Akute Nephritis unter Comirnaty®

Arzneiverordnung in der Praxis

Ausgabe 1/2023

Fallberichte

Der AkdÄ wurde der Fall eines 16 Jahre alten Jungen gemeldet, der nach der zweiten Impfung gegen COVID-19 zunächst über Unwohlsein und Bauchschmerzen klagte. Am darauffolgenden Tag wurden subfebrile Temperaturen gemessen und es trat erstmalig Makrohämaturie auf. Im Verlauf wurden Proteinurie und Hämaturie sowie ein leichter Anstieg des Serum-Kreatinins (auf 1,3 mg/dl) und eine diskrete Milzvergrößerung festgestellt. Die weiterbehandelnden Kindernephrologen diagnostizierten eine IgA-Nephritis als Ursache der Makrohämaturie, die in zeitlichem Zusammenhang mit der Impfung mit dem Impfstoff Comirnaty® aufgetreten war.

Arzneimittel

Comirnaty® ist ein mRNA-basierter Impfstoff zur aktiven Immunisierung von Personen ab 12 Jahren zur Vorbeugung von COVID-19 durch das SARS-CoV-2-Virus. Der Impfstoff wird intramuskulär in einer primären Impfserie von zwei Dosen verabreicht. Es wird empfohlen, die zweite Dosis drei Wochen nach der ersten Dosis zu verabreichen. Eine Auffrischungsdosis (dritte Dosis) von Comirnaty® kann mindestens drei Monate nach der zweiten Dosis bei Personen ab 12 Jahren intramuskulär verabreicht werden (1).

Krankheitsbild

Die IgA-Nephritis wurde 1968 erstmals von Berger und Hinglais als eigenständige Form einer Glomerulonephritis beschrieben. Ihr wichtigstes Merkmal ist eine ausgeprägte Ablagerung von Immunglobulin A (IgA) im Mesangium der Glomeruli. Die Diagnose erfolgt durch den Nachweis von IgA mittels Immunfluoreszenz im Nierenbiopsat (2-5).

Die IgA-Nephritis betrifft typischerweise Jugendliche und junge Erwachsenen und ist heute weltweit eine der häufigsten glomeruläre Erkrankungen bei Erwachsenen. Die Pathogenese der IgA-Nephritis ist noch nicht vollständig geklärt, aber genetische Befunde sprechen für eine große Bedeutung erblicher Faktoren für die Krankheitsanfälligkeit. Die meisten der bisher entdeckten IgA-Nephritis-Loci kodieren für Gene, die an der Aufrechterhaltung der intestinalen Epithelbarriere und der Reaktion auf Schleimhautpathogene beteiligt sind (3).

Für eine primäre Störung der Immunregulation spricht auch die Tatsache, dass eine IgA-Nephritis nach Transplantation einer gesunden Niere wieder auftreten kann und umgekehrt, dass die IgA-Ablagerungen verschwinden, wenn eine Niere eines Patienten mit IgA-Nephritis (versehentlich) einem Patienten transplantiert wird, der eine andere Nierenerkrankung hat (2).

Der Häufigkeitsgipfel der IgA-Nephropathie liegt in der zweiten bis dritten Lebensdekade und ist bei Jungen häufiger als bei Mädchen. Klinisch äußert sich die IgA-Nephritis durch rezidivierende Schübe von Makrohämaturie, die gelegentlich mit Proteinurie einhergehen. Das Auftreten einer Makrohämaturie ist häufig mit Infekten der oberen Luftwege, Impfungen oder körperlicher Anstrengung assoziiert, wobei das zeitliche Intervall zwischen den vorausgehenden Infekten typischerweise sehr kurz (ein bis zwei Tage) ist (parainfektiöse Glomerulonephritis), verglichen mit zwei bis drei Wochen bei der postinfektiösen Glomerulonephritis, die meist durch eine Streptokokkeninfektionen induziert wird. Zwischen den Schüben von Makrohämaturie besteht eine intermittierende oder persistierende Mikrohämaturie.

Zur Diagnosesicherung wird eine Nierenbiopsie vorgenommen, wenn mehrere Schübe von Makrohämaturie aufgetreten sind. Dann ist der immunhistologische Nachweis von IgA-Immunglobulin im Mesangium der Niere wegweisend. Im Labor findet sich nur bei etwa 15 % der Patienten eine erhöhte IgA-Serumkonzentration, die diagnostisch nicht wegweisend ist.

Die Krankheit kann spontan sistieren, aber auch progredient verlaufen. Dabei scheint die Persistenz einer Proteinurie prognostisch ungünstig. Bis zu 25–40 % der Patienten erleiden nach 20 Jahren, im Erwachsenenalter, eine Progression ins terminalen Nierenversagen.

Bewertung der Kausalität

Die klinischen Symptome, die aus der Immunantwort resultieren, sind in der Fachinformation von Comirnaty®gut beschrieben (1). Die Symptome Makrohämaturie, Proteinurie und geringfügige, passagere Einschränkung der Nierenfunktion sind nicht explizit aufgelistet, aber im Zusammenhang mit der durch den Impfstoff ausgelösten Immunreaktion denkbar bzw. pathomechanistisch erklärbar.

Impfungen induzieren eine Immunreaktion und können eine Entzündungsreaktion als unerwünschte Arzneimittelreaktion auslösen. Dies ist – wie häufig nach Impfungen und so auch nach der Impfung gegen COVID-19 – im vorliegendem Fall aufgetreten: Fieber, Unwohlsein, Anstieg des CRP-Wertes, geringfügiger Abfall der Leukozytenzahl. Zusätzlich findet sich hier eine akute Nephritis (passagere Hämaturie, Proteinurie und geringfügiger Anstieg des Serum-Kreatininwerts). Diese spezielle immunvermittelte Reaktion mit den klinischen Zeichen einer akuten Glomerulonephritis ist zwar als wahrscheinliche Folge der Immunantwort durch die Impfung zu sehen, kommt aber nur dann vor, wenn wie im vorliegenden Fall eine besondere Prädisposition vorliegt: eine IgA-Nephritis oder IgA-Nephropathie (Morbus Berger) (2-6).

In der EudraVigilance-Datenbank gemeldeter Verdachtsfälle von Arzneimittelnebenwirkungen (7) finden sich zum 14.02.2023 119 Meldungen zu IgA-Nephropathie unter Comirnaty®. Grundsätzlich lassen diese Zahlen keine Aussage über die tatsächliche Inzidenz der jeweiligen Nebenwirkung zu. Diese Meldungen sind keine bestätigten Nebenwirkungen und kein Beweis dafür, dass eine Reaktion tatsächlich aufgrund des Arzneimittels aufgetreten ist. Auch ist es ohne eine vertiefende Analyse unklar, ob in allen gemeldeten Fällen ein zumindest theoretisch möglicher zeitlicher bzw. kausaler Zusammenhang mit dem Impfstoff bestand.

In vorliegenden Fall ist es daher bei einem Jugendlichen nach der zweiten Dosis einer Impfung gegen COVID-19 mit dem Impfstoff Comirnaty® zu einer üblichen Immunreaktion mit einem vorübergehenden Anstieg des Entzündungsparameters und einem leichten passageren Abfall der Leukozyten gekommen. Es ist anzunehmen, dass aufgrund einer genetischen Präposition durch die Immunreaktion ein (wohl) erstmaliger Schub einer IgA-Nephritis ausgelöst. Somit ist die unerwünschte Arzneimittelwirkung „akute Nephritis“ zwar in einem zeitlichen Zusammenhang mit der Impfung aufgetreten, aber diese Reaktion ist nicht als spezifisch durch den Impfstoff bedingt anzunehmen. Vielmehr scheint die Impfung gegen COVID-19, eine Immunreaktion ausgelöst zu haben, die bei einem prädisponierten Jugendlichen eine IgA-Nephritis bzw. den ersten Schub einer IgA-Nephritis bedingt hat.

Fazit für die Praxis

Impfungen – auch die Impfung gegen COVID-19 – induzieren eine Immunreaktion und können eine Entzündungsreaktion als unerwünschte Arzneimittelreaktion auslösen. In der Regel treten dabei Symptome wie Fieber, Unwohlsein, Anstieg des CRP-Wertes, geringfügiger Abfall der Leukozytenzahl auf. Schwerwiegende immunvermittelte Reaktionen, wie eine Glomerulonephritis, können als wahrscheinliche Folge der Immunantwort durch die Impfung im zeitlichen Zusammenhang mit der Impfung auftreten, müssen aber nicht kausal damit zusammenhängen, weil sie z. B. durch besondere (genetische) Prädisposition bedingt bzw. begünstigt werden.

Literatur

  1. Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA): European Public Assessment Report: Produktinformation: https://www.ema.europa.eu/documents/product-information/comirnaty-epar-product-information_de.pdf (letzter Zugriff: 2. März 2023). Stand: 2. Februar 2023.
  2. Michalk D: IgA-Glomerulonephritis. In Schärer K, Mehls O (Hrsg.) Pädiatrische Nephrologie. Berlin: Springer-Verlag, 2002; 199-202.
  3. Magistroni R, D'Agati VD, Appel GB, Kiryluk K: New developments in the genetics, pathogenesis, and therapy of IgA nephropathy. Kidney Int 2015; 88: 974-989.
  4. Rodrigues JC, Haas M, Reich HN: IgA Nephropathy. Clin J Am Soc Nephrol 2017; 12: 677-686.
  5. Rajasekaran A, Julian BA, Rizk DV: IgA Nephropathy: An Interesting Autoimmune Kidney Disease. Am J Med Sci 2021; 361: 176-194.  
  6. Chow KU, Luxembourg B, Seifried E, Bonig H: Spleen size is significantly influenced by body height and sex: establishment of normal values for spleen size at US with a cohort of 1200 healthy individuals. Radiology 2016; 279: 306-313.
  7. Europäische Datenbank gemeldeter Verdachtsfälle von Arzneimittelnebenwirkungen: https://www.adrreports.eu/de/index.html. Letzter Zugriff. 14. Februar 2023.

Interessenkonflikte

Der Autor gibt an, keine Interessenkonflikte zu haben.