Frühe Nutzenbewertung von Arzneimitteln: Beteiligung der AkdÄ im Jahr 2022

Arzneiverordnung in der Praxis

Ausgabe 1/2023

Arzneimittelnutzenbewertung

Hintergrund

Mit dem Gesetz zur Neuordnung des Arzneimittelmarktes (AMNOG) nach § 35a SGB V erhielt der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) den Auftrag, den Zusatznutzen von Arzneimitteln mit neuen Wirkstoffen im Vergleich zum Therapiestandard zu bewerten. Diese sogenannte „frühe“ Nutzenbewertung verpflichtet den pharmazeutischen Unternehmer (pU) seit dem 1. Januar 2011, unmittelbar nach Markteintritt eines erstattungsfähigen Arzneimittels mit neuem Wirkstoff den Zusatznutzen gegenüber einer zweckmäßigen Vergleichstherapie nachzuweisen (1). Dies gilt auch für neu zugelassene Anwendungsgebiete dieser Arzneimittel.

Bevor der G-BA einen Beschluss fasst, auf dessen Grundlage die Preisverhandlungen zwischen pU und dem Spitzenverband Bund der Krankenkassen (GKV-SV) stattfinden, wird ein Stellungnahmeverfahren (schriftlich und mündlich) durchgeführt. Damit wird der Preis neu zugelassener Arzneimittel (seit Inkrafttreten des GKV-Finanzstabilisierungsgesetzes im November 2022) nur noch in den ersten sechs Monaten vom pU frei festgesetzt. Danach gilt ein zwischen pU und GKV-SV vereinbarter Erstattungsbetrag, der sich nach dem Ausmaß des Zusatznutzens des neuen Arzneimittels richtet. Ziel des Gesetzes ist, eine zweckmäßige, qualitativ hochwertige und wirtschaftliche Arzneimittelversorgung in Deutschland sicherzustellen.

Über den Ablauf des Verfahrens der frühen Nutzenbewertung wurde in AVP 1/2016 berichtet (2). Die unterschiedlichen Kategorien bezüglich des Ausmaßes des Zusatznutzens eines Arzneimittels nach Nutzenbewertungsverordnung sind in Tabelle 1 dargestellt.

Stellungnahmen der AkdÄ

Die AkdÄ wurde als Sachverständige der medizinischen Wissenschaft und Praxis vom G-BA als stellungnahmeberechtigte Organisation bestimmt (§ 92 Abs. 3a SGB V). Die AkdÄ-Stellungnahmen zu Verfahren der frühen Nutzenbewertung werden auf der Homepage der AkdÄ veröffentlicht (https://www.akdae.de/stellungnahmen/amnog) und im Anschluss an die mündliche Anhörung beim G-BA über den AkdÄ-Newsletter „AkdÄ News“ an die Abonnenten versendet (Anmeldung: hier). Zu ausgewählten versorgungsrelevanten Wirkstoffen findet sich nach Beschlussfassung durch den G-BA eine Zusammenfassung in AVP in der Rubrik „Neue Arzneimittel: Frühe Nutzenbewertung“ (Archiv: hier).

Die AkdÄ hat sich im Zeitraum vom 1. Januar 2011 bis zum 31. Dezember 2022* an insgesamt 218 Verfahren beteiligt. Legt man die Gesamtzahl der Verfahren beim G-BA von 863 zugrunde, liegt die durchschnittliche jährliche Beteiligung der AkdÄ bei 25 % (Abbildung 1). In Tabelle 2 ist die Beteiligung der AkdÄ im Jahr 2022 dargestellt. Weitere Informationen zur Beteiligung im Zeitraum 2011–2021 sind verfügbar unter: https://www.akdae.de/fileadmin/user_upload/akdae/Arzneimitteltherapie/AVP/Artikel/2022-1-2/058.pdf.

*Der zeitliche Rahmen eines Verfahrens der Nutzenbewertung von Arzneimitteln gemäß § 35a SGB V wurde gesetzlich auf sechs Monate pro Arzneimittel festgesetzt. Die Beteiligung der AkdÄ beginnt mit der Veröffentlichung der Bewertung und der Einleitung des schriftlichen Stellungnahmeverfahrens und dauert drei Wochen, nach denen eine Stellungnahme eingereicht wird. In den darauffolgenden neun Wochen findet die mündliche Anhörung beim G-BA, an der die AkdÄ teilnimmt, statt und es erfolgt die Gesamtabwägung auf Grundlage der Dossierbewertung und der Stellungnahmen beim G-BA. Erst danach wird ein Beschluss des G-BA veröffentlicht. Zwischenzeitlich sind aber mehrere weitere Verfahren angelaufen, immer zum 1. und 15. eines Monats. In diesem Beitrag sind alle Verfahren berücksichtigt worden, für die die AkdÄ bis zum 22.12.2022 eine Stellungnahme eingereicht hat und zu denen der G-BA bis zum 16.02.2023 einen Beschluss veröffentlicht hat.

Bei Betrachtung der Arzneimittel mit neuen Wirkstoffen, zu denen der G-BA ein Stellungnahmeverfahren bis dato eröffnet hat, steht das Therapiegebiet der onkologischen Erkrankungen mit 40 % an erster Stelle. Die Beteiligungsraten der AkdÄ an den Stellungnahmeverfahren nach Therapiegebieten im Jahr 2022 sind in Abbildung 2 dargestellt.

Empfehlungen der AkdÄ für die Bewertung des Zusatznutzens sind Bestandteil der AkdÄ-Stellungnahmeverfahren und werden in einem Fazit festgehalten. Dabei resümierte die AkdÄ bei 49 % der 218 eingereichten Stellungnahmen den Zusatznutzen als nicht belegt (Abbildung 3), wohingegen der G-BA diese Kategorie bei 45 % der 827 gefassten Entscheidungen beschloss (Abbildung 4). In ihrem Fazit hat die AkdÄ bei 17 % ihrer Stellungnahmen einen nicht quantifizierbaren Zusatznutzen empfohlen, der G-BA beschloss bei 19 % der Verfahren einen nicht quantifizierbaren Zusatznutzen (Abbildungen 3 und 4).

Das Verfahren der frühen Nutzenbewertung hat in den zwölf Jahren seit seiner Einführung eine deutlich bessere Transparenz hinsichtlich der Ergebnisse von klinischen Studien implementiert, auf deren Basis neue Arzneimittel zugelassen wurden, und damit einen enormen Informationsgewinn bedingt, von dem alle im deutschen solidarisch finanzierten Gesundheitswesen profitieren: Patienten, Ärzte, Krankenversicherung (3).

Seit dem 1. Oktober 2020 erhalten Vertragsärzte einen Hinweis in ihrer Verordnungssoftware, wenn für ein Arzneimittel ein Beschluss zur frühen Nutzenbewertung vorliegt. Unter anderem sind dabei Angaben über das Anwendungsgebiet, Aussagesicherheit und Ausmaß des Zusatznutzens und Ergebnisse der klinisch relevanten Endpunkte (Mortalität, Morbidität, Lebensqualität und unerwünschte Ereignisse) erhältlich. Ein Hyperlink ermöglicht den direkten Zugriff auf den Beschluss auf der Internetseite des G-BA. Zudem sind Recherchen möglich, für welche Arzneimittel ein Beschluss zur frühen Nutzenbewertung vorliegt (4).

Beratungen zur zweckmäßigen Vergleichstherapie

Mit dem Gesetz für mehr Sicherheit in der Arzneimittelversorgung (GSAV) wurde u. a. eine Beratung der pU durch den G-BA zur Planung klinischer Prüfungen vor Beginn von Zulassungsstudien der Phase III eingeführt. Diese erfolgt unter Beteiligung des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte oder des Paul-Ehrlich-Instituts. Zu Fragen der Vergleichstherapie sollen unter Beachtung der Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse des pU die wissenschaftlich-medizinischen Fachgesellschaften und die AkdÄ schriftlich beteiligt werden. Die AkdÄ wird daher seit 2020 vom G-BA zu Fragen der Vergleichstherapie befragt. Dabei geht es um den medizinischen Stand der jeweiligen Behandlung in einer entsprechenden Indikation bzw. um den Versorgungsstandard oder bestimmte Subpopulationen, die in der Versorgung berücksichtigt werden müssen.

Literatur

  1. Verordnung über die Nutzenbewertung von Arzneimitteln nach § 35a Absatz 1 SGB V für Erstattungsvereinbarungen nach § 130b SGB V: https://www.gesetze-im-internet.de/am-nutzenv/. Letzter Zugriff: 10. März 2023.
  2. Bickel B: Frühe Nutzenbewertung nach AMNOG und Auswirkungen auf die Vertragsärzte. Arzneiverordnung in der Praxis (AVP) 2016; 43: 43-47.
  3. Zieschang M, Rosien U: Arzneimittelinnovationen: Nutzen, Schaden, Profit – Bericht über die Jubiläumsveranstaltung aus Anlass des 50. Jahrgangs DER ARZNEIMITTELBRIEF. Arzneiverordnung in der Praxis (AVP) 2017; 44: 45-49.
  4.  https://www.kbv.de/html/praxisinformationen.php. Letzter Zugriff: 10. März 2023.