Isolierte distale Venenthrombose – antikoagulieren oder nicht antikoagulieren?
Kommentar
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Im Zusammenhang mit den aktuellen Leitlinien (1) werden die Ergebnisse der CACTUS-Studie (5) zur Behandlung distaler tiefer Beinvenenthrombosen mit und ohne Antikoagulation diskutiert.
Results of the „CACTUS-Study“ (5) for the therapy of distal deep vein thrombosis with or without anticoagulation are discussed in context with current guidelines (1).
Die isolierte distale Venenthrombose (TVT) betrifft die tiefen Unterschenkelvenen (Venae tibiales anteriores, tibiales posteriores, fibulares) und/oder die Muskelvenen (Gastrocnemiusvenen, Soleusvenen). Die Trifurkation oder die Vena poplitea wird dabei nicht erreicht.
Gemäß der aktuellen deutschen Leitlinie sollte die isolierte distale TVT nicht länger als drei Monate antikoaguliert werden, auch wenn sie als Rezidiv oder idiopathisch auftritt (1). Es ist bisher nicht ausreichend untersucht, ob bestimmte Patientengruppen von einer längeren oder kürzeren Behandlungsdauer bzw. von einer reduzierten Antikoagulation profitieren. Bei fortbestehender Risikoerkrankung wie Antiphospholipid-Syndrom oder aktiver Tumorerkrankung kann eine prolongierte Antikoagulation über drei Monate hinaus sinnvoll sein. Andererseits ist bei erhöhtem Blutungsrisiko bzw. bei sehr geringer Thrombuslast eine kürzere Behandlungsdauer zu erwägen, ggf. auch mit reduzierter Antikoagulanziendosis, und das dann unter sonographischer Befundkontrolle (1).
Die Leitlinie weist darauf hin, dass höhergradige Evidenzen zur Notwendigkeit der Antikoagulation fehlen. Eine kürzlich publizierte Metaanalyse (2) konnte nur eine kleine, prospektive, offene randomisierte Studie identifizieren, die eine therapeutische Antikoagulation (Nadroparin für zehn Tage) mit Kompressionsbehandlung gegen eine alleinige Kompressionsbehandlung testete. 107 Patienten mit Muskelvenenthrombose und klinisch niedrigem Propagationsrisiko (beinahe ausschließlich ambulante Patienten ohne Krebserkrankung) zeigten in beiden Gruppen eine identische Propagationsrate von 3,7 % (3).
Im Vergleich zur proximalen TVT handelt es sich bei der distalen TVT um eine prognostisch günstigere Verlaufsform, die weniger Rezidive und seltener ein postthrombotisches Syndrom (PTS) verursacht, wobei beides klinisch nicht zu vernachlässigen ist. Es scheint klar zu sein, dass eine Wadenvenenthrombose in die proximalen Venen aszendieren muss, um ein Risiko für eine Lungenembolie oder ein relevantes PTS darzustellen, was nach der Leitlinie des American College of Chest Physicians (ACCP) in 15 % der Fall ist (4).
Bleibt die TVT distal, bräuchte sie mangels Folgen nicht antikoaguliert zu werden. In der CACTUS-Studie wurde nun dieser Frage nachgegangen (5). Es wurden 259 Patienten mit isolierter distaler TVT randomisiert in eine Gruppe mit therapeutischer Antikoagulation mit Nadroparin für sechs Wochen und eine Gruppe mit Plazebo. Der Anteil der Patienten mit Aszension oder Lungenembolie war nicht signifikant unterschiedlich (3 % vs. 5 %, p = 0,54). Klinisch relevante, nicht größere Blutungen waren in der Verumgruppe signifikant häufiger (4 % vs. 0 %, p = 0,0255). Danach schadet eine Antikoagulation mehr als sie nützt. Allerdings handelte es sich, wie bei solchen Studien üblich, um ein streng selektioniertes Patientenkollektiv: ausgeschlossen waren solche mit einer vorangegangenen Thromboembolie, mit aktiver Krebserkrankung oder weiter bestehenden Risikofaktoren. Zudem weist Schellong in einem Editorial (6) zu dieser Arbeit darauf hin, dass ein weiterer ganz erheblicher Selektionsprozess wirksam gewesen sein muss, weil – ganz im Gegensatz zu der hohen Prävalenz der isolierten distalen TVT in der täglichen Praxis – die Rekrutierung sehr schleppend war: In 23 Zentren aus 20 Ländern wurden nur 259 Patienten innerhalb von 76 Monaten eingeschlossen, also ca. ein Patient pro Zentrum in 7 Monaten. Das führte dazu, dass die ursprüngliche vorgesehene Patientenzahl von 572 nicht erreicht und die Studie damit underpowered war mit der Folge, dass die Konfidenzintervalle sehr weit waren, auch weil die Ereignisrate im Plazeboarm mit 5,4 % deutlich geringer als erwartet (10 %) war. Schellong vermutet, dass die verhaltene Rekrutierung auf die seinerzeitig gültige Leitlinie des ACCP zurück zu führen ist. Die CACTUS-Studie wird deshalb nur explizite Low-risk-Patienten eingeschlossen haben.
Die ACCP-Leitlinie von 2012 empfiehlt (Grade 2c, also schwache Evidenz) bei isolierter TVT ohne „schwere Symptome“ oder Risikofaktoren für eine Extension eine sonografische Verlaufskontrolle über zwei Wochen durchzuführen, bei solchen mit schweren Symptomen oder Risiken für eine Propagation soll eine Antikoagulation durchgeführt werden. In der aktuellen Ergänzung der Guideline aus 2016 (7) wird empfohlen, dass bei sonografisch nachgewiesener Ausdehnung ohne Antikoagulation diese dann durchgeführt werden soll, auch wenn sie auf die distalen Venen beschränkt bleibt. Es wird darauf hingewiesen, dass Patienten mit einem hohen Blutungsrisiko eher von der abwartenden Taktik profitieren. Empfinden die Patienten die wiederholten sonografischen Untersuchungen eher als lästig und haben sie mit einer medikamentösen Behandlung keine Probleme, sollten sie eher antikoaguliert werden.
Die CACTUS-Studie zeigt uns, dass nicht jede isolierte distale TVT antikoaguliert werden muss. Das Problem ist nur, dass es keine sicheren prädiktiven Faktoren für eine Propagation gibt. Serielle Ultraschalluntersuchungen müssen sie deshalb ausschließen. Dies scheint für Patienten mit niedrigem Risiko für eine Extension zu gelten. Eine genaue studienbegründete Definition gibt es dafür nicht. Man nimmt an, dass Patienten mit positivem D-Dimer-Test, ausgedehnter oder nahe der proximalen Venen gelegener TVT (> 5 cm Längenausdehnung, Beteiligung mehrerer Venen, > 7 mm im Diameter), mit nicht reversiblem Risikofaktor wie Krebserkrankung, TVT in der Vorgeschichte oder stationär aufgetretener Thrombose ein höheres Risiko der Propagation haben und deshalb antikoaguliert werden sollten (4).
Ein Interessenkonflikt wird vom Autor verneint.