Gasbrand nach Injektion von Arzneimitteln
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Fallbericht über eine 37-jährige Patientin, bei der nach der selbständigen intramuskulären Injektion von Epinephrin mittels Autoinjektor (sog. „Notfallpen“) das klinische Bild eines Gasbrandes durch Clostridium perfringens auftrat.
Case report of a female patient with gas gangrene due to Clostridium perfringens after intramuscular injection of epinephrine by autoinjector.
Der AkdÄ wurde der Fall einer 37-jährigen Patientin (Anamnese: Penicillin-Allergie, chronische Urtikaria) berichtet, die sich erstmalig Fastjekt® (INN Epinephrin) bei allergisch bedingter Dyspnoe selbst appliziert hatte. Nach der Injektion entwickelte sich ausgehend von der Injektionsstelle am Oberschenkel das klinische Bild eines Gasbrandes.
Die Applikation erfolgte im Oktober 2016 nach Hautdesinfektion mit einem unbekannten Mittel in den rechten Oberschenkel. Am gleichen Tag manifestierten sich dort starke, brennende Schmerzen, aufgrund derer die Patientin die Notaufnahme aufsuchte. Bei der Untersuchung war der rechte Unterschenkel deutlich umfangsvermehrt und verhärtet, bei Palpation ließen sich einzelne Bläschen in der Unterhaut ertasten, die auch sonographisch nachweisbar waren.
Nach parenteraler Gabe von Meropenem und Ciprofloxacin (aufgrund der Penicillin-Allergie) erfolgte ein Wunddebridement, bei dem nekrotisches Gewebe vom Oberschenkel und Knie entfernt wurde. Das postoperative CT zeigte einen ausgedehnten Weichteildefekt mit deutlichen Gaseinschlüssen im Bereich der lateralen und ventralen Oberschenkelmuskulatur. Die Gaseinschlüsse waren bis in die subkutanen Weichteile im Bereich des Kniegelenks nachweisbar, aber auch im suprapatellaren Recessus und im Bereich des Musculus (M.) vastus medialis, M. vastus intermedius, M. vastus lateralis und M. biceps femoris. Nach kranial reichten sie bis in den Bereich der rechten Glutealmuskulatur und nach intraabdominal über die rechte Leiste angrenzend am rechten M. iliacus. Anschließend erhielt die Patientin hyperbaren Sauerstoff, eine Schmerztherapie und Antibiotika (Meropenem, Clindamycin, Metronidazol).
Bei Fastjekt® (INN Epinephrin) handelt es sich um einen Autoinjektor (Injektionslösung in einem Fertigpen) mit Epinephrin (Adrenalin). Epinephrin ist ein physiologisches Nebennierenhormon. Es wirkt als Agonist an den adrenergen α- und β-Rezeptoren positiv inotrop und chronotrop, blutdrucksteigernd und bronchodilatorisch, erhöht das Herzzeitvolumen und hemmt die antigeninduzierte Histaminfreisetzung aus den Mastzellen. Epinephrin wird eingesetzt als Kardiostimulanz bei der Schockbehandlung, zur Notfallbehandlung schwerer allergischer Reaktionen (z. B. auf Insektenstiche, Nahrungsmittel, Medikamente oder andere Allergene) und auch bei idiopathischer oder durch Anstrengung ausgelöster Anaphylaxie (1).
Der Autoinjektor ist zum einmaligen Gebrauch bestimmt. Er ist gebrauchsfertig und kann sofort benutzt werden. Im Notfall kann durch die Bekleidung hindurch injiziert werden. Die Applikation muss in den Oberschenkel erfolgen, um eine versehentliche Injektion in ein Blutgefäß möglichst zu vermeiden, das heißt, Fastjekt® darf nicht ins Gesäß oder eine andere Körperregion (z. B. Hände oder Füße) injiziert werden. Anwendung und Applikationstechnik sind in der Fach- und Gebrauchsinformation ausführlich anhand von Abbildungen erklärt (1).
Beim Gasbrand (auch Gasödem oder Gasgangrän) handelt es sich um eine Myonekrose, die durch eine Clostridien-Infektion ausgelöst wird (überwiegend durch Clostridium (C.) perfringens, aber auch durch C. welchii, C. septicum, C. novyi u. a.) (2;3).
Es wird unterschieden zwischen exogenem Gasbrand (z. B. nach Unfällen, offenen Frakturen, Amputationen, gefäßchirugischen Eingriffen, Injektionen, Punktionen) und endogenem Gasbrand (bei peripheren arteriellen Durchblutungsstörungen, diabetischer Gangrän, Kolonkarzinom, septischem Abort) (2;4).
Der Erregernachweis erfolgt direkt (mikroskopisch aus Muskelquetschpräparat, kulturelle Isolierung, Nukleinsäure-Nachweis) oder indirekt (histologischer Nachweis charakteristischer Veränderungen in Muskelbiopsaten: scholliger Zerfall der Muskulatur, Gaseinschlüsse). Die Inkubationszeit beträgt ein bis vier (drei bis fünf) Tage (selten nur wenige Stunden) (5).
Bei den Clostridien handelt es sich um obligat anaerobe, sporen- und toxinbildende Stäbchenbakterien, die ubiquitär, insbesondere im Erdboden sowie in der normalen Darmflora und weiblichen Genitalflora, vorkommen (2;3). Im gesunden Gewebe verhindert der hohe Sauerstoffgehalt die Ansiedlung dieser Anaerobier. Über verletztes, vor allem devitalisiertes Gewebe (insbesondere Muskeln) können die Erreger in den menschlichen Körper eindringen und sich schnell vermehren (6). Die von den Erregern gebildeten Toxine zerstören die Zellmembran und hemmen die Funktionalität der Leukozyten und Erythrozyten. Dadurch werden massive Ödeme, Muskelnekrose und Hämolyse verursacht, was zu Schockzuständen führen kann. Durch die Toxin- und CO2-Bildung wird der befallene Bereich noch anaerober und die Wachstumsbedingungen für die Clostridien werden verbessert. Neuere Untersuchungen an Tiermodellen zeigten eine starke Verminderung der Durchblutung in den befallenen Bereichen infolge der Aktivierung der Thrombozyten durch die Toxine und der Bildung intravasaler Aggregate von aktivierten Thrombozyten, Fibrin und Leukozyten (7;8).
Zum klinischen Bild des Gasbrandes gehören starke Schmerzen, rasch zunehmende Weichteilschwellung, ggf. Hinweise auf Gasansammlung im Gewebe und Tachykardie (5). Aufgrund der CO2-Entwicklung sind Hautkrepitationen sowie eine Muskelfiederung im Röntgenbild und Gas in den Faszienlogen im Ultraschallbild zu erwarten. Bei offenen Wunden kann ein süßlich-fauliger Geruch durch die Stoffwechselprodukte der Erreger entstehen. (9).
Die Behandlung erfolgt durch chirurgisches Debridement und (ggf. mehrzeitige) Resektion nekrotischer Gewebeanteile in Kombination mit hochdosierten Antibiotika (Penicillin G als Mittel der 1. Wahl, 20–40 Mill. E/Tag in 3–4 Kurzinfusionen; Alternativen: Clindamycin, Metronidazol, Meropenem) sowie ggf. eine hyperbare Sauerstofftherapie, deren Nutzen aber ungeklärt ist (3;9;10). Immunsupprimierte Patienten müssen zusätzlich ein gegen Escherichia coli, Pseudomonas aeruginosa und Peptostreptokokken wirksames Antibiotikum erhalten und ggf. mit G-CSF behandelt werden (11).
Der zeitliche Zusammenhang und das Fehlen anderer möglicher Ursachen (z. B. andere Infektionen) im oben beschriebenen Fall stützen die Wahrscheinlichkeit eines kausalen Zusammenhangs. Die Sporen der Clostridien sind ubiquitär verbreitet und sehr widerstandsfähig gegen Hitze und Austrocknung. Unter anaeroben Bedingungen, wie sie in einer Wunde bestehen, können sie „auskeimen“ und sich vermehren. Möglicherweise trägt auch Epinephrin zur schnellen Vermehrung der Erreger bei, da es vasokonstriktorisch wirkt. Die schnelle Erregerausbreitung und die innerhalb weniger Stunden eingetretene systemische Infektion unterstützen in diesem Fall die Kausalität.
Gasbrand war früher eine häufige und in der Regel tödlich verlaufende Infektion nach Verletzungen und operativen Eingriffen. Durch die Einführung moderner Sterilisations- und Desinfektionsmaßnahmen sowie durch den Einsatz wirksamer Antibiotika sind Gasbrandfälle sehr selten geworden, aber auch in der heutigen Zeit nicht völlig vermeidbar (3;12;13). Clostridien-Sporen zeigen große Toleranz gegenüber alkoholischen Desinfektionsmitteln (Isopropanol, Ethanol, Octenidin) (3;14;15) . Manche Autoren schlagen daher eine Hautdesinfektion mit jodhaltigen Antiseptika (PVP-Jod) vor, die wirksam gegen die Clostridien-Sporen sein sollen (6). Eine Desinfektion ist z. B. bei der Verabreichung von Fastjekt® nicht zwingend vorgesehen, das Arzneimittel soll im Notfall durch die Kleidung verabreicht werden (1).
In der Literatur finden sich seit den 1960er Jahren mindestens 31 Fallberichte über die Entwicklung eines Gasbrandes nach einer i.m./s.c.-Injektion von Arzneimitteln, so z. B. nach der Gabe von Epinephrin (6;16-20), Insulin (21), Chinin (22), Analgetika (15;23), Vitamin-B-Komplex (24) und Diclofenac (25). Es wurden auch Fälle von Myonekrosen nach i.v.-Drogenapplikation (26;27) und nach der i.v.-Gabe von Medikamenten berichtet (28). Es gibt auch Berichte über Gasbrand nach i.m.-Injektion von unbekannten Arzneimitteln (28;29). Injektionsbedingte Myonekrosen gelten als selten, ihr Anteil an allen Myonekrosen wird auf etwa 1–3 % geschätzt (13;17;20). Aus den bekannten Fällen geht hervor, dass es sich in der Regel um Wirkstoffe handelte, die vasokonstriktorisch oder entzündungshemmend wirken (4).
Angaben über die Häufigkeit von Nebenwirkungen gemäß den MedDRA-Häufigkeitsdefinitionen sind bei Fastjekt® nicht möglich, weil die Anzahl der tatsächlich verabreichten Packungen nicht exakt ermittelt werden kann. Als Notfallmedikament muss Fastjekt® zwar immer verfügbar sein, wird aber nicht immer verwendet und verfällt (1).
Bekannte Epinephrin-Nebenwirkungen sind Infektionen an der Injektionsstelle, Hyperglykämie, Hypokaliämie, metabolische Azidose, Angst, Anspannung, Unruhe, Schwindel, Benommenheit, Kopfschmerzen, Tremor, Tachykardie, Herzrhythmusstörungen, Palpitationen, pectanginöse Beschwerden, erhöhter Blutdruck, peripheres Kältegefühl, Hautblässe, Vasokonstriktion, Bronchospasmus, Dyspnoe, Lungenödem, Übelkeit, Erbrechen, Schwitzen und Schwäche. Bei besonders empfindlichen Personen oder bei versehentlicher i.v.-Gabe können zerebrale Blutungen auftreten, sowie nach versehentlicher Injektion in Hände oder Füße periphere Ischämien.
Aus Postmarketingberichten sind Fälle von schweren Haut-Weichgewebe-Infektionen bekannt, einschließlich durch Clostridien hervorgerufene nekrotisierende Fasziitis und Myonekrose.
In der öffentlich recherchierbaren Datenbank des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) sind insgesamt 68 Verdachtsmeldungen über 207 Nebenwirkungen zu Fastjekt® erfasst. Häufig gemeldet werden Probleme mit dem Handling des Autoinjektors (Geräteausfall, Verletzung in Verbindung mit dem Gerät, Funktionsstörung eines Gerätes, Problem mit einer Nadel) sowie versehentliche Exposition gegenüber einem Produkt, Schmerzen, Hypästhesie, Hämatom, Schwellung, Blässe oder Ischämie an der Injektionsstelle sowie auch Dyspnoe und die Verabreichung eines Präparats mit abgelaufenem Verfallsdatum.
Bis zum 31.07.2017 waren darunter keine weiteren Meldungen einer Clostridien-Infektion oder eines Gasbrandes nach der Gabe von Fastjekt®. In der Europäischen Datenbank gemeldeter Verdachtsfälle von Arzneimittelnebenwirkungen (EudraVigilance) finden sich unter den Verdachtsberichten zu Epinephrin keine Fälle von Gasbrand (Fastjekt® ist national in Deutschland und nicht zentral in der EU zugelassen).
In der BfArM-Datenbank finden sich zwölf Gasbrand-Verdachtsmeldungen nach der Injektion von Arzneimitteln. Ein Zusammenhang wurde vermutet mit insgesamt 33 verschiedenen Wirkstoffen: Glukokortikoide (Prednisolon, Hydrokortison, Dexamethason), Zytostatika (Cyclophosphamid, Doxorubicin, Cabazitaxel, Cisplatin, Cytarabin, Docetaxel, Etoposid, Vincristin), Immunsuppressiva (Mycophenolat mofetil, Methotrexat, Ciclosporin) sowie Benzalkoniumchlorid, Etanercept, Etoricoxib, Hyaluronsäure (intraartikuläre Injektion), Mesalazin, Rituximab u. a. Zu Epinephrin wurden keine weiteren Fälle gemeldet. Bei einigen Verdachtsmeldungen ist der Applikationsweg unklar, bei anderen wurden die Arzneimittel per os verabreicht, sodass zumindest ein zeitlicher Zusammenhang mit der Injektion eines Arzneimittels nicht immer besteht. In zehn der Fälle sind die Patienten verstorben, in einem Fall erfolgte eine Beinamputation.
Ein Zusammenhang zwischen der Auslösung eines Gasbrandes und der Injektion von Fastjekt® ist im vorliegenden Fall wahrscheinlich. Die Kausalität wird von den in der Literatur berichteten Einzelfällen gestützt.
Durch die ubiquitäre Verbreitung der Clostridien und deren hohe Toleranz gegenüber Antiseptika können Gasbrandfälle im Zusammenhang mit der Injektion eines Arzneimittels nicht völlig verhindert werden. Auch sind keine wirksamen Präventionsmaßnahmen bekannt. Umso wichtiger ist die kritische und evidenzbasierte Indikationsstellung zur i.m.- oder s.c.-Gabe, insbesondere von vasokonstriktorischen bzw. entzündungshemmenden Wirkstoffen. Des Weiteren müssen Patienten, denen solche Wirkstoffe verabreicht werden bzw. die sich diese selbst verabreichen, darüber informiert und für die Notwendigkeit eines sofortigen Arztkontakts beim Auftreten von starken Schmerzen im Injektionsbereich sensibilisiert werden. Tödliche Verläufe sind nur dann zu verhindern, wenn die Diagnose frühzeitig gestellt wird und sofort adäquate therapeutische Maßnahmen eingeleitet werden.
Verdachtsfälle einer Gasbrandentwicklung im Zusammenhang mit der Verabreichung von Arzneimitteln sollen der AkdÄ gemeldet werden (http://www.akdae.de/Arzneimittelsicherheit/UAW-Meldung/index.html).
Ein Interessenkonflikt wird von den Autoren verneint.