Austauschbarkeit biologischer Arzneimittel innerhalb der EU bestätigt

Arzneiverordnung in der Praxis

Ausgabe 4/2022

Was uns sonst noch auffiel

Statement der EMA

Die European Medicines Agency (EMA) und die Heads of Medicines Agencies (HMA) haben einen gemeinsamen Bericht zu Biosimilars veröffentlicht. Der Bericht spricht sich für die Austauschbarkeit von in der Europäischen Union (EU) zugelassenen Biosimilars mit ihren Referenzarzneimitteln oder einem äquivalenten Biosimilar aus.

Die Austauschbarkeit von Biosimilars wird bereits in vielen EU-Mitgliedsstaaten von Ärztinnen und Ärzten praktiziert. Dieser aktuelle Bericht soll aus Sicht der EMA als ein entscheidender Schritt für die Harmonisierung der Vorgehensweise innerhalb der EU dienen, indem es Klarheit für die Angehörigen des Gesundheitswesens EU-weit bringt und dadurch Patienten besseren Zugang zu biologischen Arzneimitteln ermöglicht (1).

Biosimilars sind biologische Arzneimittel, deren arzneilich wirksamer Bestandteil strukturell Ähnlichkeiten (biosimilar) mit einem bereits in der EU zu gelassenen Biologikum (Referenzarzneimittel) besitzt und eine identische pharmakologische Wirkung ausübt (2). Als Austauschbarkeit (Interchangeabilitity) wird die medizinische Praxis referenziert, ein Arzneimittel gegen ein anderes auszutauschen, welches in der gegebenen Indikation den gleichen klinischen Effekt in jedem beliebigen Patienten erzielt.

„Die EMA hat seit 2006 bereits 86 Biosimilars bewertet. Diese Arzneimittel wurden in den letzten 15 Jahren gründlich geprüft und streng überwacht und die Erfahrungen aus der klinischen Praxis haben gezeigt, dass sie in Bezug auf Wirksamkeit, Sicherheit und Immunogenität mit ihren Referenzarzneimitteln vergleichbar und daher austauschbar sind“, so Emer Cooke, Exekutivdirektorin der EMA (3). „Dies ist eine gute Nachricht für Patienten und Angehörige der Gesundheitsberufe, die damit einen breiteren Zugang zu wichtigen therapeutischen Optionen zur Behandlung schwerer Krankheiten wie Krebs, Diabetes und rheumatoider Arthritis erhalten.“

Der Bericht wurde von Experten der Biosimilar Working Party und der Heads of Medicines Agencies Working Group of Biosimilars verfasst und vom Ausschuss für Humanarzneimittel der EMA, dem CHMP, verabschiedet.

Die Position der EMA basiert auf den Erfahrungen aus der klinischen Praxis, in der Ärztinnen und Ärzte Patienten zwischen verschiedenen biologischen Arzneimitteln umstellen. Zugelassene Biosimilars haben im Vergleich zu ihren Referenzarzneimitteln eine ähnliche Wirksamkeit, Sicherheit und Immunogenität gezeigt, und die Analyse von Sicherheitsdaten aus mehr als einer Million Patientenbehandlungsjahren ergab keine Sicherheitsbedenken. Daher waren die Experten der Ansicht, dass ein Biosimilar, wenn es in der EU zugelassen ist, anstelle des Referenzarzneimittels (oder umgekehrt) verwendet oder durch ein anderes Biosimilar desselben Referenzarzneimittels ersetzt werden kann (1).

Entscheidungen über die automatische Substitution auf Apothekenebene (d. h. die Abgabe eines Arzneimittels anstelle eines anderen ohne Rücksprache mit dem verschreibenden Arzt) werden allerdings auf nationaler Ebene von den einzelnen Mitgliedstaaten getroffen.

Die EMA wird ihr Kommunikationsmaterial zu Biosimilars für Patienten und Angehörige der Gesundheitsberufe aktualisieren, um diesen gemeinsamen Standpunkt darzustellen.

Die AkdÄ setzt sich seit Jahren für den rationalen Einsatz biologischer Arzneimittel ein und hat sich bereits im Jahr 2017 für die Austauschbarkeit von Biosimilars und Referenzarzneimitteln ausgesprochen. In ihrem Leitfaden „Biosimilars“ wurden zudem Empfehlungen für die Verordnung von Biosimilars zusammengestellt und die verfügbare Evidenz zur Umstellung von Patienten dargestellt und bewertet (4). Unter Berücksichtigung dieser Empfehlungen können Biosimilars einen wichtigen Beitrag zur Versorgung von Patienten mit Biologika und zur Kostenreduktion in unserem solidarisch finanzierten Gesundheitssystem liefern. Die Entscheidung zum Einsatz eines Biosimilars muss dabei der Arzt treffen. Nach Auffassung der AkdÄ bedürfen die Ersteinstellung oder Umstellung auf ein Biosimilar („Switch“) insbesondere der ausführlichen ärztlichen Information und Aufklärung des Patienten, um die Adhärenz zu steigern und Nocebo-Effekte zu minimieren (2).

Automatische Substitution

Automatische Substitution bei Biologika kommt derzeit nur selten vor und ist selbst in Ländern, in denen Generikasubstitution verpflichtend ist, meist nicht erlaubt. In Spanien ist gesetzlich geregelt, welche Arzneimittel von der Substitution durch den Apotheker ausgeschlossen sind und nur mit der Zustimmung des verschreibenden Arztes ausgetauscht werden dürfen. Biologika sind mit den Beispielen Insuline, Blutderivate, Impfstoffe und biotechnologische Arzneimittel explizit von der Anwendbarkeit der Regelung ausgeschlossen. In Frankreich war grundsätzlich seit 2014 die Biosimilarsubstitution erlaubt, bedurfte aber zur Umsetzung einer Präzisierung der Modalitäten mittels einer Verordnung durch die Verwaltungsgerichtsbarkeit. Diese Umsetzung erfolgte nicht; stattdessen wurde 2020 die Ermöglichung der Biosimilarsubstitution wieder rückgängig gemacht (5). Seit Juli 2021 ist die Biosimilarsubstitution in norwegischen Apotheken gesetzlich erlaubt. Sobald biologische Wirkstoffe in eine Substitutionsliste aufgenommen sind, unterliegen diese einer automatischen Substitution und einer besonderen Preisregelung (6).

Nach dem 2019 in Kraft getretenen Gesetz für mehr Sicherheit in der Arzneimittelversorgung (GSAV) sollte der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) bis spätestens 16. August 2022 Hinweise zur Austauschbarkeit von biologischen Referenzarzneimitteln durch Apotheken im Sinne einer automatischen Substitution veröffentlichen. Das vom G-BA eingeleitete Verfahren zur Änderung der Arzneimittel-Richtlinie und Konkretisierung der Rahmenbedingungen für den Austausch von biotechnologisch hergestellten biologischen Arzneimitteln durch die Apotheke musste allerdings erstmal eingestellt werden, nachdem in den Stellungnahmen sowie in der mündlichen Anhörung zahlreiche Einwände vorgebracht wurden, die dagegensprechen (5). Mit dem am 12. November 2022 in Kraft getretenen GKV-Finanzstabilisierungsgesetz (GKV-FinStG) wurde die Frist zum Erlass der Hinweise zur Austauschbarkeit von biologischen Referenzarzneimitteln durch Apotheken um ein Jahr auf den 16. August 2023 verlängert. Außerdem wurde der Regelungsauftrag an den G-BA konkretisiert: zunächst sollen lediglich Hinweise zur Austauschbarkeit von parenteralen Zubereitungen aus Fertigarzneimitteln zur unmittelbaren ärztlichen Anwendung bei Patienten gegeben werden. Nach dem Inkrafttreten der automatischen Substitution für diese Zubereitungen in der Apotheke soll die weitere Entwicklung kritisch begleitet und die Regelungen in Bezug auf die Patientensicherheit und die möglichen Risiken für die Versorgung engmaschig evaluiert werden.

Literatur

  1. European Medicines Agency (EMA), Heads of Medicines Agencies (HMA): Statement on the scientific rationale supporting interchangeability of biosimilar medicines in the EU: https://www.ema.europa.eu/documents/public-statement/statement-scientific-rationale-supporting-interchangeability-biosimilar-medicines-eu_en.pdf (letzter Zugriff: 14. Dezember 2022). Amsterdam, 19. September 2022.
  2. Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft: Leitfaden: Biosimilars: https://www.akdae.de/fileadmin/user_upload/akdae/Arzneimitteltherapie/LF/PDF/Biosimilars.pdf (letzter Zugriff: 14. Dezember 2022). 2. Auflage, Version 1.0 (Januar 2021); Berlin AkdÄ, 2021.
  3. European Medicines Agency (EMA): Biosimilar medicines can be interchanged: https://www.ema.europa.eu/en/news/biosimilar-medicines-can-be-interchanged (letzter Zugriff: 14. Dezember 2022). Stand: 19. September 2022.
  4. Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft: Leitfaden: Biosimilars: Empfehlungen der AkdÄ zur Behandlung mit Biosimilars: https://www.akdae.de/fileadmin/user_upload/akdae/Arzneimitteltherapie/LF/PDF/Biosimilars-KF.pdf (letzter Zugriff: 14. Dezember 2022. 2. Auflage, Version 1.0 (Januar 2021); Berlin AkdÄ, 2021.
  5. Gemeinsamer Bundesausschuss (G-BA): Tragende Gründe zum Beschluss des Gemeinsamen Bundesausschusses über die Einstellung des Verfahrens zur Änderung der Arzneimittel-Richtlinie: § 40b (neu) – Austausch von biotechnologisch hergestellten biologischen Arzneimitteln durch Apotheken: https://www.g-ba.de/downloads/40-268-9087/2022-12-06_AM-RL_Einstellung-Verfahren_Biologika-Apotheke_TrG.pdf (letzter Zugriff: 14. Dezember 2022). Stand: 6. Dezember 2022.
  6. Vogler S, Panteli D, Busse R: Biologika und Biosimilars in Deutschland und im europäischen Vergleich – Marktsteuerungsmechanismen und Preisvergleich. In: Ludwig W-D, Mühlbauer B, Seifert R (Hrsg.): Arzneiverordnungs-Report 2021. Berlin: Springer-Verlag, 2021; 75-108.