Behandlung der Schizophrenie: Status quo der Pharmakotherapie
Rubrik: Therapie aktuell
Krankheitsbild und Symptomatik
Die Schizophrenie ist eine häufige (Lebenszeitprävalenz circa ein Prozent) und schwerwiegende psychische Erkrankung, die bei den meisten Betroffenen in der Jugend oder im frühen Erwachsenenalter (15. bis 25. Lebensjahr) beginnt, weswegen die Erkrankung besonders gravierende Auswirkungen auf die Lebensverwirklichung und die Teilhabe am Leben hat. Die genaue Ursache der Erkrankung ist unbekannt; genetische und andere biologische Faktoren spielen eine relevante Rolle. Schizophrene Erkrankungen äußern sich durch eine Vielzahl unterschiedlicher psychischer Symptome, sodass die Symptomatik vielgestaltig ist (1).
Am häufigsten verläuft die Schizophrenie schubweise, aber auch chronisch progrediente oder auf einem bestimmten Krankheitsniveau verharrende Verläufe kommen vor, ebenso weitgehende Restitutionen (2). Bei der häufigsten paranoiden Form dominieren im akuten Krankheitsschub psychotische Symptome das Krankheitsbild, also psychische Symptome, die mit einer Störung des Realitätsbezugs einhergehen. Besonders charakteristisch sind akustische Halluzinationen wie Stimmenhören oder Akoasmen (akustische Primitivgeräusche), Verfolgungswahn und sogenannte Ich-Störungen (Störungen der Ich-Umwelt-Grenze, zum Beispiel in Form von Gedankenentzug, Gedankeneingebung oder anderen Fremdbeeinflussungserlebnissen). Diese psychotischen Symptome im akuten Krankheitsschub werden auch Positivsymptomatik genannt (1). Bei einem relevanten Teil der Betroffenen kommt es im Laufe der Erkrankung zu einer zunehmenden Ausprägung der Negativsymptomatik, die insbesondere zwischen den Krankheitsschüben das Krankheitsbild dominiert. Beim klassischen schubförmigen Verlauf bleibt nach jedem Krankheitsschub ein größeres Ausmaß an Negativsymptomatik (auch Residualsymptomatik genannt) zurück. Hierunter wird ein Verlust von früher vorhandenen psychischen Fähigkeiten und Kompetenzen verstanden, unter anderem ein Verlust von Antrieb und Intentionalität (zielgerichtete Lebensführung), ein Verlust früherer Interessen, Aktivitäten und sozialer Kontakte, was dazu führt, dass viele Erkrankte auf kontinuierliche psychosoziale Unterstützung und Hilfe angewiesen sind. Auch kognitive Fähigkeiten gehen verloren. Die Beeinträchtigungen können weite Bereiche der kognitiven Fähigkeiten betreffen, so die Aufmerksamkeit (selektive und geteilte) und die Daueraufmerksamkeit, die Verarbeitungsgeschwindigkeit, das Arbeitsgedächtnis (verbal und visuell), Lernen und Gedächtnis (verbal und visuell) und sogenannte exekutive Funktionen wie Inhibitionskontrolle, Planen und Problemlösen sowie Funktionen der sozialen Kognition (1, 2).
Behandlungsstandard der Schizophrenie bei Erwachsenen in Deutschland
Grundlage des Behandlungsstandards ist vor allem die deutsche S3-Leitlinie Schizophrenie, aktualisiert zuletzt 2019 (3). Die Behandlung schizophrener Erkrankungen erfolgt grundsätzlich multimodal, das heißt mit:
- pharmakologischen,
- psychotherapeutischen und
- psychosozialen Methoden.
Auch wenn sich der Beitrag hier auf die pharmakologische Behandlung beschränkt, sollte diese nie isoliert durchgeführt werden.
Der Behandlungsstandard unterscheidet sich nach der Phase der Erkrankung. Grob zu unterscheiden sind:
- Akutbehandlung mit Vorherrschen psychotischer Symptome (Positivsymptomatik)
- Rezidivprophylaxe zur Vorbeugung neuer Krankheitsschübe
- Behandlung bei vorherrschender Negativsymptomatik
- Behandlung bei Therapieresistenz
Grundlage der Pharmakotherapie der Schizophrenie sind die Antipsychotika (Neuroleptika). Generell ist in allen Krankheitsphasen den sogenannten atypischen Antipsychotika gegenüber den sogenannten typischen Antipsychotika der Vorrang zu geben. Der Grund ist das höhere Risiko typischer Antipsychotika für extrapyramidalmotorische Nebenwirkungen, einschließlich der besonders gefürchteten tardiven Dyskinesien, die nach längerer Antipsychotika-Behandlung auftreten und dann auch nach Absetzen irreversibel bestehen bleiben können. Atypische Antipsychotika weisen allerdings andere, ebenfalls bedeutsame Nebenwirkungen auf. Die Bevorzugung atypischer Neuroleptika entspricht nicht nur dem Behandlungsstandard, sondern auch der Versorgungssituation in Deutschland.
Zu den regelmäßig in den oben genannten Erkrankungsphasen 1. bis 3. eingesetzten atypischen Antipsychotika zählen Amisulprid, Aripiprazol, Cariprazin, Olanzapin, Paliperidon, Quetiapin, Risperidon, Ziprasidon. Zu den häufiger verwendeten typischen Antipsychotika zählen Flupentixol, Fluphenazin, Haloperidol, Perazin, Pimozid.
Die Unterteilung in atypische und typische Antipsychotika ist aber umstritten, da für die Einteilung neben dem Risiko für extrapyramidalmotorische Nebenwirkungen (gering versus hoch) auch weitere Eigenschaften herangezogen werden, die aber nicht auf alle üblicherweise als atypisch klassifizierten Antipsychotika zutreffen. Hierzu zählt eine bessere Wirksamkeit bei Therapieresistenz oder bei Vorherrschen von Negativsymptomatik. Auch weisen einige der üblicherweise zu den typischen Antipsychotika gezählte Arzneimittel, wie z. B. Perazin, ein relativ geringes Risiko für extrapyramidalmotorische Nebenwirkungen auf, während wiederum einige der üblicherweise zu den atypischen Antipsychotika gezählten Arzneimittel, etwa Risperidon und Amisulprid, ein durchaus nennenswertes Risiko extrapyramidalmotorischer Nebenwirkungen haben. Daher werden die Begriffe typisch/atypisch zunehmend ersetzt durch die Bezeichnung Antipsychotika erster/zweiter Generation. Auch diese Einteilung ist aber uneinheitlich, da Clozapin, als Prototyp eines atypischen Antipsychotikums, bereits 1958 synthetisiert und 1972 in die Behandlung eingeführt wurde und damit zur ersten Generation zählt (1).
Anzustreben ist grundsätzlich eine Antipsychotika-Monotherapie. Für die Rezidivprophylaxe zur Vorbeugung neuer Krankheitsschübe und die Behandlung bei vorherrschender Negativsymptomatik (Phasen 2 und 3) kommen praktisch ausnahmslos atypische Antipsychotika in Betracht, da die Rezidivprophylaxe typischerweise eine Langzeitbehandlung darstellt, bei der ein typisches Antipsychotikum zu einem zu hohen Risiko für tardive Dyskinesien führen würde, und da für die Behandlung bei vorherrschender Negativsymptomatik typische Antipsychotika eine noch geringere Effektivität gegen Negativsymptomatik aufweisen als atypische Antipsychotika.
Für die Rezidivprophylaxe kommen auch intramuskulär injizierbare Depotapplikationen zur Anwendung, insbesondere wenn ‒ wie häufig ‒ Schwierigkeiten in der regelmäßigen Einnahme oraler Medikation bestehen. Unter den zu bevorzugenden atypischen Antipsychotika stehen hierfür zur Verfügung: Aripiprazol, Olanzapin, Paliperidon und Risperidon.
Antipsychotika haben nur eine geringe bis fragliche Wirkung auf Negativsymptomatik. Geringe Wirksamkeit gilt auch für andere Behandlungsstrategien von Negativsymptomatik. Die S3-Leitlinie Schizophrenie schreibt hierzu: „für die primären Negativsymptome als Kernsymptomkomplex der Schizophrenie gibt es jedoch nur wenige überzeugende pharmakologische, psychosoziale oder andere Behandlungsoptionen“ (3). Mit einer B-Empfehlung spricht sich die Leitlinie bei dominanter Negativsymptomatik für den Einsatz der atypischen Neuroleptika Amisulprid oder Olanzapin aus. Im Behandlungsalltag werden in dieser Situation auch die atypischen Neuroleptika Aripiprazol und Cariprazin verwendet (letzteres wurde in der S3-Leitlinie noch nicht systematisch berücksichtigt, da relevante Studien erst nach Redaktionsschluss erschienen). Ebenfalls mit einer B-Empfehlung spricht sich die S3-Leitlinie für den Einsatz von Antidepressiva aus, wenn eine neuroleptische Monotherapie unzureichende Effekte auf Negativsymptomatik hat (3). Dies entspricht auch der Versorgungspraxis.
Auch bei Akutbehandlung mit Vorherrschen psychotischer Symptome ist entsprechend dem Behandlungsstandard ein sogenanntes atypisches Antipsychotikum zu bevorzugen, unter anderem, um einen Arzneimittelwechsel beim Übergang von der Akutbehandlung zur Rezidivprophylaxe zu vermeiden. Die Gabe eines typischen Antipsychotikums ist aber kurzzeitig möglich. Dies wird insbesondere in der Notfallbehandlung so praktiziert, da typische Antipsychotika wie Haloperidol eine zuverlässige antipsychotische Wirkung mit einer sedierenden Komponente und die Möglichkeit einer parenteralen Gabe bieten.
Die Auswahl des konkreten Arzneimittels innerhalb der Gruppe der Antipsychotika richtet sich neben individuellen Vorerfahrungen und Wunsch des Patienten oder der Patientin überwiegend nach dem Nebenwirkungsprofil. Hierbei wird vorrangig nach einem Ausschlussverfahren vorgegangen. Tabelle 1 bietet eine Übersicht dazu.
Liegen keine der genannten Kontraindikationen oder Risiken vor, kann keine spezifische Empfehlung für ein bestimmtes Arzneimittel innerhalb der Gruppe der atypischen Antipsychotika gegeben werden, da für keinen Wirkstoff eine eindeutige Wirküberlegenheit oder ein eindeutig besseres Nutzen-Risiko-Profil im Vergleich zu den restlichen Wirkstoffen nachgewiesen ist.
Eine Besonderheit stellt Clozapin dar, das nach verschiedenen Metaanalysen (z. B. (4)) und großen Registerstudien (z. B. (5)) eine überlegene Wirksamkeit bezüglich klassischer primärer Endpunkte (z. B. auf der Schizophrenie-spezifischen PANSS-Skala), Vermeidung von extrapyramidalmotorischen Nebenwirkungen, Vermeidung von Krankenhaus-Wiederaufnahme, Vermeidung von Therapieversagen, Besserung von Negativsymptomatik und suizidspezifischer und suizidunspezifischer Mortalität hat. Aufgrund seines erhöhten Risikos für Agranulozytose ist es aber kein Arzneimittel der ersten Wahl und wird daher nur bei Therapieresistenz (oder Unverträglichkeit) auf mindestens zwei andere Antipsychotika eingesetzt, unter engmaschigen Blutbildkontrollen (wöchentlich in den ersten 18 Behandlungswochen, dann monatlich).
Die Verträglichkeit der Pharmakotherapie ist in allen Krankheitsphasen regelmäßig zu überprüfen. Bei ausreichender Verträglichkeit sollte bei einer Akutbehandlung mit Vorherrschen psychotischer Symptome das Ansprechen nach zwei, spätestens nach vier Wochen überprüft werden. Im Falle des Ansprechens wird die Medikation für mindestens mehrere Monate fortgeführt; die S3-Leitlinie Schizophrenie gibt hier keine klare zeitliche Empfehlung. Im Falle des Nichtansprechens sind Ursachen hierfür zu prüfen (etwa mangelnde Adhärenz, Einnahme anderer Arzneimittel oder von Drogen, Wirkstoff-Serumspiegel außerhalb des therapeutischen Bereichs, krankheitserhaltende äußere Faktoren). Kann durch eine Änderung derartiger Ursachen keine Abhilfe geschaffen werden, soll auf ein Antipsychotikum mit einem anderen Rezeptorbindungsprofil gewechselt werden.
Bei mehrfach erkrankten Patienten wird eine Rezidivprophylaxe zur Vorbeugung neuer Krankheitsschübe für mindestens zwei bis fünf Jahre empfohlen. Ein Überwiegen von Negativsymptomatik besteht in der Regel als Folge mehrjähriger Erkrankungen, sodass auch hier in der Regel die Indikation für eine langfristige Pharmakotherapie besteht.
Literatur
- Bschor T, Grüner S. Psychiatrie fast. 5. Auflage. Grünwald: Börm Bruckmeier Verlag; 2019.
- Gaebel W, Wölwer W. Robert Koch-Institut in Zusammenarnbeit mit dem Statistischen Bundesamt (Hrsg.). Schizophrenie. Gesundheitsberichterstattung des Bundes; Heft 50; Juni 2010. Verfügbar unter: https://www.rki.de/DE/Content/Gesundheitsmonitoring/Gesundheitsberichterstattung/GBEDownloadsT/Schizophrenie.pdf?__blob=publicationFile.
- Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde e. V. (DGPPN) (Hrsg.) für die Leitliniengruppe. S3-Leitlinie Schizophrenie. Langfassung. AWMF-Register Nr. 038-009; Version 1.0; März 2019. Verfügbar unter: https://www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/038-009.html.
- Huhn M, Nikolakopoulou A, Schneider-Thoma J, Krause M, Samara M, Peter N et al. Comparative efficacy and tolerability of 32 oral antipsychotics for the acute treatment of adults with multi-episode schizophrenia: a systematic review and network meta-analysis. Lancet 2019; 394(10202):939–51. doi: 10.1016/S0140-6736(19)31135-3.
- Tiihonen J, Mittendorfer-Rutz E, Majak M, Mehtälä J, Hoti F, Jedenius E et al. Real-World Effectiveness of Antipsychotic Treatments in a Nationwide Cohort of 29 823 Patients With Schizophrenia. JAMA Psychiatry 2017; 74(7):686–93. doi: 10.1001/jamapsychiatry.2017.1322.
Interessenkonflikte
Der Autor gibt an, keine Interessenkonflikte zu haben.