Prasugrel, Ticagrelor oder NOAK sollten nicht Teil einer Triple-Therapie sein. Je nach Indikation zur Plättchenhemmung und nach Stent-Beschichtung sollten nach einer minimalen Zeit einer Triple-Therapie nur noch Clopidogrel und Vitamin-K-Antagonisten verwendet werden.
Der Autor haftet wie alle Kassenärzte mit seinem Honorar für die Kosten der von ihm verordneten Medikamente. Darüber hinaus gibt er keine Interessenkonflikte an.
* Wenn die männliche Form verwendet wird, geschieht dies nur aus Gründen der Einfachheit. Gemeint sind immer Frauen und Männer.
** Siehe die entsprechenden Einschränkungen durch die Arzneimittel-Richtlinie (Anlage III Nr. 21a) bzgl. der Verordnungsfähigkeit der Kombination von Clopidogrel mit ASS.