Behandlung von Schmerzen bei peripherer diabetischer Polyneuropathie

Arzneiverordnung in der Praxis

Ausgabe 3/2023

Rubrik: Therapie aktuell

Unter dem Begriff „diabetische Neuropathie“ werden Schädigungsmuster zusammengefasst, die infolge eines Diabetes mellitus an den peripheren Nerven auftreten. Es gibt unterschiedliche Formen der diabetischen Neuropathie.

Die distale symmetrische Form der diabetischen Polyneuropathie beginnt in der Regel an den Füßen und steigt symmetrisch auf. Bereits bei einer Prädiabetes findet sich häufig eine Neuropathie der kleinen, unmyelinisierten Nerven (Small-Fiber-Neuropathie), deren Symptome Parästhesien und Veränderung der Sudomotorik an den Füßen sind. Im weiteren Verlauf kommt es zu Einschränkungen der Vibrationsempfindung und der Propriozeption. Auch das Schmerz- und Temperaturempfinden sind beeinträchtigt. Weiterhin kann es zur Entstehung des sogenannten „diabetischen Fußes“ kommen: Fehlstellungen des Fußes, schnelle Entstehung von Wunden und Wundheilungsstörung.

Die proximale asymmetrische Form der diabetischen Neuropathie ist seltener und kommt vor allem bei älteren Patienten vor. Geschädigt werden die motorischen Anteile des Plexus lumbosacralis, insbesondere des Nervus femoralis, der Nervi glutei und des Nervus obturatorius, mit der Folge einer Muskelatrophie (diabetische Amyotrophie).

Einige Verlaufsformen der diabetischen Polyneuropathie manifestieren sich vor allem an Nerven des vegetativen Nervensystems und führen zu Störungen der Sudomotorik, Peristaltik und Pupillomotorik sowie zu Tachykardie, orthostatischer Hypotonie und erektiler Dysfunktion (1, 2).

Behandlung von Schmerzen bei diabetischer Polyneuropathie

Für die Behandlung neuropathischer Schmerzen sind zwei Leitlinien der AWMF von Bedeutung (3, 4). Dabei wird keine Unterscheidung in der Ätiologie der neuropathischen Schmerzen vorgenommen. Es handelt sich um multimodale Therapieansätze, bei denen neben Arzneimitteln auch Physio- und Psychotherapie zur Anwendung kommen.

Medikamentöse Behandlung

Systemische Arzneimittel

  • Antidepressiva: Trizyklische Antidepressiva wie Amitriptylin und Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer (SNRI) wie Duloxetin sind Erstlinientherapie bei der Schmerzlinderung.
  • Antikonvulsiva: Kalziumkanalblocker wie Gabapentin und Pregabalin sind ebenfalls Erstlinientherapie bei neuropathischen Schmerzen. Alternativ werden Natriumkanalblocker eingesetzt wie Lamotrigin, wobei die Wirksamkeit weniger gut ist. Carbamazepin und Oxcarbazepin werden nur bei der Trigeminusneuralgie empfohlen.
  • Opioide: Opioidbasierte Schmerzmittel wie Tramadol oder schwächere Opioide können ebenfalls in Betracht gezogen.
  • Cannabisarzneimittel: Für Cannabinoide gibt es bisher wenig gute Evidenz der Wirksamkeit bei neuropathischen Schmerzen (5, 6). Sie werden daher nicht empfohlen.

Aktuelle Informationen zum evidenzbasierten Einsatz von Cannabisarzneimitteln finden Sie im kürzlich erschienenen WirkstoffAktuell: Cannabisarzneimittel: www.akdae.de/fileadmin/user_upload/akdae/Arzneimitteltherapie/WA/Archiv/Cannabis.pdf.

  • Kombinationstherapien: Die Kombination von antineuropathischen Arzneimitteln mit unterschiedlichem Wirkmechanismus wird in der Praxis oft gegeben, hat aber in Studien einen unklaren Stellenwert (7). Die Leitlinie empfiehlt sie, um insgesamt die Dosis der eingesetzten Medikamente zu reduzieren (4). Gerade bei diabetischer Polyneuropathie scheinen die Kombinationen Amitriptylin + Pregabalin, oder Duloxetin + Pregabalin oder Pregabalin + Amitriptylin gleichwertig zu sein (8).

Topische Arzneimittel

Lokale Anwendungen von Capsaicin-Cremes oder Lidocain-Pflastern können zur Schmerzlinderung beitragen. Ebenso kann hochdosiertes Capsaicin (8 %) verwendet werden.

Physiotherapie

Physiotherapie und Rehabilitation können dazu beitragen, Bewegungseinschränkungen und Schmerzen zu reduzieren.

Transkutane elektrische Nervenstimulation (TENS)

TENS-Geräte verwenden elektrische Impulse, um die Schmerzsignale zu stören und die Schmerzen zu lindern.

Psychotherapie

Bei neuropathischen Schmerzen können eine psychologische Unterstützung und Therapie hilfreich sein, um den Umgang mit Schmerzen und die Bewältigung von Stress zu verbessern.

Lebensstiländerungen

Parallel zur Behandlung der Schmerzen sollte der Diabetes sowohl medikamentös als auch hinsichtlich Ernährung und Lebensstil gut eingestellt sein.

Therapiealternativen für refraktäre Schmerzen

Bei Nichtansprechen der oben genannten Therapien stehen noch Baclofen, intravenöses Lidocain oder eine Rückenmarkstimulation zur Verfügung. Insbesondere der letzteren sollte ein interdisziplinäres Assessment vorgeschaltet sein, um den biopsychosozialen Ursachen von Schmerzen gerecht zu werden.

Komorbiditäten bestimmen die Entscheidung für die verschiedenen Therapien. Da die Patientinnen und Patienten oft auch an einem metabolischen Syndrom leiden und/oder älter sind, sind insbesondere kardiovaskuläre Risikofaktoren/Komorbiditäten und kognitive Einschränkungen (z. B. Sedierung) zu berücksichtigen. Daher werden gerne lokale Therapien angewandt. Alternativ können Therapien kombiniert und geringere Dosierungen eingesetzt werden (7, 8). Patientinnen und Patienten mit einer komorbiden Depression sollten eher mit einem Antidepressivum behandelt.

Literatur

  1. AMBOSS. Diabetes mellitus, diabetische Polyeuropathie [Stand: 11.10.2023]. Verfügbar unter: www.amboss.com/de (Zugangsdaten erforderlich).
  2. Russell, James W.; Zilliox, Lindsay A. (2014): Diabetic Neuropathies. In: CONTINUUM: Lifelong Learning in Neurology 20, S. 1226–1240. doi: 10.1212/01.CON.0000455884.29545.d2.
  3. Häuser W, Ziegler D, Viniol A, Schäfer M, Hupfer K, Freys S et al. Leitlinie Langzeitanwendung von Opioiden bei chronischen nicht-tumorbedingten Schmerzen (LONTS): AWMF-Leitlinien-Register Nr. 145/003, 2. Aktualisierung; 2020. Verfügbar unter: register.awmf.org/assets/guidelines/145-003l_S3_LONTS_2020-10.pdf.
  4. Schlereth T et al. Diagnose und nicht interventionelle Therapie neuropathischer Schmerzen: S2k-Leitlinie, AWMF-Registernummer: 030/114; Version 1.2. In: Deutsche Gesellschaft für Neurologie (Hrsg.), Leitlinien für Diagnostik und Therapie in der Neurologie; Mai 2019. Verfügbar unter: dgn.org/leitlinie/diagnose-und-nicht-interventionelle-therapie-neuropathischer-schmerzen.
  5. Zubcevic K, Petersen M, Bach FW, Heinesen A, Enggaard TP, Almdal TP et al. Oral capsules of tetra-hydro-cannabinol (THC), cannabidiol (CBD) and their combination in peripheral neuropathic pain treatment. Eur J Pain 2023;27(4):492–506. doi: 10.1002/ejp.2072.
  6. Kassenärztliche Bundesvereinigung, Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft. Cannabisarzneimittel. Dtsch Arztebl 2023; 120: Beilage "WirkstoffAktuell" 03/2023.
  7. Balanaser M, Carley M, Baron R, Finnerup NB, Moore RA, Rowbotham MC et al. Combination pharmacotherapy for the treatment of neuropathic pain in adults: systematic review and meta-analysis. Pain 2023;164(2):230–51. doi: 10.1097/j.pain.0000000000002688.
  8. Tesfaye S, Sloan G, Petrie J, White D, Bradburn M, Young T et al. Optimal pharmacotherapy pathway in adults with diabetic peripheral neuropathic pain: the OPTION-DM RCT. Health Technol Assess 2022;26(39):1–100. doi: 10.3310/RXUO6757.

Interessenkonflikte

Die Autorin gibt an, keine Interessenkonflikte zu haben.