Diabetes mellitus Typ 2: Behandlungsziele und Therapie
Übersichtsarbeiten
Übersichtsarbeiten
Weitere Autoren: Dr. med. Günther Egidi, Bremen; Professor Dr. med. Ulrich A. Müller, Jena
Einleitung*
Typ-2-Diabetes mellitus (T2DM) ist eine häufige Erkrankung. 6–8 % der Gesamtbevölkerung sind davon betroffen. Dies entspricht mehr als 6,5 Millionen Personen in Deutschland. T2DM entwickelt sich zumeist langsam. Typische Hyperglykämie-Symptome wie Polydipsie, Polyurie, Müdigkeit und ungewollter Gewichtsverlust sind häufig nicht vorhanden, werden nicht erkannt oder werden dem normalen Älterwerden zugeschrieben.
*Der Artikel basiert auf:
Müller UA, Egidi G, Klinge A: Elsevier Essentials: Diabetes. Das Wichtigste für Ärztinnen und Ärzte aller Fachrichtungen Diabetes. 1. Auflage. München: Urban & Fischer/Elsevier, 2021. ISBN: 978-3-437-21421-9.
Relevante Studien werden explizit zitiert. Auf die Zitierung der jeweils aktuellen Fachinformation zum 01.12.2022 wird aus Gründen der Lesefreundlichkeit verzichtet.
Therapieziele bei Diabetes mellitus
Welche Therapieziele sollen für jüngere und ältere Patienten mit Typ-2-Diabetes gesetzt werden?
Die Senkung deutlich erhöhter Glukosewerte bzw. HbA1c-Werte beseitigt Symptome einer Hyperglykämie und kann diabetische Folgeerkrankungen vermindern. Je höher der HbA1c-Wert vor Beginn oder Intensivierung der Glukosesenkung ist, umso höher ist auch der Nutzen zur Vermeidung von Folgeerkrankungen. Für eine Senkung HbA1c-Senkung unter 7,0 % konnte in randomisierten Interventions-Studien kein Nutzen hinsichtlich einer Reduktion von Mortalität und mikrovaskulären Endpunkten nachgewiesen werden.
HbA1c-Zielwerte
Diabetes mellitus bedeutet ein unterschiedliches Risiko für ältere und jüngere Patienten – dementsprechend brauchen wir unterschiedliche HbA1c-Ziele. In den westlichen Ländern ging die Sterblichkeit an T2DM in den letzten Jahrzehnten deutlich zurück, in den USA z. B. im Vergleich der Jahre 1988–1994 und 2010–2015 von 23,1 auf 15,2 pro 1.000 Personenjahre. Diese Tendenz war bei Männern und bei den 65-74-Jährigen am stärksten ausgeprägt. Bei den 20-44-Jährigen konnte sie nicht nachgewiesen werden. Interessanterweise sank die Sterblichkeit bei Menschen mit Diabetes stärker als bei Personen ohne Diabetes. Damit verlor die Krankheit einen Teil ihrer Übersterblichkeit.
In Schweden wurde 2018 eine Untersuchung veröffentlicht, die zeigte: Das Risiko von Menschen mit Diabetes unterschied sich nicht von dem Stoffwechsel Gesunder, wenn keine weiteren kardiovaskulären Risikofaktoren bestanden (1). Bei Menschen mit Diabetes war die Höhe des HbA1c der stärkste Prädiktor für Herzinfarkt und Schlaganfall.
Das ist die Rationale dafür, dass das durchschnittliche HbA1c des zurückliegenden Jahres in den hausärztlichen Risikorechner für das kardiovaskuläre Risiko arriba® eingefügt wurde.
arriba® ist eine Bibliothek der Entscheidungshilfen (Shared Decision Aids) für die gemeinsame Entscheidungsfindung in der (haus)ärztlichen Konsultation. Mit dem arriba®-Modul »Kardiovaskuläre Prävention« können Ärzte für Ihre Patienten eine individuelle Risikoprognose für Herzinfarkt und Schlaganfall erstellen. Die Wahrscheinlichkeit für einen Patienten einen Herzinfarkt oder Schlaganfall zu erleiden, wird optisch demonstriert, die Effekte von Verhaltensänderungen oder medikamentöser Therapien werden anschaulich dargestellt. Ärzte und Patienten können so über eine dem objektiven kardiovaskulären Gesamtrisiko und den subjektiven Präferenzen des Patienten gleichermaßen Rechnung tragende Therapie gemeinsam entscheiden.
Neben dem Modul »Kardiovaskuläre Prävention« gibt es weitere Module z. B. zu den Behandlungsanlässen Diabetes mellitus, Antikoagulation bei chronischem Vorhofflimmern, depressive Störungen und Krebsfrüherkennungsuntersuchung. Weitere Informationen unter: https://arriba-hausarzt.de/.
Das Ausmaß der durch einen Diabetes erhöhten Sterblichkeit hängt nach einer schwedischen Untersuchung wesentlich vom Alter ab. Unabhängig vom Alter ging sie deutlich zurück. Bei der letzten Erhebung war sie bei den unter 55-Jährigen mit Diabetes noch mehr als verdoppelt im Vergleich zu Stoffwechselgesunden. Bei den über 75-Jährigen unterschied sie sich dagegen kaum noch von der von Menschen ohne Diabetes (2).
Generell ging in den westlichen Ländern die Sterblichkeit bei Menschen mit Diabetes noch stärker zurück als bei Personen ohne die Krankheit. Vermutlich liegt der Rückgang der Sterblichkeit nicht nur an einer Senkung der Blutglukose, sondern eher an der Behandlung anderer Risikofaktoren und dem allgemeinen Rückgang des Rauchens.
Und wie weit soll ich das HbA1c nun senken?
Wenn Antidiabetika eingesetzt werden, sollte im Allgemeinen ein HbA1c zwischen 7,0 und 8,0 % angestrebt werden. Bei über 75-jährigen Menschen und/oder Personen mit Lebenserwartung von bis zu zehn Jahren reicht es meist aus, das HbA1c nicht über 8,5 % ansteigen zu lassen.
Bei der Nationalen VersorgungsLeitlinie (NVL) Typ-2-Diabetes (3) haben sich die Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM) und die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ) für HbA1c-Ziele von 7,0–8,0 % im Allgemeinen und bei den über 75-Jährigen bzw. bei Menschen mit einer Lebenserwartung unter 10 Jahren von unter 9,0 % eingesetzt. Bei HbA1c > 9,0 % wird ein Diabetes oft symptomatisch (Durst, Harndrang, Schwäche). Die Schwelle dafür kann im Einzelfall höher oder auch niedriger liegen. Die Patienten sollten genau nach Symptomen gefragt werden – oft berichten sie sie sonst erst rückblickend nach einer Besserung der Stoffwechselsituation. Das Disease Management Programm (DMP) Diabetes ist eine gute Gelegenheit, solche Fragen zu stellen.
Was empfiehlt die NVL Diabetes?
Zwischen Arzt und Patient sollen regelmäßig gemeinsam individuelle Therapieziele vereinbart werden. Dabei soll in verständlicher Form eine vollständige Aufklärung über Nutzen und Schaden erfolgen. Das Ergebnis der gemeinsamen Entscheidungsfindung soll dokumentiert werden. Dabei sollen Patientenpräferenzen, Alter, Komorbidität und Art der eingesetzten Therapie berücksichtigt werden.
Generell sollte bei der medikamentösen Behandlung jüngerer und sonst gesunder Patienten mit T2DM ein HbA1c nahe am unteren Zielwert von 7,0 % angestrebt werden, wenn dies nicht zu relevanten Hypoglykämien führt. Bei den über 70-Jährigen und/oder bei Personen mit eingeschränkter Lebenserwartung, eingeschränkten funktionellen und kognitiven Fähigkeiten und ausgeprägter Komorbidität/Multimedikation sollten eher weniger ehrgeizige HbA1c-Ziele angestrebt werden.
Ansonsten ist die Nierenfunktion entscheidungsrelevant: Metformin und Sulfonylharnstoffe sind bei höhergradiger Einschränkung der Nierenfunktion kontraindiziert. Mit Insulin kann dann behandelt werden, aber da Insulin über die Niere ausgeschieden wird, ist hier besonders aufmerksam auf mögliche Hypoglykämien zu achten.
Für die verschiedenen Natrium-Glukose-Cotransporter-2-(SGLT-2)-Inhibitoren (Gliflozine) und Glucagon-like-Peptid-1-(GLP-1)-Rezeptor-Agonisten gelten unterschiedliche Zulassungen bzw. Kontraindikationen bei schwerer Niereninsuffizienz. Die jeweiligen aktuellen Fachinformationen müssen beachtet werden.
Therapie des T2DM mit oralen Antidiabetika und GLP-1-Rezeptor-Agonisten
Einleitung
Vor Beginn einer pharmakologischen antidiabetischen Therapie sollte geklärt werden:
Antidiabetika mit gesicherter günstiger Beeinflussung klinischer und patientenrelevanter Endpunkte
Metformin (Biguanide)
Die Angabe der Tagestherapiekosten basiert auf einer Kostenberechnung nach Apothekenverkaufspreis anhand der größten verfügbaren Packung des kostengünstigsten Präparates (ohne Parallel- und Reimporte) unter Berücksichtigung der Dosierung gemäß Produktinformation. Quelle: Lauer-Taxe, Stand: 01.12.22.
Dosierung
Laktatazidose unter Metformin ist sehr selten, aber eine schwerwiegende metabolische Komplikation. Meist spielen hier andere Faktoren (Komedikation, schwerste Hypoxie, akutes Nierenversagen, vorbestehende Niereninsuffizienz, usw.) eine Rolle. Bei akuter Verschlechterung der Nierenfunktion kommt es zur Kumulation von Metformin, die das Risiko einer Laktatazidose erhöht.
Informationen für Patienten
Sulfonylharnstoffe (Glibenclamid, Glimepirid)
MODY-Diabetes steht für „Maturity-Onset Diabetes of the Young“ also für den Erwachsenendiabetes, der bei Jugendlichen auftritt. MODY wird autosomal-dominant vererbt und tritt typischerweise vor dem 25. Lebensjahr familiär gehäuft auf. Er resultiert in erster Linie aus einem Defekt der Beta-Zell-Funktion aufgrund von Mutationen in sechs Genen, sodass in allen MODY-Formen die Insulinausschüttung gestört ist.
Dosierung
Informationen für Patienten
GLP-1-Rezeptor-Agonisten
Dosierung
Ausgewählte Nebenwirkungen
Informationen für Patienten
SGLT-2-Inhibitoren
Dosierung
Ausgewählte Nebenwirkungen
Informationen für Patienten
Antidiabetika ohne gesicherte günstige Beeinflussung klinischer und patientenrelevanter Endpunkte
Glinide (Repaglinid, Nateglinid)
DPP-4-Inhibitoren
Dosierung
Ausgewählte Nebenwirkungen
Algorithmus „Medikamentöse Therapie des T2DM“
Der in Abbildung 2 dargestellte Algorithmus „Medikamentöse Therapie des T2DM“ stammt aus der NVL Typ-2-Diabetes und bildet die gemeinsame Sichtweise der verschiedenen Fachgesellschaften und Organisationen auf Basis systematischer Recherchen ab. Der Algorithmus bezieht sich nicht auf Patienten mit schwerer Stoffwechseldekompensation bzw. Notfallsituationen.
Therapie bei Patienten mit niedrigem kardiovaskulärem Risiko
Therapie bei Patienten mit manifester kardiovaskulärer Erkrankung
Therapie bei hohem kardiovaskulärem Risiko
Therapie bei Patienten mit fortgeschrittener Niereninsuffizienz
Die Behandlung des T2DM hat sich in den vergangenen Jahren deutlich gewandelt. Sowohl die technischen Therapieziele (HbA1c, Blutdruck, Cholesterin) als auch die verwendeten Therapien müssen an die spezielle Situation des einzelnen Patienten angepasst werden.
Durch die Einführung von Substanzen, die neben einer (nur geringen bis moderaten) Blutzuckersenkung das Auftreten von kardiovaskulären Ereignissen und/oder die Gesamtmortalität reduzieren, liegt der Fokus nicht mehr auf einer alleinigen Blutzuckersenkung und die Ziele für den HbA1c sind weniger strikt geworden. Die neue NVL Typ-2-Diabetes spiegelt diese Entwicklung wider.
Die Autoren geben an, keine Interessenkonflikte zu haben.