Neue Therapieziele bei Patienten mit Diabetes mit bewährten und neuen Medikamenten
Editorial
Editorial
Eine wichtige Änderung in der Diabetestherapie resultiert aus der Erkenntnis in den letzten Jahren, dass bei der Mehrzahl der Patienten eine gemäßigte Einstellung der Blutzuckerwerte der bessere Weg zu sein scheint. Die HbA1c-Zielwerte sollten gemeinsam mit den Patienten unter Berücksichtigung der Gesamtsituation (Komorbiditäten, Einschränkungen, Lebensalter, Lebenserwartung) gewählt werden. Bei jüngeren Patienten geht es um die Reduktion der Morbidität und der Mortalität, bei älteren vor allem um die Verbesserung der Lebensqualität, d. h. die Vermeidung von Hyperglykämie-assoziierten Symptomen und von klinisch relevanten Hypoglykämien. Dies resultiert u. a. aus den Erkenntnissen der ACCORD-Studie, die aufzeigte, dass eine zu intensive Blutzuckersenkung mit einem ungünstigen Nutzen/Risiko-Verhältnis einhergeht (1).
In der aktuellen Nationalen Versorgungsleitlinie (NVL) Diabetes mellitus Typ 2 wird für die meisten Patienten als Ziel-HbA1c ein Korridor von 6,5–7,5 % empfohlen (2). In der gerade erschienenen Empfehlung des American College of Physicians (ACP), der größten medizinischen Fachgesellschaft der USA, wird als Ziel sogar ein HbA1c von 7–8 % empfohlen. Außerdem soll eine Therapiedeeskalation erwogen werden, wenn die HbA1c-Werte im Bereich < 6,5 % liegen. Diese Empfehlung basiert auf der Analyse von sechs Leitlinien aus den USA und Europa sowie fünf relevanten Studien zur intensiven Glukosesenkung (3).
Insbesondere bei älteren Patienten mit kürzerer Lebenserwartung aufgrund von Komorbiditäten soll die Therapie eher symptom- als zielwertorientiert erfolgen. Diese neue Einschätzung hat zur Folge, dass insgesamt weniger Medikation notwendig ist, um einen nach derzeitigem Kenntnisstand bestmöglichen Therapienutzen zu erzielen. In den letzten Jahren wurden bereits einige Studien veröffentlicht, die auf dieser Basis retrospektiv untersuchten, inwieweit bei älteren Patienten bzw. Patienten mit erheblicher Komorbidität unter Umständen eine Über- bzw. Fehlversorgung mit Medikamenten durch zu niedrige HbA1c-Werte vorliegen könnte. In den USA zeigte sich dabei in NHANES-Daten (NHANES: National Health and Nutrition Examination Survey) der Jahre 2001–2010, dass sich bei Patienten mit eingeschränktem Gesundheitszustand der Anteil mit einem HbA1c von < 7 % über die Jahre nicht signifikant änderte und diese – trotz niedrigem HbA1c – weiterhin in erheblichem Umfang (um 60 %) mit Insulin oder Sulfonylharnstoffen behandelt wurden (4). Dieses Potenzial für eine Therapiedeeskalation zeigte sich auch in europäischen Daten der GUIDANCE-Studie (5).
Die andere zentrale Frage ist die Auswahl von oralen Diabetesmedikamenten. Therapie der ersten Wahl ist weiterhin das bewährte Metformin. Hier hat sich gezeigt, dass auch bei mäßig eingeschränkter Niereninsuffizienz bis zu einer glomerulären Filtrationsrate von 30 ml/min noch eine Metformintherapie durchgeführt werden kann, da die Häufigkeit von Laktatazidosen doch geringer ist als früher angenommen (6;7).
In dieser Ausgabe von AVP wird zum einen die aktuelle Beobachtungsstudie von Marcum et al. vorgestellt, bei der Patienten mit eingeschränkter Nierenfunktion von einer Metformintherapie im Vergleich zu einer Sulfonylharnstofftherapie profitierten (8;9). Außerdem werden die von einigen Seiten schon „abgeschriebenen“ Sulfonylharnstoffe noch einmal unter die Lupe genommen. Bei genauerer Betrachtung zeigt sich, dass diese durchaus noch einen relevanten Stellenwert haben, wenn sie korrekt angewendet werden (10).
Von den neueren Medikamenten konnten Empagliflozin bei Patienten mit kardialen Vorerkrankungen (11) und Liraglutid (12) – bei deutlich höheren Kosten – hoffnungsvolle Ergebnisse zeigen, die in den nächsten Jahren noch weiter untersucht werden müssen. Und das Rad dreht sich weiter: Als bereits viertes Gliflozin (SGLT-2-Inhibitor) werden in dieser AVP-Ausgabe in der Rubrik „Neue Arzneimittel“ Ertuglifozin sowie die entsprechenden Kombinationspäparate vorgestellt (13). Wenig ist von den Erwartungen an die Gliptine geblieben, die in einer aktuellen Metaanalyse die Mortalität nicht mehr senkten als Placebo oder gar keine Behandlung (14).
Ein Interessenkonflikt wird vom Autor verneint.