Akuttherapie der Migräne mit oder ohne Aura bei Erwachsenen

Arzneiverordnung in der Praxis

Ausgabe 3/2023

Rubrik: Therapie aktuell

Migräne

Für Kopfschmerzen besteht eine Lebenszeitprävalenz von etwa 66 %, für Migräne von 12 bis 16 % (1). Frauen sind zwei bis dreimal so häufig von Migräne betroffen wie Männer. Migräne ist einerseits eine häufige Ursache für vorübergehende, jedoch erhebliche körperliche Einschränkungen und andererseits aber auch mit anderen Erkrankungen wie beispielsweise Depression, Angsterkrankungen und vaskulären Erkrankungen assoziiert (1).

Evidenzbasierter Behandlungsstandard: Akuttherapie

Migräneattacken leichter bis mäßiger Intensität können mit Acetylsalicylsäure (1000 mg als Brausetablette), Paracetamol (1000 mg als Tablette oder Suppositorium) oder einem nichtsteroidalen Antirheumatikum (NSAR, z. B. Ibuprofen 400 bis 600 mg als Tablette oder Suppositorium) behandelt werden (2). Bei Übelkeit und Erbrechen ist die Zugabe von Metoclopramid zu einem Analgetikum bzw. NSAR sinnvoll und kann die Wirkung von Analgetika verbessern (3). Bei Erbrechen sollten Analgetika vorzugsweise als Suppositorien eingenommen werden.

Vor der Einführung der Triptane waren Ergotamin und Dihydroergotamin Mittel der Wahl zur Behandlung starker Migränekopfschmerzen. Sie sind jedoch den Triptanen hinsichtlich der Wirksamkeit und Nebenwirkungen unterlegen und werden daher inzwischen praktisch nicht mehr eingesetzt (2, 4).

Bei schweren Migräneattacken, die nicht auf ein Analgetikum oder NSAR ansprechen, ist eine Behandlung mit einem Triptan sinnvoll. Triptane sind den unspezifischen Analgetika und Ergotaminpräparaten hinsichtlich der Wirksamkeit bei Migräne überlegen (4). Aktuell sind sieben Triptane verfügbar, die sich hinsichtlich ihrer Wirklatenz, Wirkstärke und Wirkdauer unterscheiden. Im Vergleich zu Sumatriptan sind bei oraler Einnahme Rizatriptan und Eletriptan rascher wirksam, Naratriptan und Frovatriptan sind dagegen eher verzögert wirksam (2). Die stärker und rascher wirksamen Triptane sind in der Regel auch mit stärkeren Nebenwirkungen behaftet. Häufige Nebenwirkungen der Triptane sind Übelkeit, Schwindel, Parästhesien und Müdigkeit.

Wenn die Wirkung verschiedener Triptane bei oraler Applikation unzureichend ist, sollte eine parenterale Anwendung erfolgen. Der schnellste Wirkeintritt und die höchste Wirksamkeit ist für die subkutane Gabe von Sumatriptan belegt, die Wirkung setzt hier nach etwa zehn Minuten ein (5). Nachteile dieser Applikationsform sind allerdings die höhere Rate an Nebenwirkungen und die deutlich höheren Kosten. Alternativ ist die Kombination eines oralen Triptans mit ASS oder einem NSAR wirksamer als die jeweilige Monosubstanz (4). Bei Migräne mit frühem Auftreten von Übelkeit und Erbrechen empfiehlt sich eine Applikation der Triptane als Nasenspray, Suppositorium oder subkutan. Je früher ein Triptan appliziert wird, umso besser wirkt es. Um aber einen Kopfschmerz durch Übergebrauch von Schmerz- oder Migränemitteln zu vermeiden, sollten Triptane erst eingenommen werden, wenn der Patient den Kopfschmerz sicher als Migräneattacke identifizieren kann. Bei Triptanen gibt es einen fast linearen Zusammenhang zwischen der Einnahmehäufigkeit und dem Risiko der Entwicklung eines Kopfschmerzes durch Übergebrauch von Medikamenten (6). Bei einer hohen Frequenz von Migräneattacken ist daher eine prophylaktische Therapie sinnvoll (siehe (7)). Prinzipiell sollten Wirkstoffe zur Akuttherapie der Migräne durchschnittlich nicht häufiger als an zehn Tagen pro Monat eingenommen werden, um einer Chronifizierung von Kopfschmerzen zu vermeiden. Bei Migräne mit Aura wird die Applikation eines Triptans aus Sicherheitsgründen erst nach der Auraphase empfohlen.

Einige Triptane (Almotriptan, Naratriptan, Sumatriptan) sind in kleinen Packungen mit zwei Tabletten als nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel erhältlich. Sie können bei gelegentlich auftretenden Migräneattacken eingesetzt werden, sind aber für die Behandlung von häufig auftretenden Migräneattacken ungeeignet. Hierzu hat kürzlich der G-BA klargestellt, dass verschreibungspflichtige Packungsgrößen nicht unwirtschaftlich sind, wenn die Migräneattacken mehrmals pro Monat auftreten. Mehr dazu: Beitrag auf Seite 196.

Eine in der klinischen Praxis häufige Behandlungsentscheidung betrifft Patienten mit kardiovaskulärem Risikoprofil. Triptane sind Agonisten am Serotonin-HT1B/-HT1D-Rezeptor und besitzen vasokonstriktive Eigenschaften vorwiegend im extrazerebralen arteriellen System. Aus theoretischen Gründen besteht daher eine Kontraindikation gegen Triptane bei erhöhtem kardiovaskulärem Risikoprofil (u. a. koronare Herzerkrankung, Zustand nach Schlaganfall, unkontrollierte arterielle Hypertonie). Diese Patienten konnten bis Einführung von Lasmiditan (siehe unten) lediglich mit konventionellen Analgetika und NSAR behandelt werden. Zumindest bei Patienten ohne diese vaskulären Kontraindikationen sprechen populationsbezogenen Studien gegen ein relevantes vaskuläres Risiko durch Triptane (8-10). Aussagekräftige epidemiologische Daten für Patienten mit koronarer Herzerkrankung und anderen vaskulären Kontraindikationen liegen allerdings nicht vor. Eine retrospektive Schätzung geht davon aus, dass in den USA bis zu 20 % der Patienten mit Migräne Kontraindikationen gegen Triptane haben (11). Epidemiologische Daten der deutschen Bevölkerung hierzu sind nicht bekannt.

Theoretisch können Triptane bei gleichzeitiger Anwendung mit anderen serotonergen Arzneimitteln, z. B. selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI), Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer (SNRI), trizyklische Antidepressiva (TCA) oder Monoaminoxidase (MAO)-Hemmer zu einem Serotoninsyndrom führen, in der klinischen Praxis ist dies jedoch sehr selten (2). Da Eletriptan, Naratriptan und Frovatriptan kaum über das MAO-System metabolisiert werden, kann das Risiko durch Einsatz dieser Wirkstoffe weiter minimiert werden.

Von den beiden neuen, seit 2022 zur Akuttherapie der Migräne in Deutschland zugelassenen Wirkstoffen Rimegepant und Lasmiditan, ist bisher nur Lasmiditan (Rayvow®) auf dem deutschen Markt zum 1. März 2023 eingeführt worden. Lasmiditan ist ein Wirkstoff aus der Gruppe der „Ditane“, es handelt sich um Serotonin-HT1F-Rezeptoragonisten ohne vasokonstriktive Wirkung an den Koronararterien. Lasmiditan ist daher im Gegensatz zu Triptanen auch für Patienten mit deutlich erhöhten vaskulären Risikofaktoren zugelassen, obwohl Studien zu dieser Population bisher fehlen (2). Der Gemeinsame Bundesausschuss hat zwischenzeitlich die Nutzenbewertung von Lasmiditan nach § 35a SGB V abgeschlossen (12). Der Zusatznutzen von Lasmiditan ist für Erwachsene mit Migräne mit oder ohne Aura, die einer Akutbehandlung bedürfen, nicht belegt. Der pharmazeutische Unternehmer legte für die genannte Patientengruppe keine Daten zur Bewertung des Zusatznutzens von Lasmiditan gegenüber der zweckmäßigen Vergleichstherapie vor. Die drei vorgelegten Studien LAHJ (SAMURAI), LAHK (SPARTAN) und LAIJ (CENTURION) sind randomisierte kontrollierte Studien, die Lasmiditan mit Placebo bei der Akutbehandlung der Kopfschmerzphase von Migräne-Attacken mit oder ohne Aura vergleichen. Im indirekten Vergleich ist Lasmiditan ähnlich wirksam, wie Triptane (2). Wegen zentralen Nebenwirkungen (Schwindel, Müdigkeit) muss mindestens acht Stunden nach Einnahme von Lasmiditan auf das Führen von Kraftfahrzeugen verzichtet werden. Die Kosten für Lasmiditan sind etwa zehnfach höher im Vergleich zu den Triptanen.

Versorgungssituation in Deutschland

Die medizinische Behandlung von Patienten mit Migräne in Deutschland ist verbesserungswürdig. In einer großen, für die erwachsene Bevölkerung in Deutschland repräsentativen Studie zeigte sich, dass etwa drei Viertel der Patienten mit Migräne zur Attackenbehandlung verschreibungsfreie Analgetika einnehmen (13). Zu dem gleichen Ergebnis kam eine große retrospektive Beobachtungsstudie in Deutschland, in der nur 21,2 % der Patienten mit Migräne ein Triptan zur Attackenbehandlung verschrieben wurde, 74,2 % dagegen ein Analgetikum bzw. NSAR (14). In einer weiteren epidemiologischen Studie behandelten nur 11 % der Teilnehmer mit Migräne in Deutschland Attacken mit einem Triptan (15). Über ein Drittel der Migränepatienten, die sich in einer deutschen Spezialambulanz vorstellte, hatte zuvor keine Attackenbehandlung gemäß Leitlinien erhalten (16).

Literatur

  1. Bigal ME, Lipton RB. The epidemiology, burden, and comorbidities of migraine. Neurol Clin 2009; 27(2):321–34. doi: 10.1016/j.ncl.2008.11.011.
  2. Diener HC, Förderreuther S, Kropp P et al.: Therapie der Migräneattacke und Prophylaxe der Migräne, S1-Leitlinie, DGN und DMKG. In: Deutsche Gesellschaft für Neurologie (Hrsg.): Leitlinien für Diagnostik und Therapie in der Neurologie. AWMF-Registernummer: 030/057; 18.10.2022. Verfügbar unter: register.awmf.org/assets/guidelines/030-057l_S1_Therapie-der-Migraeneattacke-Prophylaxe-der-Migraene_2023-01.pdf.
  3. Kirthi V, Derry S, Moore RA. Aspirin with or without an antiemetic for acute migraine headaches in adults. Cochrane Database Syst Rev 2013; 2013(4):CD008041. doi: 10.1002/14651858.CD008041.pub3.
  4. Cameron C, Kelly S, Hsieh S-C, Murphy M, Chen L, Kotb A et al. Triptans in the Acute Treatment of Migraine: A Systematic Review and Network Meta-Analysis. Headache 2015; 55 Suppl 4:221–35. doi: 10.1111/head.12601.
  5. Tfelt-Hansen P. Sumatriptan for the treatment of migraine attacks--a review of controlled clinical trials. Cephalalgia 1993; 13(4):238–44. doi: 10.1046/j.1468-2982.1993.1304238.x.
  6. Lipton RB, Serrano D, Nicholson RA, Buse DC, Runken MC, Reed ML. Impact of NSAID and Triptan use on developing chronic migraine: results from the American Migraine Prevalence and Prevention (AMPP) study. Headache 2013; 53(10):1548–63. doi: 10.1111/head.12201.
  7. Brevern M von. Medikamentöse Prophylaxe der Migräne mit und ohne Aura bei Erwachsenen: Status quo. Arzneiverordnung in der Praxis (AVP) 2022; 49(1–2):13–5.
  8. Velentgas P, Cole JA, Mo J, Sikes CR, Walker AM. Severe vascular events in migraine patients. Headache 2004; 44(7):642–51. doi: 10.1111/j.1526-4610.2004.04122.x.
  9. Hall GC, Brown MM, Mo J, MacRae KD. Triptans in migraine: the risks of stroke, cardiovascular disease, and death in practice. Neurology 2004; 62(4):563–8. doi: 10.1212/01.wnl.0000110312.36809.7f.
  10. Diener H-C. The Risks or Lack Thereof of Migraine Treatments in Vascular Disease. Headache 2020; 60(3):649–53. doi: 10.1111/head.13749.
  11. Dodick DW, Shewale AS, Lipton RB, Baum SJ, Marcus SC, Silberstein SD et al. Migraine Patients With Cardiovascular Disease and Contraindications: An Analysis of Real-World Claims Data. J Prim Care Community Health 2020; 11:2150132720963680. doi: 10.1177/2150132720963680.
  12. Gemeinsamer Bundesausschuss (G-BA). Tragende Gründe zum Beschluss des Gemeinsamen Bundesausschusses über eine Änderung der Arzneimittel-Richtlinie: Anlage XII – Nutzenbewertung von Arzneimitteln mit neuen Wirkstoffen nach § 35a des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (SGB V) und Lasmiditan (Migräne Akutbehandlung). Berlin; 5.10.2023. Verfügbar unter: www.g-ba.de/downloads/40-268-9833/2023-10-05_AM-RL-XII_Lasmiditan_D-932_TrG.pdf.
  13. Radtke A, Neuhauser H. Prevalence and burden of headache and migraine in Germany. Headache 2009; 49(1):79–89. doi: 10.1111/j.1526-4610.2008.01263.x.
  14. Roessler T, Zschocke J, Roehrig A, Friedrichs M, Friedel H, Katsarava Z. Administrative prevalence and incidence, characteristics and prescription patterns of patients with migraine in Germany: a retrospective claims data analysis. J Headache Pain 2020; 21(1):85. doi: 10.1186/s10194-020-01154-x.
  15. Katsarava Z, Mania M, Lampl C, Herberhold J, Steiner TJ. Poor medical care for people with migraine in Europe - evidence from the Eurolight study. J Headache Pain 2018; 19(1):10. doi: 10.1186/s10194-018-0839-1.
  16. Ziegeler C, Brauns G, Jürgens TP, May A. Shortcomings and missed potentials in the management of migraine patients - experiences from a specialized tertiary care center. J Headache Pain 2019; 20(1):86. doi: 10.1186/s10194-019-1034-8.

Interessenkonflikte

Der Autor gibt an, keine Interessenkonflikte zu haben.