Dapagliflozin (Forxiga®) – frühe Nutzenbewertung

Arzneiverordnung in der Praxis

Ausgabe 3/2023

Rubrik: Neue Arzneimittel

Dieser Artikel wurde am 4. Oktober 2023 vorab online veröffentlicht.

„Neue Arzneimittel“ ist eine Information der AkdÄ zu neu zugelassenen Arzneimitteln oder neu zugelassenen Indikationen bei Markteinführung und zu Arzneimitteln nach der frühen Nutzenbewertung durch den G-BA (§ 35a Absatz 1 SGB V). Ziel ist es, Ärztinnen und Ärzten zeitnah unabhängige und transparente Informationen zu diesen Arzneimitteln zur Verfügung zu stellen. Weitere Informationen dazu: https://www.akdae.de/arzneimitteltherapie/na.

In Kürze

  • Die Zulassung von Dapagliflozin wurde am 03.02.2023 erweitert auf Erwachsene mit symptomatischer, chronischer Herzinsuffizienz mit LVEF (linksventrikuläre Ejektionsfraktion) > 40 %.
  • Nach Einschätzung des IQWiG ist in dieser Indikation ein Zusatznutzen für Erwachsene mit Diabetes mellitus Typ 2 (T2DM) ohne chronische Nierenerkrankung (CDK) nicht belegt. Für Erwachsene ohne T2DM und für Erwachsene mit T2DM und gleichzeitiger CKD sieht das IQWiG einen Anhaltspunkt für einen nicht quantifizierbaren Zusatznutzen.
  • Aus Sicht der AkdÄ besteht für die neue Indikation ein Anhaltspunkt für einen geringen Zusatznutzen.  
  • Der G-BA beschloss einen Anhaltspunkt für einen geringen Zusatznutzen.

Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) legte die folgende Fragestellung fest und definierte dazu die zweckmäßige Vergleichstherapie (ZVT) (siehe Tabelle 1):

Arzneimittel

Dapagliflozin ist ein Inhibitor des renalen Natrium(Sodium)-Glukose-Cotransporters-2 (SGLT-2). Bei Hyperglykämie bewirkt Dapagliflozin eine verstärkte renale Glukose-Ausscheidung und damit eine insulinunabhängige Blutzuckersenkung. Der Wirkmechanismus bei Herzinsuffizienz ist noch nicht vollständig geklärt. Neben der im Vordergrund stehenden diuretischen Wirkung werden auch Effekte auf den Myokardstoffwechsel, auf Ionenkanäle und Adipokine sowie auf eine Myokardfibrose diskutiert.

Krankheitsbild

In Abhängigkeit von der linksventrikulären Ejektionsfraktion (LVEF) werden verschiedene Formen der Herzinsuffizienz unterschieden. Die Zulassungserweiterung von Dapagliflozin auf Erwachsene mit LVEF > 40 % umfasst sowohl Erwachsene mit HFpEF (Herzinsuffizienz mit erhaltener LVEF bei einer LVEF ≥ 50 %) als auch mit HFmrEF (Herzinsuffizienz mit geringgradig reduzierter LVEF bei einer LVEF von 40–49 %).

Vorgelegte Evidenz

Die Studie DELIVER (1) untersuchte, ob Erwachsene mit Herzinsuffizienz auch dann von Dapagliflozin profitieren, wenn die LVEF über 40 % liegt. Männliche und weibliche Patienten wurden etwa gleich häufig eingeschlossen. Die Teilnehmer (n = 6263) wurden im Verhältnis 1:1 zur einmal täglichen Gabe von Dapagliflozin 10 mg oder Placebo randomisiert. Zusätzlich sah das Studienprotokoll in beiden Studienarmen eine individuell optimierte Begleittherapie vor. Der primäre Endpunkt war ein kombinierter Endpunkt aus kardiovaskulärem Tod, Hospitalisierung aufgrund von Herzinsuffizienz oder notfallmäßigem Arztkontakt aufgrund von Herzinsuffizienz. Die Studie wurde ereignisgesteuert nach 1117 Ereignissen des primären Endpunktes beendet. Die Behandlungsdauer betrug im Median 27 Monate.

Dossierbewertung des IQWiG

Aus Sicht des IQWiG (2) schränken insbesondere folgende Punkte die Aussagesicherheit der Studie DELIVER ein:

  • Selektion der Studienteilnehmer: Die in DELIVER gewählten NT-proBNP-Schwellenwerte lagen deutlich höher als in aktuellen Leitlinien (Einschlusskriterien DELIVER vs. leitlinienkonforme Diagnosekriterien: ohne Vorhofflimmern/-flattern > 300 pg/ml vs. > 125 pg/ml; mit Vorhofflimmern/-flattern > 600 pg/ml vs. > 365 pg/ml).
  • Teilweise inadäquate Begleittherapie:
    • Antihypertensiva: Zu Studienbeginn war der Blutdruck bei 22 % der Patienten erhöht (systolisch ≥ 140 mmHg oder diastolisch ≥ 90 mmHg). Die mittleren Blutdruckwerte änderten sich im Studienverlauf nur geringfügig. Es ist deshalb anzunehmen, dass in der Studie DELIVER der Blutdruck bei einem relevanten Anteil der Patienten unzureichend eingestellt war.
    • Diuretika: Unter Dapagliflozin reduzierte sich im Mittel das Körpergewicht stärker als unter Placebo (–1,98 kg vs. –0,59 kg). Der unterschiedliche Gewichtsverlauf weist darauf hin, dass die diuretische Therapie unter Placebo nicht in dem Maße angepasst wurde, wie es der diuretischen Wirkung von Dapagliflozin im Interventionsarm entsprach.
    • Antidiabetika: Die Nationale Versorgungsleitlinie (NVL) (3) empfiehlt für kardiovaskulär erkrankte Patienten mit T2DM die Kombination von Metformin plus SGLT-2-Inhibitor oder Glucagon-like-Peptid-1-Rezeptoragonisten (GLP-1-RA). Bei Patienten mit hohem kardiovaskulärem Risiko soll eine individuelle Therapieentscheidung getroffen werden. Es ist unklar, wie viele Patienten in der Studie DELIVER an T2DM und einer manifesten kardiovaskulären Erkrankung litten. Aufgrund der Patientencharakteristika ist jedoch anzunehmen, dass bei den meisten Patienten mit T2DM ein „hohes“ kardiovaskuläres Risiko bestand. Im Kontrollarm wurden diese Patienten mehrheitlich nicht entsprechend den Empfehlungen der NVL behandelt: SGLT-2-Inhibitoren durften im Kontrollarm nicht eingesetzt werden und nur sehr wenige Patienten erhielten GLP-1-RA (< 3 %).
      Aus Sicht des IQWiG gilt die Empfehlung zu SGLT-2-Inhibitoren nur für Patienten ohne CKD, da laut IQWIG nur für Patienten mit normaler Nierenfunktion ausreichende Studiendaten für SGLT-2-Inhibitoren vorliegen. Eine inadäquate Therapie des T2DM bestand deshalb nach Einschätzung des IQWiG nur bei Patienten ohne CKD.

Aus Sicht des IQWiG wurde die ZVT bei Patienten mit T2DM ohne CKD nicht umgesetzt. Für die übrigen Patientengruppen (Patienten ohne T2DM oder Patienten mit komorbidem T2DM/CDK) ist laut IQWiG das Ausmaß des Zusatznutzens nicht quantifizierbar, da unklar ist, welchen Anteil Patienten mit T2DM ohne CKD an der Gesamtpopulation hatten.

Stellungnahme der AkdÄ

Die AkdÄ (4) stimmt mit dem IQWiG in folgenden Punkten überein:

  • Durch die hohen NT-proBNP-Schwellenwerte erfolgte eine Selektion zugunsten schwerer erkrankter Patienten. Es ist anzunehmen, dass Patienten mit niedrigeren NT-proBNP-Werten einen geringeren Nutzen von Dapagliflozin haben als die in der Studie DELIVER untersuchte Patientenpopulation.
  • Eine Übertragbarkeit der Studienergebnisse auf Patienten mit gut eingestelltem Blutdruck erscheint fraglich: In Subgruppenanalysen hatte Dapagliflozin eine signifikant geringere Wirksamkeit bei Patienten mit einem systolischen Blutdruck ≤ 128 mmHg. Diese Patienten wurden unter Dapagliflozin sogar numerisch etwas häufiger stationär aufgenommen als unter Placebo.
  • Die verstärkte Diurese unter Dapagliflozin erklärt zumindest teilweise die Abnahme herzinsuffizienzbedingter Hospitalisierungen. Es ist unklar, welche Wirksamkeit Dapagliflozin gezeigt hätte, wenn im Kontrollarm eine gleich starke Diurese erzielt worden wäre wie unter Dapagliflozin.

Aus Sicht der AkdÄ muss die Teilgruppe der Patienten mit T2DM ohne CKD nicht separat betrachtet werden. Die durch das IQWiG zitierte NVL (3) schränkt die Empfehlung zu SGLT-2-Inhibitoren nicht auf Patienten mit einer GFR > 60 ml/min ein. Zweifel an einer adäquaten Therapie des T2DM bestehen für die AkdÄ deshalb unabhängig von dem Vorliegen einer CKD.

Gesamtmortalität und kardiovaskuläre Mortalität wurden durch Dapagliflozin nicht beeinflusst. Die gezeigte Reduktion von herzinsuffizienzbedingten Hospitalisierungen (absolut 2,8 % über 27 Monate) ist aus Sicht der AkdÄ klinisch von eher geringer Relevanz, da keine signifikante Abnahme der Gesamthospitalisierungen bestand und keine klinisch relevante Verbesserung von Lebensqualität und Gesundheitszustand erreicht wurde. Zusammenfassend sieht die AkdÄ einen Anhaltspunkt für einen geringen Zusatznutzen.

Beschluss des G-BA

Der G-BA (5) leitet aus der Reduktion an herzinsuffizienzbedingten Hospitalisierungen und der Verbesserung der gesundheitsbezogenen Lebensqualität (≥ 15 % für den klinischen Summenscore KCCQ-OSS) einen geringen Zusatznutzen ab. Dabei sieht der G-BA wie das IQWiG und die AkdÄ Unsicherheiten bei der Patientenpopulation (Selektion von Patienten mit prognostisch ungünstigen Faktoren aufgrund hoher NT-proBNP Schwellenwerte) sowie bei der Umsetzung der ZVT (insbesondere unzureichende Blutdruckeinstellung und nur vereinzelte Behandlung des T2DM mit SGLT-2-Inhibitoren bzw. GLP-1-RA im Kontrollarm). Daher beschließt der G-BA einen Anhaltspunkt für einen geringen Zusatznutzen.

Literatur

  1. Solomon SD, McMurray JJV, Claggett B, Boer RA de, DeMets D, Hernandez AF et al. Dapagliflozin in Heart Failure with Mildly Reduced or Preserved Ejection Fraction. N Engl J Med 2022; 387(12):1089–98. doi: 10.1056/NEJMoa2206286.
  2. Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen. Dapagliflozin (Herzinsuffizienz mit LVEF > 40 %) – Nutzenbewertung gemäß § 35a SGB V: Dossierbewertung. Köln; 30.5.2023. Verfügbar unter: https://www.iqwig.de/download/a23-11_dapagliflozin_nutzenbewertung-35a-sgb-v_v1-0.pdf.
  3. Bundesärztekammer, Kassenärztliche Bundesvereinigung, Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften. Nationale Versorgungsleitlinie Typ-2-Diabetes – Langfassung; Version 3.0; AWMF-Register-Nr. nvl-001; DOI: 10.6101/AZQ/000503; 15.5.2023. Verfügbar unter: https://www.leitlinien.de/themen/diabetes.
  4. Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft. Stellungnahme der AkdÄ zur frühen Nutzenbewertung gemäß § 35a SGB V: Dapagliflozin (neues Anwendungsgebiet): chronische Herzinsuffizienz mit linksventrikulärer Ejektionsfraktion LVEF > 40 %. Berlin; 22.6.2023. Verfügbar unter: https://www.akdae.de/fileadmin/user_upload/akdae/Stellungnahmen/AMNOG/A-Z/Dapagliflozin/Dapagliflozin-230622.pdf.
  5. Gemeinsamer Bundesausschuss. Tragende Gründe zum Beschluss des Gemeinsamen Bundesausschusses über eine Änderung der Arzneimittel-Richtlinie: Anlage XII – Nutzenbewertung von Arzneimitteln mit neuen Wirkstoffen nach § 35a des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (SGB V) und Anlage XIIa ‒ Kombinationen von Arzneimitteln mit neuen Wirkstoffen nach § 35a SGB V Dapagliflozin (Neues Anwendungsgebiet: chronische Herzinsuffizienz mit linksventrikulärer Ejektionsfraktion LVEF > 40 %). Berlin; 17.8.2023. Verfügbar unter: https://www.g-ba.de/downloads/40-268-9717/2023-08-17_AM-RL-XII_Dapagliflozin_D-906_TrG.pdf.