Enzalutamid: Hepatotoxizität und DILI
Rubrik: Fallberichte
Der Fallbericht
Der AkdÄ wurde der Fall eines 78-jährigen Patienten vorgestellt, bei dem ein ossär metastasiertes Prostatakarzinom mit Infiltration in die Blase und Ureteren seit drei Monaten bekannt war. Einen Monat nach der Diagnose des Prostatakarzinoms begann der Patient die antihormonelle Therapie mit Bicalutamid (Testosteronrezeptorblocker), Leuprorelin s.c. (GnRH-Analogon) und Denosumab (RANKL-Antikörper um Knochenabbau zu verhindern). Bicalutamid wurde nach einem Monat durch Enzalutamid (Androgen-Rezeptor-Antagonist) ersetzt. Des Weiteren nahm er Pantoprazol bzw. Esomeprazol, Tamsulosin, Mirtazapin und Metamizol ein. Enzalutamid wurde nach etwa vier Wochen abgesetzt, nachdem ein deutlicher Anstieg der Transaminasen und der Cholestaseparameter aufgefallen war: GOT 520 U/I, GPT 488 U/I, AP 628 U/I, GGT 149 U/I.
Eine Woche später wurde der Patient stationär aufgenommen wegen Bluterbrechens bei refluxbedingtem blutenden Ösophagusulkus mit beginnenden hämorrhagischem Schock und akutem Leberversagen. Bei Aufnahme zeigte sich eine weitere Erhöhung der Leberwerte: Bilirubin 3,5 mg/dl, GOT 604 U/l, GPT 724 U/l, AP 1320 U/l, GGT 591 U/l. Die Hepatitis-Serologie war negativ und die Virusserologie ergab keinen Anhalt für eine aktive Adenoviren-, CMV-, EBV- oder HSV-Infektion. Die Immunserologie zeigte normwertige Titer für ANA und dsDNA. Magnetresonanz-Cholangiopankreatikographie (MRCP) ergab keine Zeichen einer mechanischen Cholestase, die Leberhistologie zeigte portale und periportale entzündliche Infiltrate mit Eosinophilen sowie eine kanalikuläre Cholestase. Es bestand kein Hinweis auf einen länger bestehenden Schaden oder eine Autoimmunhepatitis, sodass eine medikamentös-toxische Ursache als möglich erachtet wurde.
Im weiteren Verlauf des stationären Aufenthalts zeichnete sich zunächst eine langsame Besserung aller Leberparameter ab, sodass ein Reexpositionsversuch gegenüber Enzalutamid unternommen wurde, da eine Hepatotoxizität für das Medikament nicht beschrieben ist. Nach Reinduktion von Enzalutamid war jedoch im kurzfristigen Verlauf ein erneuter Anstieg insbesondere der GGT, der alkalischen Phosphatase und des Bilirubinwerts zu verzeichnen, sodass die Therapie daraufhin erneut abgebrochen wurde. Weitere potenziell hepatotoxische Medikamente (insbesondere Mirtazapin) wurden auch nicht weiter verabreicht. Nebenbefundlich fiel eine schwere asymptomatische Hypokalzämie auf, die oral substituiert wurde. Die Denosumab-Gabe wurde abgebrochen. Angesichts des prolongierten Verlaufs ohne erkennbare Stabilisierung der Cholestaseparameter und der Leberfunktion erfolgte zwei Wochen nach Hospitalisierung eine Prednisolon-Stoßtherapie, unter der Bilirubin und alkalische Phosphatase – bei anhaltend erhöhter GGT – sich normalisierten. Die Transaminasen waren im Verlauf bereits spontan abgefallen. Empfohlen wurde eine Therapieumstellung auf eine antihormonelle Zweitlinientherapie zum Beispiel mit Abirateron nach Stabilisierung der hepatischen Situation.
Das Arzneimittel
Enzalutamid hemmt kompetitiv die Androgenbindung an Androgenrezeptoren und hemmt infolgedessen die Translokation aktivierter Rezeptoren in den Nukleus sowie die Bindung an die DNA, sogar bei Überexpression von Androgenrezeptoren und auch in Prostatakarzinomzellen, die resistent gegenüber Antiandrogenen sind. Die Behandlung mit Enzalutamid verringert das Wachstum der Prostatakarzinomzellen und kann den Zelltod der Krebszellen und eine Tumorregression induzieren. Enzalutamid ist zugelassen als Monotherapie oder in Kombination mit einer Androgenentzugstherapie zur Behandlung von metastasiertem oder nicht metastasiertem hormonsensitivem Prostatakarzinom (1).
Das Krankheitsbild
Viele Arzneimittel werden über die Leber verstoffwechselt und können Leberschädigungen verursachen, die entweder hepatozellulär, cholestatisch oder als eine Mischform eingeordnet werden. Eine akute Leberschädigung durch Medikamente (DILI, drug induced liver injury) wird entweder direkt (dosisabhängig und vorhersehbar, zum Beispiel durch Paracetamol) oder seltener idiosynkratisch (dosisunabhängig und unvorhersehbar) ausgelöst. Möglich ist auch die indirekte immunvermittelte akute Leberschädigung, die mit einer gewissen Latenz auftritt (z. B. durch Checkpoint-Inhibitoren) (2).
Die Laborwerte und die histologischen Befunde legen im vorliegenden Fall nah, dass hier das Bild eines gemischten akuten Leberzellschaden (cholestatisch-hepatozellulär) mit einer persistierenden Cholestase vorliegt. Ein Leberversagen ist aber auszuschließen, da kein Koma, keine Störung der Gerinnung und eine nur mäßige Bilirubin-Erhöhung auftraten. Infektiöse oder autoimmune Ursachen wurden weitgehend ausgeschlossen. Gegen eine Leberschädigung als Folge einer Ischämie sprechen der Verlauf der Leberenzyme sowie die hohen Cholestaseparameter. Eine medikamentöse Ursache ist daher möglich.
Bewertung der Kausalität
Der Abbau von Enzalutamid erfolgt über CYP2C8- und weniger CYP3A4, gleichzeitig ist Enzalutamid ein starker CYP3A4-Induktor. Laut Risk Management Plan zu Xtandi® gibt es derzeit keine Hinweise auf eine direkte oder dosisabhängige Hepatotoxizität im Zusammenhang mit Enzalutamid (3). In der Fachinformation finden sich unter Leber- und Gallenerkrankungen nur erhöhte Leberenzyme als gelegentliche Nebenwirkungen von Enzalutamid wieder (1). LiverTox (siehe Kasten) stuft Enzalutamid als unwahrscheinliche Ursache einer klinisch relevanten Leberschädigung ein (4). Begründet wird dies damit, dass in klinischen Studien vor der Zulassung Transaminasenerhöhungen zwar bei bis zu 10 % der Patienten unter Enzalutamid auftraten, diese aber nicht schwer, vorübergehend und asymptomatisch waren. Fälle von Ikterus und Hepatitis traten nicht auf. Seit der Zulassung und der breiteren Anwendung von Enzalutamid seit über zehn Jahren gab es keine Fallberichte über von Hepatotoxizität. Eine klinisch apparente Leberschädigung durch Enzalutamid wird daher als selten eingestuft, aber nicht gänzlich ausgeschlossen.
Aufgrund der parallelen Gabe einiger Arzneimittel, die zum Teil auch hepatotoxisch sein können, ist für diesen Fall nicht sicher, ob Enzalutamid als verantwortlich für den DILI auszumachen ist. Der Effekt des Absetzens von Enzalutamid und der Reexposition (positive Rechallenge) könnte möglicherweise durch die Gabe von Prednisolon beeinflusst worden sein. Es ist denkbar, dass die Kombination von Arzneimitteln (z. B. Metamizol + Enzalutamid oder Mirtazepin + Enzalutamid) die Toxizität hervorgerufen hat, z. B. durch die vermehrte Bildung von toxischen Metaboliten (Enzalutamid, aber auch Metamizol, sind starke CYP3A4-Induktoren) (Tabelle 1). Die Melder gehen von einer Assoziation mit Enzalutamid aus, da im relevanten Zeitraum keine weiteren Medikationsänderungen vorgenommen worden waren.
Dies zeigt deutlich, wie schwierig eine Kausalitätsbewertung bei Verdachtsfällen von Nebenwirkungen sein kann, insbesondere wenn mehrere Arzneimittel gleichzeitig eingenommen werden bzw. wenn mehrere konkurrierende Ursachen vorliegen. Im vorliegenden Fall besteht eine mögliche Kausalität aufgrund des zeitlichen Zusammenhangs und der positiven Rechallenge. Dafür sprechen auch weitere Meldungen zu Enzalutamid in der EudraVigilance-Datenbank gemeldeter Verdachtsfälle von Arzneimittelnebenwirkungen (Tabelle 2). Dagegen, dass andere der eingenommenen Arzneimittel, die zum Teil bekannterweise hepatotoxisch sind, eine Rolle gespielt haben, spricht deren lange Einnahmezeit, in der kein DILI auftrat. Ob Enzalutamid allein ursächlich war – oder in einem Zusammenwirken mehrerer potenziell hepatotoxischer Arzneimittel – lässt sich nicht festlegen.
Es ist darauf hinzuweisen, dass Meldungen von Verdachtsfällen nicht identisch mit Nebenwirkungen sind und die Anzahl von Verdachtsfallmeldungen keinen Rückschluss auf die tatsächliche Häufigkeit der gemeldeten Reaktion erlaubt. Auch ist es ohne eine vertiefende Analyse unklar, ob die Kausalität bestätigt werden kann. Die Reaktionen werden Enzalutamid zugeschrieben, weil der Meldende den Verdacht beschreibt, dass Enzalutamid ursächlich sein könnte. Auch andere Arzneimittel können gleichzeitig mit Enzalutamid „angeschuldigt“ werden, wenn sie gleichzeitig verabreicht wurden. Die Entscheidung, welche Arzneimittel als kausal für die Reaktion anzusehen sind, treffen Meldende aufgrund ihrer klinischen Expertise und direktem Kontakt zur Patientin oder zum Patienten.
Fazit für die Praxis
Arzneimittel können Leberschädigungen bedingen und zu schweren Reaktionen führen. Die Ermittlung des „verantwortlichen“ Arzneimittel kann erschwert werden, insbesondere bei Multimorbidität und Polymedikation. Ärztinnen und Ärzte aber auch Patientinnen und Patienten sollten auf mögliche klinische Zeichen einer Leberschädigung wie Juckreiz, Ikterus und Abgeschlagenheit achten. Verdachtsfälle von Nebenwirkungen unter Enzalutamid sowie unter allen anderen Arzneimitteln sollten der AkdÄ mitgeteilt werden. Nur so können Ärztinnen und Ärzte dazu beitragen, die Arzneimittelsicherheit – und damit auch die Patientensicherheit – zu erhöhen.
Literatur
- Astellas Pharma Europe B. V. Fachinformation „Xtandi™ 40 mg/80 mg Filmtabletten“; Mai 2024.
- Zieschang M, Rosien U: Akute Schädigungen der Leber durch Arzneimittel, pflanzliche Heil- und Nahrungsergänzungsmittel. Arzneiverordnung in der Praxis 2023; 50:159–68.
- European Union Local Risk Management Plan Enzalutamide (Xtandi®). Stand: Juni 2023. Verfügbar unter: www.ema.europa.eu/en/documents/rmp/xtandi-epar-risk-management-plan_en.pdf.
- National Institute of Diabetes and Digestive and Kidney Diseases. LiverTox: Clinical and Research Information on Drug-Induced Liver Injury. Bethesda (MD); 2012.
- Europäische Datenbank gemeldeter Verdachtsfälle von Arzneimittelnebenwirkungen. Online-Zugriff auf Verdachtsmeldungen von Nebenwirkungen. [Stand: 29.11.2024] Verfügbar unter: www.adrreports.eu/de/index.html.
Interessenkonflikte
Der Autor gibt an, keine Interessenkonflikte zu haben.