Agranulozytose unter Metamizol: sehr selten, aber lebensgefährlich

Arzneiverordnung in der Praxis

Ausgabe 3/2023

Rubrik: Kurzmeldungen aus der Pharmakovigilanz – Nebenwirkungen aktuell

Die Fälle

Der AkdÄ werden regelmäßig Fälle von Agranulozytosen unter Metamizol gemeldet, die teilweise tödlich enden. In einigen Fällen wurde die Agranulozytose trotz typischer Symptome erst nach Tagen diagnostiziert und die Therapie verzögert begonnen. Häufig liegt dabei ein indikationsübergreifender Einsatz oder „Selbstmedikation“ vor.

  • Eine 20-jährige Patientin bekam Metamizol zur Migränebehandlung (bei Bedarf 30 Tropfen). Nach einigen Tagen traten erste aphthöse Veränderungen im Mund sowie Fieber und Nachtschweiß auf. In Annahme einer bakteriellen Infektion wurden Cefuroxim und Clindamycin verordnet sowie eine Folgeverordnung für Metamizol ausgestellt. Letzteres wurde weitere vier Tage eingenommen. Nach weiterer Verschlechterung der Beschwerden stellte sich im Labor eine Agranulozytose dar, und die Patientin musste stationär behandelt werden.
  • Ein 37-jähriger Patient nahm ohne ärztliche Verordnung oder Rücksprache über mehrere Tage Metamizol gegen Rückenschmerzen ein. Einige Tage später stellte er sich mit Halsschmerzen und starken Schluckbeschwerden in der Notaufnahme vor. Bei Agranulozytose, Sepsiskonstellation und Peritonsillarabszess erfolgte eine Laryngoskopie mit Abszesstonsillektomie. Die Agranulozytose zeigte sich im Verlauf vollständig regredient. Aufgrund verschiedener Komplikationen musste der Patient über mehrere Wochen stationär behandelt und mehrfach intubiert werden.
  • Eine 71-jährige Patientin wurde aufgrund einer Synkope unklarer Genese in der Notaufnahme vorstellig. Eigenanamnestisch berichtete sie, dass sie seit zwei Wochen Schmerzen im Mundbereich hatte und dagegen vom Arzt Novaminsulfon-Tabletten bekam (alle 3 Stunden 500 mg). Die Dauermedikation bestand unter anderem aus Methotrexat (als Fertigspritze, 1 x pro Woche, Indikation: Psoriasis). Bei Aufnahme zeigte sich ein akutes Nierenversagen. Als Ursache wurden eine ausgeprägte Exsikkose (aufgrund der Schmerzen war keine orale Nahrungseinnahme möglich) sowie renaltoxische Effekte von Methotrexat angenommen. Die starken Halsschmerzen wurden durch eine ausgeprägte orale Mukositis als mögliche Nebenwirkung von Methotrexat bedingt. Im Labor zeigte sich eine Panzytopenie. Da sich hierfür in der Knochenmarkuntersuchung kein Anhalt einer hämatologischen Neoplasie zeigte, erschien eine verstärkte Hämatotoxizität durch die gleichzeitige Gabe von Methotrexat und Novaminsulfon als Ursache wahrscheinlich. Unter Flüssigkeitsersatz, kalkulierter antibiotischer Therapie, Schmerztherapie mit Fentanyl und der Gabe von G-CSF besserte sich der Zustand der Patientin und es kam zu einer Normalisierung der Hämatopoese.

Von einer Agranulozytose spricht man bei einem Abfall der neutrophilen Granulozyten unter 500/μl. Ein erhöhtes Risiko für schwere Infektionen besteht vor allem, wenn die Neutrophilen im peripheren Blut < 100/μl sinken. Unter Metamizol sind zudem auch Bizytopenie (zusätzlicher Abfall der Thrombozyten), Panzytopenie oder aplastische Anämie mögliche Nebenwirkungen (2).

Metamizol und Novaminsulfon sind Synonyme für ein und denselben Wirkstoff.

Bewertung

Agranulozytosen sind sehr selten und werden überwiegend durch Arzneimittel ausgelöst (1). Eine Metamizol-induzierte Agranulozytose kann sich in einem variablen Zeitraum unter der Therapie entwickeln: bereits nach erster Gabe bis hin zu Monaten nach Therapiebeginn, in einigen Fällen auch erst kurz nach Absetzen von Metamizol. Die Symptome einer Agranulozytose sind in der Regel zunächst unspezifisch. Eine typische Symptomtrias sind Fieber, Halsschmerzen und entzündliche Schleimhautläsionen (z. B. ulzerierende Angina tonsillaris, Stomatitis aphthosa). Bei später Diagnose kann es zu schweren septischen Verläufen kommen (3).

Die zusätzliche Gabe von Metamizol zu Methotrexat kann die Hämatotoxizität von Methotrexat verstärken, insbesondere bei älteren Patienten. Diese Kombination sollte deshalb vermieden werden (2).

Fazit

Metamizol sollte nur innerhalb der zugelassenen Indikationen verordnet werden (2) (siehe unten). Patienten müssen über das Risiko der Agranulozytose und mögliche Warnsignale wie Fieber, Halsschmerzen und Entzündungen der Mundschleimhäute aufgeklärt werden. Beim Auftreten verdächtiger Symptome sollte Metamizol pausiert und umgehend das Differenzialblutbild kontrolliert werden. Bei längerer Anwendung von Metamizol sollten regelmäßige Blutbildkontrollen durchgeführt werden (3). Zudem sollten Patienten darauf hingewiesen werden, dass sie dieses Arzneimittel zu einem späteren Zeitpunkt aufgrund anderer Beschwerden nicht ohne vorherige Rücksprache mit einem Arzt einnehmen oder an andere weitergeben dürfen. Die gleichzeitige Gabe von Methotrexat und Metamizol sollte vermieden werden (4).

Da eine Agranulozytose unter Metamizol übersehen werden und potenziell lebensgefährlich verlaufen kann, wurde in Deutschland die Indikation Metamizol-haltiger Arzneimittel eingeschränkt auf:

  • akute starke Schmerzen nach Verletzungen oder Operationen,
  • Koliken,
  • Tumorschmerzen,
  • sonstige akute oder chronische starke Schmerzen, soweit andere therapeutische Maßnahmen nicht indiziert sind,
  • hohes Fieber, das auf andere Maßnahmen nicht anspricht.

Literatur

  1. Andersohn F, Konzen C, Garbe E. Systematic review: agranulocytosis induced by nonchemotherapy drugs. Annals of Internal Medicine 2007; 146(9):657–65. doi: 10.7326/0003-4819-146-9-200705010-00009.
  2. A. Nattermann & Cie. GmbH. Fachinformation Novalgin® Filmtabletten; Juli 2022.
  3. Stamer UM, Gundert-Remy U, Biermann E, Erlenwein J, Meiβner W, Wirz S et al. Metamizol: Überlegungen zum Monitoring zur frühzeitigen Diagnose einer Agranulozytose. Schmerz 2017; 31(1):5–13. doi: 10.1007/s00482-016-0160-3.
  4. Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft. Aus der UAW-Datenbank Agranulozytose nach Selbstmedikation mit Metamizol. Dtsch Arztebl 2023; 120(15):A-685 / B-585.