Zum klinischen Nutzen von Molnupiravir und Nirmatrelvir in der Behandlung nicht hospitalisierter Patienten mit COVID-19 und einem Risiko für einen schweren Verlauf

Arzneiverordnung in der Praxis

Ausgabe 1/2022

Ärzteschaft und Öffentlichkeit werden in Fach- und Laienpresse überflutet mit positiven Nachrichten zu den beiden neuen, oral verfügbaren antiviralen Arzneimitteln, die bei symptomatischem, aber höchstens moderatem COVID-19 einen schweren Verlauf verhindern sollen. Das Bundesministerium für Gesundheit hat bereits vor der arzneimittelrechtlichen Zulassung Kontingente dieser Arzneimittel mit den Wirkstoffen Molnupiravir (Lagevrio®, Merck Sharp & Dohme, MSD) und Nirmatrelvir/Ritonavir (Paxlovid®, Pfizer) bestellt. In einem patientenindividualisierten Verfahren können sie nun in Apotheken angefordert werden (1). In der wissenschaftlichen Welt rief dieses Vorpreschen Kopfschütteln hervor, da es für die Wirksamkeit außer Pressemitteilungen der Hersteller keinerlei belastbare Evidenz gab. Nun sind im Februar 2022 die Vollpublikationen der für die Zulassung relevanten klinischen Studien MOVe-OUT zu Molnupiravir (2) bzw. EPIC-HR zu Nirmatrelvir/Ritonavir (3) im New England Journal of Medicine erschienen (vgl. (4)).

Molnupiravir

MOVe-Out war eine doppelblinde, randomisierte und placebokontrollierte Phase-III-Studie zur Wirksamkeit und Sicherheit von Molnupiravir, einem Prodrug von N4-Hydroxycytidin (NHC) (5). NHC wird als Ribonukleosid-Analogon als falscher Baustein in die virale RNA von SARS-CoV-2 eingebaut und hemmt dadurch dessen Replikation.

Insgesamt 1433 nicht hospitalisierte Teilnehmer mit milder oder moderater COVID-19-Symptomatik erhielten 1:1 randomisiert über fünf Tage Molnupiravir (vier Kapseln à 200 mg zweimal täglich) oder Placebo (2). Der Beginn der COVID-19-Symptome durfte höchstens fünf Tage zurückliegen, und es musste mindestens einer der folgenden Risikofaktoren vorliegen: Alter > 60 Jahre; aktive Krebserkrankung; chronische Niereninsuffizienz; chronisch-obstruktive Lungenerkrankung; Adipositas mit BMI ≥ 30 kg/m2; schwere kardiovaskuläre Erkrankung; Diabetes mellitus. Die Studienteilnehmer durften nicht geimpft sein gegen SARS-CoV-2. Weitere Ausschlusskriterien waren eine geplante Krankenhausaufnahme innerhalb von 48 Stunden, schwere Niereninsuffizienz (Dialyse oder GFR < 30 ml/min/1,73 m2), Schwangerschaft. Unter den randomisierten Teilnehmern wurden als die drei häufigsten SARS-CoV-2-Varianten nachgewiesen: B.1.617.2 (Delta; 58,1 %), B.1.621 (My; 20,5 %) und P.1 (Gamma; 10,7 %).

Im primären kombinierten Endpunkt aus Hospitalisierung oder Tod innerhalb von 29 Tagen zeigte sich für Molnupiravir mit 6,8 % gegenüber 9,7 % unter Placebo ein geringer Vorteil (2). Der absolute Unterschied von ca. 3 % bedeutet eine „Number Needed to Treat“ (NNT) von 34. Der Effekt war keineswegs konsistent über alle Subgruppen. Entsprechende Analysen zeigten sogar Vorteile der Placebo-Behandlung bei vorausgegangener Infektion mit SARS-CoV-2, bei geringer Viruslast und bei Diabetes mellitus.

In der Untersuchung traten unerwünschte Ereignisse (UE) bei den Teilnehmern in der Molnupiravir-Gruppe prozentual ähnlich häufig auf wie in der Placebo-Gruppe (30,4 % vs. 33 %). Zu den am häufigsten berichteten Nebenwirkungen unter Molnupiravir gehörten Durchfall, Übelkeit und Schwindel, alle in milder oder mäßig schwerer Ausprägung (2).

Zur Sicherheit und Wirksamkeit der Anwendung von Molnupiravir über mehr als fünf Tage ist nichts bekannt. Frauen wird empfohlen, während und für vier Tage nach der Behandlung eine zuverlässige Verhütungsmethode anzuwenden. Männer sollten während der Behandlung mit Molnupiravir und für drei Monate danach kein Kind zeugen. Molnupiravir wird nicht für schwangere oder stillende Frauen empfohlen, sowie aufgrund fehlender Daten zur Wirksamkeit und Sicherheit auch nicht für Patienten unter 18 Jahren.

Diese Daten liefern aus Sicht der AkdÄ keine ausreichende Evidenz für die Empfehlung von Molnupiravir zur Behandlung ungeimpfter, mäßig symptomatischer Patienten mit COVID-19 und einem Risiko für einen schweren Verlauf. Dies wird auch international so eingeschätzt. Unter der Überschrift „Molnupiravir’s authorisation was premature“ wurde aktuell im BMJ die MOVe-OUT-Studie kommentiert (6). Kritisiert wird die vorschnelle Pressemitteilung des Herstellers zur Zwischenanalyse der MOVe-Out-Studie; darin wurde eine signifikante 50-prozentige Reduktion von Hospitalisierung oder Tod durch Molnupiravir innerhalb von 29 Tagen nach SARS-Co-V2 Infektion behauptet (7). Dies führte in Großbritannien und in den USA zur bedingten bzw. Notfall-Zulassung, wofür im Vergleich zu einer regulären Zulassung schwächere Evidenz hinsichtlich Wirksamkeit und Sicherheit akzeptiert werden (6). Im BMJ-Kommentar wird das Problem der vorzeitigen Studienbeendigung (“truncated trials“) adressiert, insbesondere wenn die Gründe hierfür unklar bleiben. Die in der Endauswertung von MOVeOut publizierte, im Vergleich zur Zwischenanalyse (–6,8 %) deutlich geringere absolute Risikoreduktion im primären Endpunkt (–3 %) schlägt sich auch in der statistischen Betrachtung nieder. Mit p = 0,043 war der Effekt nur grenzwertig signifikant (6). Zusammen mit dem bisher unzureichend definierten Nebenwirkungsprofil ist somit auch der klinische Nutzen von Molnupiravir nicht abschließend gesichert. Hierzu bedarf es weiterer klinischer Studien sowie „cost effectiveness“-Analysen durch „Health Technology Assessment“ (HTA)-Einrichtungen.

Nirmatrelvir/Ritonavir

Nirmatrelvir hemmt die Virusreplikation durch Bindung an die SARS-CoV-2-3CL-Protease. Ritonavir soll diese Wirkung verstärken, indem es durch Hemmung von CYP3A4 die Metabolisierung von Nirmatrelvir hemmt. Das als Paxlovid® vertriebene Handelspräparat enthält Nirmatrelvir- und Ritonavir-Filmtabletten, die gemeinsam eingenommen werden sollen.

Nirmatrelvir/Ritonavir wurde in einer EPIC-HR genannten doppelblinden, randomisierten, placebokontrollierten Phase-II/III-Studie an Patienten mit hohem Risiko für einen schweren Verlauf von COVID-19 untersucht. Sie waren fast ausschließlich mit der Delta-Variante von SARS-CoV-2 (98 %) infiziert (3). Die Studienteilnehmer waren nicht gegen SARS-CoV-2 geimpft, mild bis moderat symptomatisch, nicht hospitalisiert, ≥ 18 Jahre (median 46 Jahre). Die Symptome der bestätigten SARS-CoV-2-Infektion durften höchstens fünf Tage vor Randomisierung aufgetreten sein, und es musste zumindest ein Risikofaktor für einen schweren Krankheitsverlauf vorliegen. Ausschlusskriterien waren u. a. eine vorausgegangene SARS-CoV-2 Infektion, eine stattgehabte oder innerhalb von 48 Stunden nach Randomisierung erwartete Hospitalisierung infolge von COVID-19, eine vorausgegangene Gabe von Rekonvaleszentenplasma sowie eine bereits erfolgte oder geplante Behandlung mit monoklonalen Antikörpern. Über fünf Tage wurden alle zwölf Stunden 300 mg Nirmatrelvir plus 100 mg Ritonavir (1120 Patienten) oder Placebo (1126 Patienten) verabreicht. Primärer Endpunkt war der Prozentsatz von Patienten, die innerhalb von 28 Tagen wegen COVID-19 hospitalisiert wurden oder starben. Zur Bestimmung der Sicherheit wurden unerwünschte Ereignisse (UE) während der Gabe von Nirmatrelvir/Ritonavir und bis Tag 34 danach ausgewertet.

Geplant war der Einschluss von 3000 Patienten. Nach dem positiven Ergebnis einer geplanten Zwischenanalyse wurde die Studie jedoch vorzeitig beendet. In der nun publizierten finalen Analyse zeigte sich für den primären Endpunkt eine relative Risikoreduktion von 89 % durch Nirmatrelvir/Ritonavir. Allerdings war die Ereignisrate insgesamt niedrig, sodass die absolute Risikoreduktion eher gering war (6,4 vs. 0,8 %, Differenz 5,6 %; 95 % CI 4,0–7,2). Dies spiegelt sich in einer NNT von 18 wider. Dasselbe gilt für die bis zu diesem Zeitpunkt der Auswertung aufgetretenen Todesfälle: Alle ereigneten sich in der Placebo-Gruppe, mit n = 9 waren dies aber gerade einmal 0,4 % im gesamten Studienkollektiv. Die Häufigkeit behandlungsbedingter UE war ähnlich in beiden Gruppen (22,6 % vs. 23,9 %) und überwiegend gering oder mäßig ausgeprägt (Grad 1 und 2) (8). Störungen des Geruchs- und Geschmackssinnes sowie Diarrhö traten unter Nirmatrelvir/Ritonavir häufiger auf als unter Plazebo. Die Viruslast an Tag 5 der Behandlung war niedriger unter Nirmatrelvir/Ritonavir (3).

Die Sicherheit und Wirksamkeit von Nirmatrelvir plus Ritonavir bei Schwangeren und stillenden Frauen sind noch unklar. Das Stillen sollte deshalb während und sieben Tage nach Einnahme von Nirmatrelvir/Ritonavir unterbrochen werden. Da Ritonavir die Wirksamkeit kombinierter antihormoneller Kontrazeptiva gefährdet, sollten Frauen während der Behandlung und darüber hinaus während eines Menstruationszyklus andere kontrazeptive Methoden anwenden (8). Aufgrund der zahlreichen Interaktionen von Ritonavir ist die Behandlung mit Paxlovid® kontraindiziert bei gleichzeitiger Einnahme von Wirkstoffen, die durch CYP3A metabolisiert werden oder CYP3A induzieren. Dazu gehören beispielsweise Antiarrhythmika wie Amiodaron, Dronedaron und Flecainid, Antikonvulsiva wie Carbamazepin, Lipidsenker wie Simvastatin, Antipsychotika wie Clozapin und Quetiapin sowie pflanzliche Arzneimittel wie Johanniskraut. Wechselwirkungen sind mit vielen weiteren Arzneimitteln beschrieben, darunter Antikoagulanzien wie Rivaroxaban und Warfarin. Darüber hinaus ist Paxlovid® kontraindiziert bei Patienten mit deutlicher Einschränkung der Leber- oder Nierenfunktion (8-10).

Zur realistischen Einschätzung des klinischen Stellenwertes von Nirmaltrevir/Ritonavir muss der große Unterschied zwischen relativer und absoluter Risikoreduktion sowie die genannte NNT berücksichtigt werden. Zu diesem Schluss kommt auch ein Editorial im NEJM (11), in dem zusätzlich darauf hingewiesen wird, dass Patienten mit niedrigerem Risiko für einen schweren Krankheitsverlauf nur einen sehr geringen Nutzen von Nirmatrelvir/Ritonavir hatten und der größte absolute Nutzen bei Patienten mit dem höchsten Risiko beobachtet wurde.

Fazit

Für die Arzneimittel Nirmatrelvir/Ritonavir (Paxlovid®) und Molnupiravir (Lagevrio®) ist der therapeutische Stellenwert nicht ausreichend geklärt, um einen unkritischen Einsatz bei allen zur Zielpopulation gehörenden Patienten zu rechtfertigen, zu der beispielsweise alle Patienten mit einem Alter ab 60 Jahren unabhängig von Begleiterkrankungen zählen. Die absoluten Werte der Risikoreduktion sind gering und die Nebenwirkungsprofile müssen besser definiert werden. Darüber hinaus ist die Wirksamkeit der Arzneimittel bei der zurzeit dominierenden Omikron (B.1.1.529)-Variante von SARS-CoV-2 vollkommen unklar, die sowieso grundsätzlich zu deutlich weniger schweren Krankheitsverläufen, einschließlich Hospitalisierung und Tod, führt als beispielsweise die Delta-Variante (12;13). Auch zum Nutzen der Arzneimittel in der Behandlung von COVID-19 bei geimpften Patienten ist derzeit nichts bekannt (14). Weitere klinische Studien sollten insbesondere untersuchen, welche Subgruppen von Patienten von den Arzneimitteln profitieren. Die Fehler der Vergangenheit dürfen sich nicht wiederholen, wie die Verschwendung von mehr als 18 Mrd. US-$ für Oseltamivir (Tamiflu®), einem ebenfalls antiviralen Medikament mit mehr als fraglicher klinischer Effizienz (6).

Interessenkonflikte

Die Autoren erklären, keine Interessenkonflikte zu haben.

Literatur
  1. Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM): Informationen zu Lagevrio® und Paxlovid®: www.bfarm.de/DE/Arzneimittel/Arzneimittelinformationen/covid-19-arzneimittel.htm. Letzter Zugriff: 10. März 2022.
  2. Jayk Bernal A, Gomes da Silva MM, Musungaie DB et al., MOVe-OUT Study Group: Molnupiravir for oral treatment of covid-19 in nonhospitalized patients: N Engl J Med 2022; 386: 509-520.
  3. Hammond J, Leister-Tebbe H; Garnder A et al., EPIC-HR Investigators: Oral nirmatrelvir for high-risk, nonhospitalized adults with covid-19. N Engl J Med 2022; Epub ahead of print.
  4. Vollpublikationen der beiden Phase-II/III-Studien mit Molnupiravir bzw. Nirmatrelvir zur Behandlung nicht hospitalisierter Patienten mit COVID-19 und Risikofaktor(en) für einen schweren Verlauf. Arzneimittelbrief 2022; 56: im Druck.
  5. Molnupiravir und PF-07321332: Was wissen wir derzeit über diese beiden neuen antiviral wirksamen Arzneimittel zur Prävention und Behandlung von COVID-19? Arzneimittelbrief 2021; 55: 96DB01.
  6. Brophy JM: Molnupiravir’s authorisation was premature. BMJ 2022; 376: o443. Vergleiche auch: Bestimmt auch das Leid den Arzneimittelpreis? Arzneimittelbrief 2012; 46, 48DB01.
  7. Merck & Co., Inc.: Merck and Ridgeback’s Investigational Oral Antiviral Molnupiravir Reduced the Risk of Hospitalization or Death by Approximately 50 Percent Compared to Placebo for Patients with Mild or Moderate COVID-19 in Positive Interim Analysis of Phase 3 Study: www.merck.com/news/merck-and-ridgebacks-investigational-oral-antiviral-molnupiravir-reduced-the-risk-of-hospitalization-or-death-by-approximately-50-percent-compared-to-placebo-for-patients-with-mild-or-moderat/ (letzter Zugriff: 10. März 2022). News release vom 1. Oktober 2021.
  8. Nirmatrelvir and ritonavir for COVID-19. Australian Prescriber 2021; Epub ahead of print.
  9. COVID-19: Wirksamkeit von Paxlovid® – einem „geboosterten“ Proteasehemmer bei nicht hospitalisierten Patienten, aber hohem Risiko für einen schweren Verlauf. Arzneimittelbrief 2022; 56: 12.
  10. Fachgruppe COVRIIN am Robert-Koch-Institut: Hinweise zu Arzneimittelwechselwirkungen von Paxlovid® (Nirmatrelvir/Ritonavir): www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/COVRIIN_Dok/Arzneimittelwechselwirkungen_Paxlovid.pdf (letzter Zugriff: 10. März 2022). Erscheinungsdatum: 22. Februar 2022.
  11. Rubin EJ, Baden LR: The potential of intentional drug development. N Engl J Med 2022; Epub ahead of print.
  12. Robert Koch-Institut (RKI): Täglicher Lagebericht des RKI zur Coronavirus-Krankheit-2019 (COVID-19): www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Situationsberichte/Wochenbericht/Wochenbericht_2022-03-03.pdf (letzter Zugriff: 10. März 2022). Aktualisierter Stand für Deutschland: 3. März 2022.
  13. Robert Koch-Institut (RKI): Übersicht zu besorgniserregenden SARS-CoV-2-Virusvarianten (VOC): www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Virusvariante.html;jsessionid=A691289FC1BCB90F467B9355A4F5E040.internet062 (letzter Zugriff: 10. März 2022). Stand: 20. Januar 2022.
  14. Hill AM, Etminan M, Hama R: Dear Editor Letters zu: Brophy JM: Molnupiravir’s authorisation was premature. BMJ 2022; 376: o443. BMJ 2022; im Druck.

vorab online

Dieser Artikel wurde am 11. März 2022 vorab online veröffentlicht.