Leitfaden zur medikamentösen Cholesterinsenkung aktualisiert

Arzneiverordnung in der Praxis

Ausgabe 2/2023

Therapie aktuell

Weiterer Autor: Dr. med. Hans Wille, Bremen

Einführung

Im März 2023 wurde der Leitfaden der AkdÄ „Medikamentöse Cholesterinsenkung zur Vorbeugung kardiovaskulärer Ereignisse“ veröffentlicht. Diskutiert werden Nutzen und Risiken verschiedener Lipidsenker. Aufgrund relevanter neuer Studiendaten wurde der Leitfaden nun aktualisiert. Die 2. Version erscheint im Juli 2023.

Neue Studiendaten

Bempedoinsäure

Es gibt weiterhin keine aussagekräftigen Studiendaten dazu, ob Bempedoinsäure kardiovaskuläre Ereignisse verhindert, wenn es zusätzlich zu Statinen in mindestens niedriger Standarddosis gegeben wird. Die bislang größten Studien CLEAR Harmony (1) und CLEAR Wisdom (2) waren nicht ausreichend gepowert und zu kurz, um kardiovaskuläre Endpunkte zu beurteilen.

Für die Monotherapie mit Bempedoinsäure liegen seit März 2023 die Studienergebnisse aus CLEAR Outcomes (3) vor. In dieser randomisierten, doppelblinden Studie erhielten etwa 14.000 Patienten mit hohem kardiovaskulärem Risiko oder manifesten kardiovaskulären Erkrankungen über 3,3 Jahren entweder Bempedoinsäure oder Placebo. Die Studienteilnehmer nahmen keine Statine oder nur Statine in sehr niedriger Dosis (z. B. weniger als 10 mg Atorvastatin oder Simvastatin) ein, weil sie anamnestisch mindestens ein Statin nicht vertragen hatten. Bempedoinsäure reduzierte bei diesen Patienten weder die Gesamtmortalität noch die kardiovaskuläre Mortalität. Das Risiko für Schlaganfälle wurde nicht signifikant beeinflusst. Unter Bempedoinsäure traten geringfügig seltener Myokardinfarkte auf: Durchschnittlich mussten 91 Patienten über 3,3 Jahre Bempedoinsäure erhalten, um 1 Myokardinfarkt zu verhindern. Subgruppenanalysen zeigten eine ähnliche Wirksamkeit bei Patienten, die begleitend Statine in sehr niedriger Dosis einnahmen. Dagegen scheinen Patienten, die bereits Ezetimib erhalten, von der zusätzlichen Therapie mit Bempedoinsäure kaum zu profitieren. Bei Patienten mit manifesten kardiovaskulären Erkrankungen war ein Nutzen nicht zu belegen, für Teilnehmer aus europäischen Ländern zumindest zweifelhaft. In der Studie CLEAR Outcomes waren Muskelbeschwerden unter Bempedoinsäure nicht gehäuft. Es traten jedoch vermehrt Gichtanfälle (1 zusätzlicher Fall bei 100 Patienten), Gallensteine (1 zusätzlicher Fall bei 100 Patienten), renale Ereignisse (1 zusätzlicher Fall bei 34 Patienten) und Transaminasen-Erhöhungen (1 zusätzlicher Fall bei 66 Patienten) auf.

Die Studienautoren bezeichnen die untersuchte Patientengruppe als „statinintolerant“. Für den Studieneinschluss war allerdings eine von den Patienten selbst berichtete Unverträglichkeit eines ersten Statins jeglicher Dosis ausreichend. Diese sehr weitgefasste Definition der Statinintoleranz entspricht nicht der üblichen Verwendung des Begriffs. Aus Sicht der AkdÄ setzt die Diagnose einer „Statinintoleranz“ voraus, dass mindestens zwei verschiedene Statine auch in niedriger Dosierung nicht vertragen wurden.

Wirksamkeit von Statinen in der Primärprävention

Der Leitfaden berücksichtigt jetzt auch den 2022 aktualisierten Review der USPSTF (U.S. Preventive Services Task Force) (4) zur Statintherapie in der Primärprävention (22 RCTs, n = 90.624, durchschnittliche Dauer 3,3 Jahre). Im Vergleich zum USPSTF-Report von 2016 (5) schließt der aktuelle Review drei zusätzliche Studien ein: eine 2019 publizierte, kleinere Studie zu Patienten mit rheumatoider Arthritis (TRACE RA (6)) und zwei große, ältere Studien aus dem Jahr 2002 (PROSPER (7) und ALLHAT-LLT (8)), für die laut USPSTF erst 2022 separate Daten für diejenigen Teilnehmer vorlagen, die Statine zur Primärprävention erhielten. Die Studien ALLHAT-LLT und PROSPER fanden keinen bzw. sogar einen numerisch negativen Effekt von Statinen auf die Sterblichkeit und das Risiko für Schlaganfälle. Diese Studienergebnisse hatten einen relevanten Einfluss auf das Gesamtergebnis der Metaanalyse: Die USPSTF fand 2022 eine insgesamt geringere relative Risikoreduktion hinsichtlich der Gesamtsterblichkeit, der kardiovaskulären Sterblichkeit und der Schlaganfälle. Die geringere Risikoreduktion ist durch den hohen Cross-over in der Studie ALLHAT-LLT und die Einschlusskriterien der Studie PROSPER erklärbar. In der Studie ALLHAT-LLT nahmen im Studienverlauf fast ein Drittel der Patienten des Kontrollarms entgegen ihrer ursprünglichen Zuteilung Statine ein. Die Studie PROSPER untersuchte nur Patienten über 70 Jahren. Mit einem Durchschnittsalter von 75 Jahren gehörten die Studienteilnehmer in PROSPER zu einer Patientengruppe, bei denen eine verminderte bis fehlende Wirksamkeit der Statintherapie bereits aus Subgruppenanalysen bekannt ist. Aus Sicht der AkdÄ ist deshalb davon auszugehen, dass der aktuelle USPSTF-Report bei Patienten unter 70 Jahren das Ausmaß der relativen Risikoreduktion durch Statine eher unterschätzt.

Verträglichkeit von Statinen

Auf Basis individueller Patientendaten berücksichtigte eine neue Analyse der CTT (Cholesterol Treatment Trialists) (9) nicht nur Fälle von „Myalgie“ (Muskelschmerz), sondern auch von „Wadenschmerz, Muskelkrämpfen, muskuloskelettalen Schmerzen und Muskelschwäche“. Moderat dosierte Statine erhöhten geringfügig das Risiko für solche Muskelbeschwerden, wobei der weitaus überwiegende Anteil der Muskelbeschwerden (94 %) nicht durch die Statintherapie verursacht war: In der gepoolten Analyse von 16 RCTs (n = 95.890) trat im ersten Behandlungsjahr ein zusätzlicher Fall von Muskelbeschwerden bei 100 Patienten mit moderat dosierten Statinen auf (moderat dosierte Statine vs. Placebo: 18 % vs. 17 %, RR 1,07; 95 % CI 1,03–1,10). Im weiteren Studienverlauf klagten Patienten unter moderat dosierten Statinen nicht mehr häufiger über Muskelbeschwerden als unter Placebo. Bei einer Intensivierung der Statintherapie ist laut CTT-Analyse häufiger mit Muskelbeschwerden zu rechnen als unter moderat dosierten Statinen (1 zusätzlicher Fall von Muskelbeschwerden unter Hochdosistherapie im Vergleich zu moderat dosierten Statinen pro 76 Patienten).

Neue Formate

Mit der 2. Version des Leitfadens werden auch neue Materialien zur Verfügung gestellt: ein Fact Sheet, das für Kliniker auf zwei DIN A4 Seiten die wichtigsten Informationen des Leitfadens zusammenfasst, und zwei Patienteninformationen, um das ärztliche Aufklärungsgespräch zu unterstützen. Die Patienteninformationen richten sich an Patienten mit Diabetes („Ich habe Diabetes: Brauche ich ein Statin?“) und an Patienten, die vor der Entscheidung stehen, ihre bisherige Statintherapie zu intensivieren („Ich bekomme ein Statin: Wäre ein stärkeres Statin besser für mich?“). Eine weitere Patienteninformation wird gemeinsam mit dem ÄZQ (ärztliches Zentrum für Qualität in der Medizin) zum Thema Primärprävention erstellt („An sich bin ich gesund – brauche ich trotzdem ein Statin?“). Alle Informationen werden unter www.akdae.de verfügbar sein.

Literatur

  1. Ray KK, Bays HE, Catapano AL et al.: Safety and efficacy of bempedoic acid to reduce LDL cholesterol. N Engl J Med 2019; 380: 1022-1032.
  2. Goldberg AC, Leiter LA, Stroes ESG et al.: Effect of bempedoic acid vs placebo added to maximally tolerated statins on low-density lipoprotein cholesterol in patients at high risk for cardiovascular disease: the CLEAR Wisdom randomized clinical trial. JAMA 2019; 322: 1780-1788.
  3. Nissen SE, Lincoff AM, Brennan D et al.: Bempedoic acid and cardiovascular outcomes in statin-intolerant patients. N Engl J Med 2023; 388: 1353-1364.
  4. Chou R, Cantor A, Dana T et al.: Statin use for the primary prevention of cardiovascular disease in adults: a systematic review for the U.S. Preventive Services Task Force. Evidence Synthesis no. 219. AHRQ Publication No. 22-05291-EF-1. Rockville, MD: Agency for Healthcare Research and Quality, 2022.
  5. Chou R, Dana T, Blazina I et al.: Statin use for the prevention of cardiovascular disease in adults: a systematic review for the U.S. Preventive Services Task Force. Evidence Synthesis No. 139. AHRQ Publication no. 14-05206-EF-2. Rockville, MD: Agency for Healthcare Research and Quality, 2016.
  6. Kitas GD, Nightingale P, Armitage J et al.: A multicenter, randomized, placebo-controlled trial of atorvastatin for the primary prevention of cardiovascular events in patients with rheumatoid arthritis. Arthritis Rheumatol 2019; 71: 1437-1449.
  7. Shepherd J, Blauw GJ, Murphy MB et al.: Pravastatin in elderly individuals at risk of vascular disease (PROSPER): a randomised controlled trial. Lancet 2002; 360: 1623-1630.
  8. ALLHAT Officers and Coordinators for the ALLHAT Collaborative Research Group: Major outcomes in moderately hypercholesterolemic, hypertensive patients randomized to pravastatin vs usual care: The Antihypertensive and Lipid-Lowering Treatment to Prevent Heart Attack Trial (ALLHAT-LLT). JAMA 2002; 288: 2998-3007.
  9. Cholesterol Treatment Trialists' Collaboration: Effect of statin therapy on muscle symptoms: an individual participant data meta-analysis of large-scale, randomised, double-blind trials. Lancet 2022; 400: 832-845.

Interessenkonflikte

Die Autoren geben an, keine Interessenkonflikte zu haben.