Medizinische Apps: Vorsicht vor dem Einfluss kommerzieller Interessen der Hersteller
In eigener Sache
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Smartphone-Applikationen (Apps) zum Thema Gesundheit und Fitness sind mittlerweile weit verbreitet. Der Einsatz einer Gesundheits- oder Medizin-App sollte zu einem direkten gesundheitlichen Nutzen für den Anwender führen. Finanzielle Interessen, z. B. von pharmazeutischen Unternehmern und Herstellern von Medizinprodukten, können Apps beeinflussen. Hersteller bzw. Anbieter sollten verpflichtet werden, verschiedene Basisdaten zur App offenzulegen, darunter Angaben zur Finanzierung, zur Werbepolitik und zu Interessenkonflikten.
Smartphone applications (apps) on health and fitness are now widely used. Using a health or medical app should result in a direct health benefit for the user. Financial interests may influence apps, eg. of pharmaceutical companies and manufacturers of medical devices. Manufacturers or providers should be required to disclose various basic data about the app, including information on financing, advertising policy and conflicts of interest.
Smartphone-Applikationen (Apps) zum Thema Gesundheit und Fitness sind mittlerweile weit verbreitet (1). Fast jeder zweite Smartphone-Nutzer (45 %) verwendet bereits Gesundheits-Apps. Ebenso viele (45 %) können sich vorstellen, dies künftig zu tun. Vom Smartphone-Hersteller vorinstallierte Apps tragen zur Verbreitung bei. Der Einsatz einer Gesundheits- oder Medizin-App sollte zu einem direkten gesundheitlichen Nutzen für den Anwender führen. Wir möchten auf die Gefahr hinweisen, dass finanzielle Interessen z. B. von pharmazeutischen Unternehmern und Herstellern von Medizinprodukten Apps beeinflussen und Vorschläge zum Umgang mit diesem Problem machen.
Eine verbindliche Definition von Gesundheits- und Medizin-Apps gibt es bisher nicht. Die AG Digital Health des Deutschen Netzwerks Versorgungsforschung hat folgenden Vorschlag formuliert (2):
Apps sind laut Medizinproduktegesetz (MPG) als Medizinprodukte zu regulieren, wenn sie die Erkennung, Verhütung, Überwachung, Behandlung oder Linderung von Krankheiten zum Ziel haben (3). Das je nach Risikoklasse zu durchlaufende EU-Konformitätsverfahren erlaubt keine Aussage über Nutzen und Risiken einer Medizin-App.
Die Einstufung in Risikoklassen erfolgt über die Zweckbestimmung. Einem mittleren, hohen bzw. sehr hohen Risiko wird Software zugeordnet, die dazu bestimmt ist, „Informationen zu liefern, die zu Entscheidungen für diagnostische oder therapeutische Zwecke herangezogen werden“ bzw. Software, „die für die Kontrolle von physiologischen Prozessen bestimmt ist“, während bei allen anderen Apps von einem geringen Risiko ausgegangen wird (4). Eine App für Atemübungen wäre z. B. der Risikoklasse I (ohne Risiko) zuzuordnen, eine Software zur Steuerung kardialer Ablationen der Risikoklasse III (hohes Risiko).
Die Bewertung neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden mit Medizinprodukten hoher Risikoklasse ist im SGB V in § 137h geregelt und im Medizinproduktegesetz (MPG) in Verbindung mit der Medizinproduktemethodenbewertungsverordnung (MeMBV)(3;5;6). Das MPG fordert den Nachweis der Eignung von Medizinprodukten für den vorgesehenen Verwendungszweck durch eine klinische Bewertung (§ 19 MPG) (3).
Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass stets der gesundheitliche Benefit der Nutzer im Vordergrund der Entwicklung von medizinischen Apps steht. Die Apps dürften weit überwiegend von Einzelpersonen oder Firmen mit der Absicht der direkten oder indirekten Gewinnerzielung entwickelt werden. Indirekt ist eine Gewinnerzielung, bei der die Nutzer nicht mit Geld sondern – sozusagen – mit persönlichen Daten bezahlen, welche der Besitzer der App für eigene Zwecke sammelt oder an andere verkauft.
Wie Gesundheitsdaten für sekundäre Zwecke und auch finanzielle Vorteile genutzt werden können, zeigt ein Beispiel aus Australien: Dort konnten Patienten mit einer App unter Angabe medizinischer Informationen einen Termin bei einem Arzt buchen (7).
Kontaktdaten von Patienten mit Arbeitsplatzverletzungen und Verkehrsunfällen wurden umgehend an eine Rechtsanwaltskanzlei weitergeleitet, die Mandanten suchte, um Schadensersatzansprüche geltend zu machen. Die Patienten hatten der Weitergabe von Daten in den Nutzungsbedingungen zugestimmt, die um ein „collection statement“ erweitert worden war. Diese Vorgabe konnte nicht geändert werden. Die Kanzlei nahm dadurch Anwaltsgebühren in Höhe von 500.000 australischen Dollar ein.
Über die Nutzung von Patientendaten hinaus bieten medizinische Apps die Möglichkeit der direkten Beeinflussung von Patienten, aber auch von Ärzten. Schon eine zunächst unbedeutend wirkende Entscheidung wie die Auswahl eines Scores kann eine vom Hersteller gewünschte Bevorzugung des eigenen Produktes ermöglichen. Wie eine App zur Bevorzugung des eigenen Produkts führen kann, verdeutlicht beispielsweise die App mit dem Namen „NOAC-Advisor“, die Ärzten bei der oralen Antikoagulation von Patienten in verschiedenen Indikationen helfen soll (8). Die Entwicklung der App wurde von einem pharmazeutischen Unternehmen gefördert, das Zulassungsinhaber eines neuen oder direkten oralen Antikoagulans (DOAK) ist. Vitamin-K-Antagonisten (VKA) werden in der App beispielsweise beim Vorhofflimmern nur als Mittel der 2. Wahl aufgeführt – Empfehlungen, die VKA in dieser Indikation als mindestens gleichwertig mit DOAK einschätzen, werden nicht berücksichtigt (9).
Dazu kommt, dass die große Mehrzahl der Gesundheits- und Medizin-Apps ohne Einschaltung medizinischer Expertise zur Anwendung kommen dürfte, wie z. B. Verschreibung durch einen Arzt. Informationen darüber, wie Medizin-Apps hoher Risikoklasse an die Nutzer gelangen, liegen zwar nicht vor, es ist jedoch davon auszugehen, dass eine Information der Nutzer über Nutzen und Risiken der Anwendungen wie vom Patientenrechtegesetz gefordert (10) und in der Gute Praxis Gesundheitsinformation ausgeführt (11), nicht sichergestellt ist.
Basisangaben, die Produzenten von Gesundheits- und Medizin-Apps bereitstellen sollten, hat das Aktionsforum Gesundheitsinformationssystem e. V. zusammengestellt: So sollten Informationen zum Nutzen, zu Einschränkungen und Risiken einer Gesundheits- oder Medizin-App transparent, umfassend und verständlich an prominenter Stelle und noch vor dem Download vorgehalten werden (12). Ist eine Sekundärverwertung von Daten des Nutzers geplant, sollte ein Warnhinweis eingefügt und eine Zustimmung verlangt werden. Um die Einschätzung der Qualität einer App zu erleichtern, sollten Quellenangaben und Informationen zur Qualifikation und zu Interessenkonflikten der Autoren dokumentiert sein. Außerdem sollten Angaben zur Finanzierung der App, zur Werbepolitik und zum Datenschutz präsent sein. Das Fraunhofer-Institut hat einen Browser mit weiteren Kriterien entwickelt, der beispielsweise von Fachgesellschaften genutzt werden kann, um medizinische Apps einheitlich und umfassend zu bewerten (13).
Grundsätzlich erfolgt die Nutzenbewertung über die unterschiedlichen Technologien hinweg nach denselben Methoden. Ein Sonderstatus für die Technologie App wäre nicht begründbar.
Ausschlaggebend für die methodischen Anforderungen der Nutzenbewertung ist der Zweck der App. Zwar ist ein einheitliches Verfahren zur Einordnung konkreter Produkte in die Risikoklassen von Medizinprodukten noch zu definieren. Schon jetzt dürfte aber deutlich sein, dass eine App wie z. B. ein ICD-Diagnose-Finder keine Bewertung erfordert. Handelt es sich um Gesundheitsinformationen im Zusammenhang mit einer medizinischen Entscheidung, ist die Gute Praxis Gesundheitsinformation anzuwenden. Der Nutzen von Apps zu Fragen von Therapie, Therapieentscheidungen, Überwachung und Selbstmanagement sollte anhand von patientenrelevanten Endpunkten, der Effektstärke und der klinischen Relevanz im geeigneten Vergleich untersucht und bewertet werden (14;15).
Als Beispiel sei eine App zur Erhöhung der körperlichen Aktivität genannt, deren Effektivität in einer randomisierten kontrollierten Studie gezeigt wurde (16). Zweihundert erwachsene Teilnehmer der Framingham-Kohorte wurden in zwei Gruppen randomisiert, die Interventionsgruppe erhielt eine Schrittzähler-Applikation mit einer Spielkomponente, die Kontrollgruppe erhielt keine Intervention. Primärer Endpunkt war der Anteil der Tage, an denen die Probanden selbst gesetzte Bewegungsziele erreichten.
Bei der Entwicklung von Apps steht nicht immer der gesundheitliche Nutzen der Anwender im Vordergrund, sondern auch das kommerzielle Interesse der Hersteller/Anbieter bzw. ihr Interesse an den Daten der Nutzer. Hersteller bzw. Anbieter sollten verpflichtet werden, verschiedene Basisdaten zur App offenzulegen, darunter Angaben zur Finanzierung, zur Werbepolitik und zu Interessenkonflikten. Bei der Bewertung des Nutzens von Gesundheits- und Medizin-Apps sind dieselben Maßstäbe anzulegen wie bei anderen medizinischen Interventionen. Prinzipien guter wissenschaftlicher Praxis und biomedizinischer Forschung müssen streng eingehalten werden, um eine zuverlässige und valide Datenbasis zu schaffen.
Ein Interessenkonflikt wird von den Autoren verneint.
Prof. Dr. med. Christopher Baethge, Prof. Dr. med. Rudolf W. C. Janzen, Prof. Dr. med. Johannes Köbberling, Prof. Dr. med. Thomas Lempert, Prof. Dr. med. Wolf-Dieter Ludwig, Prof. Dr. med. Bruno Müller-Oerlinghausen.
Dieser Artikel wurde am 28. November 2018 vorab online veröffentlicht.