Suizidgedanken unter Malariaprophylaxe

Arzneiverordnung in der Praxis

Ausgabe 2/2023

Fallberichte

Der AkdÄ wurde der Fall einer 50-jährigen Patientin berichtet, die zur Malariaprophylaxe ein Kombinationspräparat aus Atovaquon und Proguanil (Malarone®) in der empfohlenen Dosierung von einer Tablette pro Tag (250 + 100 mg) einnahm. Nach dreitägiger Einnahme traten über vier Nächte nächtliche Suizidgedanken auf. Die Patientin beendete dann selbständig die Einnahme, und die Suizidgedanken sistierten ohne Folgeschaden. Anamnestisch bestanden keine depressiven oder anderweitig psychiatrischen Erkrankungen in der Vorgeschichte. Die Patientin nahm drei andere Arzneimittel (L-Thyroxin, Candesartan und Pantoprazol) seit Jahren, für die allerdings keine Wechselwirkungen mit Malarone® und auch kein besonderes Risiko für Suizidalität bekannt sind.

Arzneimittel

Malarone® ist ein Kombinationsarzneimittel mit den Wirkstoffen Atovaquon und Proguanil und ist gegenüber Blutschizonten sowie gegenüber hepatischen Schizonten von Plasmodium falciparum (Malaria tropica) wirksam. Das Arzneimittel ist zugelassen zur Prophylaxe der Malaria tropica und zur Behandlung von akuter, unkomplizierter Malaria tropica (1).

Bewertung der Kausalität

Suizidgedanken sind ein grundsätzlich ernstzunehmendes Symptom, wenngleich die Korrelation von Suizidgedanken und Suizidhandlungen/Suiziden nicht so stark ist, wie intuitiv zumeist angenommen wird. Zur Risikoabschätzung kommt es unter anderem auf die Charakteristik der Suizidgedanken an: drängend? konkret? ich-fremd? Hierzu fehlen die Angaben im vorliegenden Bericht. Andererseits ist zu beachten, dass Suizidgedanken und Suizide auch unabhängig von Arzneimitteleinnahme häufig sind. In Deutschland nehmen sich im Durchschnitt jeden Tag knapp 30 Menschen das Leben (2); die Zahl der Suizidversuche und erst recht von Menschen mit Suizidgedanken ist noch sehr viel höher. Es besteht auch nur eine teilweise Korrelation von Depressionen/depressiver Symptomatik und Suizidgedanken/-handlungen. Auch schwere Depressionen können ohne Suizidalität bleiben, und Suizidgedanken oder -handlungen wiederum unabhängig von einer depressiven Erkrankung auftreten.

Im Zusammenhang mit der berichteten Nebenwirkung (nächtliche Suizidgedanken), die nicht in der Fachinformation aufgeführt ist, ist relevant, dass ungewöhnliche Träume und Depression als häufige Nebenwirkung von Malarone® bekannt und in der Fachinformation angegeben sind (1).

In der EudraVigilance-Datenbank gemeldeter Verdachtsfälle von Arzneimittelnebenwirkungen (3) finden sich zum 23.05.2023 zu der Fixkombination Atovaquon und Proguanil 475 Meldungen von psychiatrischen Nebenwirkungen, u. a. 289 Verdachtsberichte über Schlafstörungen oder abnormale Träume und 101 Berichte über Depression oder depressive Symptomatik. Ferner werden berichtet: 5 vollendete Suizide, 3 absichtliche Selbstverletzungen, 9 Verdachtsfälle von Suizidversuchen/suizidalem Verhalten und 16 Verdachtsfälle von Suizidgedanken. Grundsätzlich lassen diese Zahlen keine Aussage über die tatsächliche Inzidenz der jeweiligen Nebenwirkung und auch nicht über einen möglichen kausalen Zusammenhang mit dem Arzneimittel zu, zumindest nicht ohne weitergehende Daten und wissenschaftliche Analysen.

Wie stets bei Einzelfallberichten (ohne Reexposition) ist ein kausaler Zusammenhang von Nebenwirkung und Arzneimitteleinnahme nicht beweisbar. Im vorliegenden Fall erscheint ein kausaler Zusammenhang der Suizidgedanken der Patientin mit der Einnahme des Kombinationspräparats aber wahrscheinlich. Die Suizidgedanken traten in engem zeitlichem Zusammenhang mit Beginn der Medikation (nach drei Tagen) auf und es ist anzunehmen, dass sie sich erstmals im Leben einstellten. Die Patientin reagierte eigenständig adäquat und setzte das lediglich zur Prophylaxe verordnete Medikament ab, wodurch die Nebenwirkung folgenlos verschwand.

Wahrscheinlich ist, dass die als nächtliche Suizidgedanken berichtete Nebenwirkung in Zusammenhang mit den sehr häufigen und gut bekannten Störungen des Schlafs unter Malarone® stehen oder sogar als eine spezielle Ausdrucksform der Schlafstörungen zu bezeichnen sind. Deutlich relevanter als Suizidgedanken sind Suizide ‒ hierüber finden sich in der EudraVigilance-Datenbank nur fünf Berichte unter Atovaquon/Proguanil, sodass offen bleibt, ob es sich hierbei ‒ angesichts der Häufigkeit von Suiziden ‒ lediglich um eine zufällige zeitliche Korrelation mit der Einnahme der Fixkombination handelt.

Fazit für die Praxis

Patientinnen und Patienten, die die Fixkombination aus  Atovaquon und Proguanil (Malarone® und Generika) zur Malariatherapie und -prophylaxe einnehmen, sollten auf mögliche psychiatrische Nebenwirkungen wie unter anderem Schlafstörungen (ungewöhnliche Träume, Albträume), Angstgefühl und Halluzinationen hingewiesen werden. Wenn sie an psychiatrischen Erkrankungen leiden, empfiehlt sich eine vertiefte Aufklärung. Eine grundsätzliche Aufklärungspflicht über Suizidalität als mögliche Nebenwirkung lässt sich aus den bekannten Fakten nicht ableiten. Im Einzelfall sollte aber abgewogen werden, ob zumindest die allgemeine Information, dass Suizidgedanken auch durch Medikamente ausgelöst werden können, erfolgen sollte. Verdachtsfälle von Nebenwirkungen unter Atovaquon und Proguanil oder anderen Arzneimitteln sollten der AkdÄ mitgeteilt werden.

Literatur

  1. Fachinformation Malarone® Filmtabletten. GlaxoSmithKline GmbH & Co. KG. Stand: September 2020.
  2. Statistisches Bundesamt: Todesursachen: Suizide: https://www.destatis.de/DE/Themen/Gesellschaft-Umwelt/Gesundheit/Todesursachen/Tabellen/suizide.html. Letzter Zugriff: 22. Mai 2023.
  3. Europäische Datenbank gemeldeter Verdachtsfälle von Arzneimittelnebenwirkungen: https://www.adrreports.eu/de/index.html. Letzter Zugriff. 22. Mai 2023.

Interessenkonflikte

Der Autor gibt an, keine Interessenkonflikte zu haben.