Difelikefalin (Kapruvia®) ▼ – frühe Nutzenbewertung

Arzneiverordnung in der Praxis

Ausgabe 2/2023

Neue Arzneimittel

Dieser Artikel wurde am 24. April 2023 vorab online veröffentlicht.

In Kürze

  • Difelikefalin ist zugelassen zur Behandlung erwachsener Hämodialysepatienten mit mäßigem bis schwerem Pruritus im Zusammenhang mit einer chronischen Nierenerkrankung (CKD-aP).
  • Nach Einschätzung des IQWiG und der AkdÄ ist der Zusatznutzen nicht belegt.
  • Der G-BA folgte dieser Einschätzung und beschloss, dass der Zusatznutzen nicht belegt ist.

Difelikefalin ist ein selektiver κ(Kappa)-Opioidrezeptor-Agonist. Aufgrund seiner hohen Wasserlöslichkeit weist Difelikefalin nur eine geringe ZNS-Gängigkeit auf. Difelikefalin aktiviert in erster Linie periphere κ-Opioidrezeptoren in sensorischen Neuronen, Immunzellen und Keratinozyten der Haut. Hierdurch soll das Gleichgewicht zwischen κ- und µ-Opioidrezeptor-Aktivierung wiederhergestellt werden. Zudem werden antiinflammatorische Effekte diskutiert.

Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) legte die folgende Fragestellung fest und definierte dazu die zweckmäßige Vergleichstherapie (ZVT):

Vorgelegte Evidenz

Vom pharmazeutischen Unternehmer (pU) wurden die randomisierten, kontrollierten Schwesterstudien KALM-1 (1) und KALM-2 (2) vorgelegt. Die Studien schlossen insgesamt 851 Patienten mit terminaler Niereninsuffizienz ein, die trotz adäquater, mindestens dreimal wöchentlicher Hämodialyse unter mäßigem bis schwerem CKD-aP litten. Die Patienten erhielten im Verhältnis 1:1 intravenös Difelikefalin oder Placebo zum Ende jeder Dialyse. Die randomisierte Behandlungsphase dauerte in beiden Studien zwölf Wochen. Die Intensität des Pruritus wurde mittels Worst Itching Intensity Numeric Rating Scale (WI-NRS) erfasst, die von 0 (kein Juckreiz) bis 10 (schlimmstmöglicher Juckreiz) reicht.

Primärer Endpunkt der Studien war der Anteil der Patienten mit einer Verbesserung um ≥ 3 Punkte des wöchentlichen WI-NRS-Durchschnittscores in Woche 12. Der primäre Endpunkt wurde von mehr Patienten unter Difelikefalin erreicht, wobei der Behandlungsunterschied im Vergleich zu Placebo nur in der Studie KALM-1 (43 % vs. 27 %; p < 0,001), nicht aber in der Studie KALM-2 (40 % vs. 30 %; p = 0,092) signifikant war. In der gepoolten Analyse betrug die absolute Risikoreduktion (ARR) 12 %, d. h. jeder neunte Patient profitierte von Difelikefalin hinsichtlich des primären Endpunktes.

In der gepoolten Analyse von KALM-1 und KALM-2 traten unerwünschte Ereignisse (UE) signifikant häufiger unter Difelikefalin auf als unter Placebo (68 % vs. 62 %). Auffällig ist eine numerische Häufung neurologisch-psychiatrischer Erkrankungen unter Difelikefalin (Schwindelgefühle, Somnolenz, Veränderung des Gemüts- und kognitiven Zustands), die nach Einschätzung der europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA) am ehesten auf eine zentrale Wirkung von Difelikefalin zurückzuführen ist.

Dossierbewertung des IQWiG

Aus Sicht des IQWiG (3) legt der pU keine geeigneten Studien zur Nutzenbewertung vor:

  • Die randomisierte Behandlungsphase in den Studien KALM-1 und KALM-2 ist mit zwölf Wochen zu kurz für das Anwendungsgebiet.
  • Die ZVT wurde in den Studien KALM-1 und KALM-2 nicht adäquat umgesetzt, da keine patientenindividuelle Therapie des Pruritus erfolgte.

Stellungnahme der AkdÄ

Die AkdÄ (4) schließt sich der Einschätzung des IQWiG an:

  • Der CKD-aP ist eine chronische Erkrankung. Um Wirksamkeit und Risiken einer langfristigen Behandlung abschätzen zu können, sind Studiendaten über eine Dauer von mindestens 52 Wochen erforderlich.
  • Mehr als die Hälfte der eingeschlossenen Patienten erhielten zu Studienbeginn keinerlei juckreizstillende Medikation. Sofern überhaupt eine Therapie des CKD-aP erfolgte, so wurden mehrheitlich (80 %) sedierende Antihistaminika eingesetzt, obgleich diese in aktuellen Leitlinien nicht empfohlen werden. (5) Gabapentin und Pregabalin – die erste Wahl bei CKD-aP – wurden kaum genutzt (1,3 % der Patienten). Auch eine Basistherapie mit Emollienzien ist laut den Angaben des pU nur in Einzelfällen erfolgt (< 1 % der Patienten). Im Studienverlauf durften keine neuen Therapien gegen CKD-aP begonnen werden und Dosisanpassungen sollten vermieden werden, obgleich die Behandlung des CKD-aP zu Studienbeginn offensichtlich unzureichend war (durchschnittlicher WI-NRS-Score 7). Zudem waren Therapieoptionen, die als zweite (UVB-Therapie) oder dritte Wahl (Naloxon, Naltrexon) eingestuft werden, generell nicht erlaubt. Zusammenfassend ist es aus Sicht der AkdÄ unklar, ob bei einer adäquaten Umsetzung der Vergleichstherapie (insbesondere Emollienzien und Gabapentin/Pregabalin) ein signifikanter Behandlungsunterschied zwischen Difelikefalin und Placebo bestehen würde.

Beschluss des G-BA

Die Umsetzung der ZVT wird durch den G-BA (6) nicht diskutiert. Nach Einschätzung des G-BA sind die vorgelegten Studien KALM-1 und KALM-2 bereits aufgrund ihrer lediglich zwölfwöchigen randomisierten Studienphase ungeeignet für die frühe Nutzenbewertung einer chronischen Erkrankung. Da keine geeigneten Studiendaten vorgelegt wurden, ist der Zusatznutzen laut Beschluss des G-BA nicht belegt.

Dieses Arzneimittel unterliegt einer zusätzlichen Überwachung. Dies ermöglicht eine schnelle Identifizierung neuer Erkenntnisse über die Sicherheit. Angehörige von Gesundheitsberufen sind aufgefordert, jeden Verdachtsfall einer Nebenwirkung zu melden.

Literatur

  1. Fishbane S, Jamal A, Munera C et al.: A phase 3 trial of difelikefalin in hemodialysis patients with pruritus. N Engl J Med 2020; 382: 222-232.
  2. Topf J, Woolbridge T, McCafferty K et al.: Efficacy of difelikefalin for the treatment of moderate to severe pruritus in hemodialysis patients: pooled analysis of KALM-1 and KALM-2 phase 3 studies. Kidney Med 2022; 4: 100512.
  3. IQWiG Dossierbewertung: https://www.g-ba.de/downloads/92-975-6140/2022-10-01_Nutzenbewertung-IQWiG_Difelikefalin-D-854.pdf.
  4. Stellungnahme der AkdÄ: https://www.akdae.de/fileadmin/user_upload/akdae/Stellungnahmen/AMNOG/A-Z/Difelikefalin/Difelikefalin-230123.pdf.
  5. Stander S, Zeidler C, Augustin M et al.: S2k-Leitlinie: Diagnostik und Therapie des chronischen Pruritus. J Dtsch Dermatol Ges 2022; 20: 1386-1402.
  6. G-BA: Tragende Gründe: https://www.g-ba.de/downloads/40-268-9411/2023-04-06_AM-RL-XII_Difelikefalin_D-854_TrG.pdf.