Medikamentenreduktion bei geriatrischen Patienten
Therapie aktuell
Therapie aktuell
Bei geriatrischen Patienten mit Multimorbidität wird immer häufiger das Absetzen von Medikationen gefordert, vor allem in vier Situationen: bei Stürzen, bei Delirien, beim kognitiven Abbau und am Lebensende. Über die Effekte des Absetzens der Medikation finden sich bisher nur wenige Untersuchungen.
Dazu veröffentlichten Van Crammen et al. mit ihrem Team von Geriatern aus Rotterdam (Niederlande), Gent (Belgien), Brighton (Großbritannien) und Rom (Italien) kürzlich eine Untersuchung über Wirkungen einer Medikationsreduktion in den vier genannten Situationen (1).
Nach einer Literaturdurchsicht wurden von den Autoren für eine Metaanalyse englischsprachige Untersuchungen und neuere randomisierte kontrollierte Studien (RCTs) ausgewertet, indem gebräuchliche medizinische Begriffe zum Absetzen der Medikation zur Suche verwendet wurden. Es wurden solche Arbeiten verwendet, die die Wirkung der Beendigung einer Medikation bei 65-jährigen oder älteren Patienten beurteilten:
Es fanden sich 48 Studien und 210 RCTs, sowie 5 Reviews mit 2 speziellen spezifischen Artikeln, die die Effektivität des Absetzens von Medikationen bei älteren Sturzpatienten belegten. Dabei fand sich beim Sturzrisiko und bei der Fallhäufigkeit durch eine Überprüfung und entsprechende Modifikation der Medikation in verschiedenen Untersuchungen der Cochrane Library keine Wirksamkeit.
Jedoch hatte eine stufenweise Reduktion von psychotroper Medikation, verglichen mit einer Placebomedikation die Rate der Stürze signifikant reduziert. Ein entsprechendes sorgfältig konzipiertes Fortbildungsprogramm für die verschreibenden Ärzte, verbunden mit Selbstkontrollen durch die Patienten, hatte eine signifikante Abnahme der Sturzhäufigkeit zur Folge (2; 3). Dies fand sich so auch in der weiteren Literatur, allerdings nicht in Bezug auf das Gesamtrisiko, überhaupt einen Sturz zu erleiden.
Das Risiko eines medikamenteninduzierten Delirs ist hoch, besonders bei Patienten mit Demenz. Polypharmazie, veränderte Pharmakokinetik und Pharmakodynamik bei Komorbidität im Alter wirken synergistisch mit Medikationen, die das Delir-Risiko erhöhen. Insgesamt wurden durch Medikamente bis zu 39 % der Delirien bei Älteren verursacht (4).
Besonders gilt dies für Psychopharmaka, Antikonvulsiva, Antiparkinson-Medikamente, Opioid-Analgetika, gastroenteral wirkende Medikamente wie Spasmolytika, Cimetidin sowie kardiovaskulär wirkende Medikationen wie Antiarrhythmika, Digoxin, Antihypertensiva wie Betablocker oder Methyldopa und Steroide. Dabei spielt die zentrale anticholinerge Wirkung einiger dieser Medikamente wahrscheinlich die ursächliche Rolle (5).
In einer systematischen Übersicht fand sich eine verbesserte kognitive Leistung durch den Entzug psychotrop wirkender Medikamente (6). In einer anderen prospektiven Kohortenstudie mit einer systematischen Reduktion einer Polypharmazie bei teils sehr alten geriatrischen Patienten fand sich eine verbesserte Kognition bei 56 von 64 Patienten, nachdem alle nicht lebensnotwendigen Medikamente abgesetzt worden waren (7). Diese positiven Effekte auf die Kognition blieben bei Nachuntersuchungen (im Mittel 19,2 Monate) bestehen (8).
Die Therapieentscheidungen für die letzten Stunden oder Tage des Lebens bei terminalen Erkrankungen haben neben der medizinischen Routinetherapie Fragen des Rechts zur Selbstbestimmung des Patienten, der Ethik und Wirksamkeit besonderer oder riskanter medizinischer Interventionen zu beachten (9). Bei alten Patienten mit begrenzter Lebenserwartung, die bisher ermöglicht wurde durch multiple Medikationen auch zur Verhinderung ungünstiger klinischer Ereignisse (z. B. Antikoagulation, Lipidsenker), kann auf viele Medikationen verzichtet werden – insbesondere auch, um iatrogene Schädigungen zu vermeiden (10). Hierzu gibt es keine klaren Leitlinien und nur sehr wenige Untersuchungen, weswegen es notwendig ist, Kriterien für einen Konsensus herzustellen, wie sinnvolle von nicht sinnvollen Medikationen am Lebensende zu trennen und wie letztere zu vermeiden sind (11).
Ein Interessenkonflikt wird vom Autor verneint.