Weniger ist mehr: Elf Empfehlungen für eine bessere Behandlung im Krankenhaus

Arzneiverordnung in der Praxis

Ausgabe 2/2023

Krankenhaus aktuell

Choosing Wisely ist eine 2012 in den USA gestartete internationale Bewegung, die darauf zielt, unnötige medizinische Leistungen zu reduzieren (1). In Deutschland inspirierte sie die Initiative „Klug entscheiden“, die neben Überversorgung auch Unterversorgung adressiert (2). Die US-amerikanische Gesellschaft für Krankenhausmedizin (Society of Hospital Medicine, SHM) hat im Rahmen der Choosing Wisely-Initiative eine Liste mit elf Empfehlungen zusammengestellt, die Ärzte und Patienten beachten sollten (3). Die Empfehlungen wurden aus 150 Vorschlägen in einem mehrstufigen, modifizierten Delphi-Verfahren verabschiedet. Sie sollen die Indikationsqualität für verschiedene diagnostische und therapeutische Maßnahmen verbessern:

  1. Kein Urinkatheter bei nicht kritisch kranken Patientinnen und Patienten!

Katheterassoziierte Harnwegsinfektionen sind die am häufigsten im Gesundheitswesen erworbenen Infektionen. Sie gehen einher mit einer erhöhten Mortalität und höheren Gesundheitskosten. Deswegen rechtfertigen laut SHM Inkontinenz, Bequemlichkeit oder die Überwachung der Ausscheidung die Anlage eines Urinkatheters nicht. Ein Urinkatheter kann sinnvoll sein bei schwer kranken Patienten, beispielsweise im Hospiz, oder perioperativ.

  1. Keine routinemäßige Verordnung von Arzneimitteln zur Prophylaxe von Stressulzera!

Bei Patienten, die nicht auf einer Intensivstation liegen, wird von einer Verordnung vor allem aufgrund der möglichen Nebenwirkungen abgeraten, darunter nosokomiale Pneumonie und Clostridium difficile-Infektion.

  1. Keine Transfusion vor Erythrozytenkonzentraten bei symptomlosen Patienten mit grenzwertigem Hämoglobin-Wert!

Bei der Entscheidung für eine Transfusion sollte nicht nur der Hämoglobin-Wert (ab 7–8 g/dl) berücksichtigt werden, sondern auch andere Faktoren, darunter insbesondere der klinische Zustand des Patienten.

  1. Keine telemetrische Überwachung außerhalb der Intensivstation ohne entsprechende Leitlinienempfehlungen!  

Da eine telemetrische Überwachung bei Chest-Pain-Patienten mit einem niedrigen Risiko und einem unauffälligen EKG zu falsch positiven Ergebnissen und konsekutiven Fehlern in der Patientenbetreuung führen kann, sollten Leitlinien zur Telemetrie beachtet werden (4;5).

  1. Keine wiederholten Blutentnahmen für Laborkontrollen bei stabilen Patienten!

Häufige Blutentnahmen können zu einer Anämie beitragen, die beispielweise bei Patienten mit kardiorespiratorischen Erkrankungen relevante Konsequenzen haben kann.

  1. Keine Opioide zur Behandlung von leichten Schmerzen!

Zur Behandlung von mäßig starken und starken Schmerzen sollten Opioide in der niedrigsten wirksamen Dosis über einen möglichst kurzen Zeitraum eingesetzt werden, und nur in Kombination mit Nicht-Opioiden und Adjuvanzien, darunter Antiepileptika und Antidepressiva. Grund für diese Empfehlung der SHM sind vor allem die Gefahr von Abhängigkeit und Überdosierung.

  1. Keine Sauerstofftherapie um die periphere kapillare Sauerstoffsättigung (SpO2) auf > 96 % zu halten, außer bei Kohlenmonoxidvergiftung, Clusterkopfschmerzen, Sichelzellkrise oder Pneumothorax!

Eine höhere Sauerstoffsättigung ist bei einer Reihe von schweren Krankheiten mit einer erhöhten Mortalität und Morbidität verbunden, darunter Herzstillstand und Schlaganfall, und sollte deswegen vermieden werden.

  1. Möglichst keine Störung des Nachtschlafs von Patienten!

Arbeitsabläufe sollten so umgestaltet werden, dass Patienten nachts besser schlafen. Unzureichender Schlaf bei Krankenhauspatienten wird beispielsweise mit erhöhtem Blutdruck, Hyperglykämie und Delir in Verbindung gebracht. Zu Schlafstörungen tragen Lärm und Licht ebenso bei wie pflegerische Maßnahmen, beispielsweise die Messung der Vitalparameter. Nichtpharmakologische Maßnahmen sollten primär angewendet werden, um den Schlaf der Patienten zu verbessern, beispielsweise durch die Verringerung von Lärm und Licht sowie die Minimierung unnötiger Patientenkontakte. Auch Schlafhilfen wie Ohrstöpsel, Augenmasken und Entspannungstechniken können einen gewissen Nutzen bringen.

  1. Keine Bestimmung von Kreatinkinase (CK) oder Kreatinkinase Muscle-Brain (CK-MB) bei Verdacht auf akutes Koronarsyndrom oder akuter Myokardinfarkt!

Entsprechend den aktuellen Leitlinien ist die Bestimmung des kardialen Troponins der Labortest der Wahl in der Diagnostik des akuten Koronarsyndroms bzw. des akuten Myokardinfarkts. Troponin ist sensitiver und spezifischer als die CK-MB.  

  1. Keine täglichen Röntgenaufnahmen des Thorax außer bei spezifischen klinischen Indikationen!

Früher regelmäßig auf Intensivstationen durchgeführt, hat sich inzwischen gezeigt, dass routinemäßige Aufnahmen nicht zu Änderungen in der Therapie von Patienten führen, jedoch zu unnötiger Strahlenexposition und überflüssigen nachfolgenden Untersuchungen.

  1. Keine routinemäßige venöse Thromboembolie-Prophylaxe (VTE) für alle hospitalisierten Patienten!

Das Risiko für eine VTE sollte bei jedem Patienten individuell abgeschätzt werden, ebenso wie das Risiko für Blutungen. Von der SHM wird die Verwendung von Risikorechnern empfohlen, die bisher allerdings nicht in prospektiven Studien unabhängig validiert wurden (6-8). Bei Patienten mit einem hohen Blutungsrisiko sollte laut SHM eine mechanische VTE-Prophylaxe erwogen werden, wie beispielsweise die intermittierende pneumatische Kompression durch luftgefüllte Manschetten.

Fazit

Die Choosing wisely-Empfehlungen der US-amerikanischen Gesellschaft für Krankenhausmedizin bieten mit klaren Negativ-Empfehlungen Unterstützung bei der Indikationsstellung für verschiedene diagnostische und therapeutische Maßnahmen. Darüber hinaus stärken sie den Mut, auch einmal etwas nicht zu tun.

Literatur

  1. ABIM Foundation: Choosing wisely: https://www.choosingwisely.org/. Letzter Zugriff: 30. Mai 2023.
  2. Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin: Initiative „Klug Entscheiden“ https://www.klug-entscheiden.com/einfuehrung/initiative-der-dgim. Letzter Zugriff: 30. Mai 2023.
  3. Murphy CJ, Schram AW: Should 'daily labs' be a quality priority in hospital medicine? Cleve Clin J Med 2022; 89: 685-688.
  4. Sandau KE; Funk M, Auerbach A: Update to practice standards for electrocardiographic monitoring in hospital settings: a scientific statement from the American Heart Association. Circulation 2017; 136: e273-e344.
  5. Meurer WJ, Barth BE: Telemetry bed usage for patients with low-risk chest pain: https://www.aaem.org/UserFiles/file/Telemetry-FinalBODAprvd41920toPost.pdf (letzter Zugriff: 30. Mai 2023). Clinical Practice Statement, reviewed/updated: 2011.
  6. MDCalc: Padua Prediction Score for Risk of VTE: https://www.mdcalc.com/calc/2023/padua-prediction-score-risk-vte. Letzter Zugriff: 30. Mai 2023.
  7. MDCalc: Geneva Risk Score for Venous Thromboembolism (VTE) Prophylaxis: https://www.mdcalc.com/calc/10073/geneva-risk-score-venous-thromboembolism-vte-prophylaxis. Letzter Zugriff: 30. Mai 2023.
  8. MDCalc: IMPROVE Risk Score for Venous Thromboembolism (VTE): https://www.mdcalc.com/calc/10349/improve-risk-score-venous-thromboembolism-vte. Letzter Zugriff: 30. Mai 2023.

Interessenkonflikte

Die Autorin gibt an, keine Interessenkonflikte zu haben.