Upadacitinib bei Colitis ulcerosa: Eine Leserbriefdiskussion über den Begriff „Reservetherapeutikum“

Arzneiverordnung in der Praxis

Ausgabe 1/2023

Leserbriefe

Weitere Autorin: Dr. med. Natascha Einhart, Berlin

Upadacitinib (Rinvoq®) ist seit Juli 2022 zugelassen zur Behandlung erwachsener Patienten mit einer mittelschweren bis schweren aktiven Colitis ulcerosa (CU), die auf eine konventionelle Therapie oder ein Biologikum unzureichend angesprochen haben, nicht mehr darauf ansprechen oder diese nicht vertragen haben. Im Rahmen des Verfahrens zur frühen Nutzenbewertung von Upadacitinib hat die AkdÄ eine Stellungnahme erstellt. Eine Zusammenfassung dieser Stellungnahme wurde im AkdÄ-Newsletter 1/2023 publiziert: https://www.akdae.de/stellungnahmen/amnog-fruehe-nutzenbewertung-nach-35a-sgb-v/wirkstoffe-a-z/newsdetail/upadacitinib.

Zu diesem Newsletter erhielt die AkdÄ von Prof. Dr. Axel Dignass, einem der beiden Erstautoren der deutschen Leitlinie zur Diagnostik und Therapie der CU, einen Leserbrief. Im Folgenden wird der Leserbrief von Prof. Dignass und die Antwort der AkdÄ wiedergeben.

Leserbrief von Professor Dignass

In Ihrem Newsletter vom 09.01.2023 (Stellungnahme der AkdÄ zu Upadacitinib (Rinvoq®) – frühe Nutzenbewertung § 35a SGB V) schreiben Sie „[…]. Zudem stellt Upadacitinib aufgrund des Risikos schwerer Nebenwirkungen ein Reservetherapeutikum dar, das erst nach Versagen der Biologika eingesetzt wird. […]“

Diese Feststellung möchte ich gerne kommentieren, denn ich halte sie für irreführend: In der aktuellen Fachinformation für Upadacitinib ist die Behandlung der mittelschweren-schweren aktiven CU bei Patienten, die auf eine konventionelle Therapie oder ein Biologikum unzureichend angesprochen haben, nicht mehr darauf ansprechen oder eine Unverträglichkeit aufweisen, indiziert. Zudem sind JAK-Inhibitoren in der evidenzbasierten S3-Leitlinie der DGVS bzgl. ihres therapeutischen Einsatzes einer Biologika-Therapie gleichgestellt und haben somit klar nicht den Status von Reservetherapeutika. Selbstverständlich muss – wie bei Biologika und auch jedem anderen Medikament – das individuelle Risiko der PatientInnen im Sinne einer Nutzen-Risiko-Abwägung berücksichtigt werden.

Auch vor dem Hintergrund des laufenden sogenannten Artikel-20-Verfahrens ist die Bezeichnung „Reservetherapeutikum“ inadäquat, da durch das PRAC (Pharmacovigilance Risk Assessment Committee) der EMA keine Empfehlungen zur Einschränkung der Zulassung erfolgen und die Indikation unverändert bestehen bleiben wird. Ich habe Sorge, dass durch derartige Stellungnahmen ein hochwirksames Medikament nicht mehr eingesetzt wird und stattdessen die Patienten weiterhin mit systemischen Steroiden behandelt werden. Die Diskussion erinnert mich an die Situation vor 20 Jahren, als man bei der Einführung von TNF-alpha-Inhibitoren vergleichbare Diskussionen geführt hat. Aus meiner Sicht ist eine kritische Begleitung und eine Risiko-Überwachung bei neuen Medikamenten dringlich indiziert, ein Medikament aber gleich als Reservemedikament zu klassifizieren, wo bis zum heutigen Tag für die Anwendung in der CU für alle drei verfügbare JAK-Inhibitoren das beschriebene Risikoprofil nicht wie in der Behandlung der rheumatoiden Arthritis nachweisbar ist, erscheint mir auch im Sinne der Patienten nicht zielführend.

Antwort der AkdÄ

Die AkdÄ bedankt sich für den Kommentar von Professor Dignass zu ihrer Stellungnahme im Verfahren zur frühen Nutzenbewertung von Upadacitinib und möchte wie folgt darauf antworten.

Zur Remissionsinduktion können laut aktueller deutscher Leitlinie systemische Kortikosteroide, Biologika (TNF-α-Antikörper, Vedolizumab, Ustekinumab), JAK-Inhibitoren (Filgotinib, Tofacitinib) und Calcineurininhibitoren (Cyclopsorin und Tacrolimus) eingesetzt werden. Für den Remissionserhalt stellen Biologika, JAK-Inhibitoren und Thiopurine (Azathioprin und 6-Mercaptopurin) therapeutische Optionen dar. Unter „konventioneller Therapie“ versteht die Leitlinie die Behandlung mit systemischen Kortikosteroiden. Thiopurine, Calcineurininhibitoren und JAK-Kinase-Inhibitoren fallen weder unter „konventionelle“ noch unter „biologische“ Therapie. Die Auswahl des Arzneimittels erfolgt individuell in Abhängigkeit von dem Nebenwirkungsspektrum, der Schnelligkeit des Wirkungseintritts, dem Patientenalter, der Schwere der Erkrankung, den Vorbehandlungen und den Begleiterkrankungen.

Upadacitinib ist ein selektiver reversibler Januskinase (JAK)-Inhibitor, der als Tablette oral appliziert wird. Er ist in Deutschland seit 2020 zugelassen zur Behandlung von Patienten mit rheumatoider Arthritis, Psoriasis-Arthritis, atopischer Dermatitis und axialer Spondylarthritis. Bei der CU werden proinflammatorische Signale über den JAK-Signal Transducers und Activators of Transcription(STAT)-Signalweg vermittelt. Upadacitinib bindet vorrangig an JAK1. Die JAK1-Hemmung soll die proinflammatorische Signalkaskade mehrerer Zytokine, vor allem von Interleukin 5 und Interleukin 13, unterbrechen.

Zu Tofacitinib, das weniger selektiv als Upadacitinib an JAK1 bindet, gibt es eine Postmarketing-Beobachtungsstudie (ORAL Surveillance, 10.1056/NEJMoa2109927), die im Herbst 2022 für das Pharmacovigilance Risk Assessment Committee (PRAC) der EMA Anlass gab zu Empfehlungen zur Risikominimierung bei der Verordnung von JAK-Inhibitoren. Danach sollen JAK-Inhibitoren bei Patienten im Alter ≥ 65 Jahren, mit Nikotinabusus oder mit einem erhöhten Risiko für kardiovaskuläre und maligne Erkrankungen nur dann eingesetzt werden, wenn keine geeigneten Behandlungsalternativen zur Verfügung stehen. Eine schwere Colitis ulcerosa (CU) geht bereits unabhängig von weiteren Faktoren mit einem erhöhten Karzinomrisiko einher. Die Einordnung von Upadacitinib als Reservetherapeutikum bei CU folgt somit der Risiko-Einschätzung des PRAC.

Im Kommentar von Professor Dignass wird angemerkt, dass bislang für Patienten mit CU kein erhöhtes Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse oder maligne Erkrankungen nachgewiesen wurde. Der Nachweis seltener unerwünschter Ereignisse setzt eine ausreichend große Studienpopulation und -dauer voraus. Die Studie ORAL Surveillance, die den Rote-Hand-Brief zu Tofacitinib veranlasste, schloss fast 3000 Patienten mit einem medianen Follow-up von 4 Jahren unter Tofacitinib ein (> 10.000 Patientenjahre). Die Erhaltungsstudie U-ACHIEVE zu Upadacitinib umfasste deutlich weniger Patienten (n = 746), die deutlich kürzer (52 Wochen) als in der Studie ORAL Surveillance beobachtet wurden. Patientenzahl und Studiendauer von U-ACHIEVE sind zu gering, um seltene oder spät auftretende unerwünschte Ereignisse sicher beurteilen zu können

Zusammenfassend stellen die vorliegenden Studienergebnisse aus Sicht der AkdÄ die Sicherheitshinweise des PRAC nicht infrage. JAK-Inhibitoren haben bei Patienten mit CU deshalb nach Einschätzung der AkdÄ am ehesten einen Stellenwert nach Versagen von Biologika.

Rückmeldung von Professor Dignass

Aus meiner Sicht besteht natürlich ein großer Unterschied zwischen Reserve-Medikament und Erstlinientherapie. In bestimmten Situationen, z. B. hoch aktive, Steroid-refraktäre CU kann das nicht zugelassene Tacrolimus/Cyclosporin, Infliximab oder auch ein sehr schnell wirkender JAK-Inhibitor gegeben werden. Bei jüngeren Patienten sicherlich gar kein Problem, bei älteren Patienten manchmal sicherer als die Gabe von Infliximab. In dieser Situation kann es in einzelnen Fällen Erstlinientherapie sein. Ich habe die Sorge, dass wir in die Zeit der Anfänge der Infliximab-Ära zurückfallen. Da haben wir weiter Azathioprin gegeben, heute ist Infliximab Goldstandard. In der Tat sollte dieses Medikament nicht jeder geben, sondern vermutlich nur erfahrene Ärzte.

Fazit der AkdÄ

Grundsätzlich ist die Einführung neuer Substanzen bzw. Substanzklassen zur Behandlung der CU zu begrüßen. Sie sind notwendig, weil es in der Behandlung dieser Erkrankung einen relevanten Anteil von Patienten mit primärem und sekundärem Therapieversagen gibt. Die Zulassung von Upadacitinib sieht die Substanz nicht als Primärtherapeutikum in der Behandlung der CU. Zudem fordert die EMA bei der Verordnung von JAK-Inbitoren bei CU die Berücksichtigung von Einschränkungen/Abwägungen aufgrund eines erhöhten Risikoprofils. Der Einschätzung von Professor Dignass, dass die Verordnung von Upadacitinib durch einen erfahrenen Behandler erfolgen sollte, kann daher nur zugestimmt werden. Das Risikoprofil dieser Substanz sollte in Anwendungsbeobachtungen dokumentiert und bewertet werden. Wichtig ist die Meldung von Verdachtsfällen von Nebenwirkungen an die AkdÄ: https://www.akdae.de/arzneimittelsicherheit/uaw-meldung.

Aktuelle Entwicklung

Nach Abschluss dieser Korrespondenz wurde am 17. März 2023 ein Rote-Hand-Brief aufgrund der als Gruppeneffekt eingestuften Risiken der JAK-Inhibitoren an die verordnenden Ärzte versendet:

Interessenkonflikte

Die Autoren geben an, keine Interessenkonflikte zu haben.