Posteriores Reversibles Enzephalopathie-Syndrom (PRES) nach Pembrolizumab

Arzneiverordnung in der Praxis

Ausgabe 1/2022

Kasusistik

Eine 55-jährige Frau mit nicht-kleinzelligem Bronchialkarzinom erhielt nach der Erstdiagnose im November 2018 bis Oktober 2019 eine Chemotherapie und anschließend Pembrolizumab 400 mg i.v. alle 3 Wochen. Im Januar 2020 trat einmal abendlich ein grobschlägiger Tremor auf, der sich wieder vollständig zurückbildete. Das MRT des Kopfes war unauffällig.

Ende Februar 2021 reagierte die Patientin plötzlich nicht mehr auf Ansprache. Ein tonisch-klonischer Anfall war Anlass zur Einweisung auf eine Intensivstation. Das kraniale CT zeigte Hypodensitäten im okzipitoparietalen Marklager. In der Annahme eines posterioren reversiblen Enzephalopathie-Syndroms (PRES) wurde nach möglichen Ursachen gesucht. Ein aktueller Bluthochdruck lag ebenso wenig vor wie ein febriler Temperaturanstieg oder Zeichen entzündlicher ZNS-Prozesse. Andere potenziell toxische Medikamente erhielt die Patientin nicht. Die Gabe des Antikonvulsivums Levetiracetam beendete die Intensivpflichtigkeit. In der Folge traten jedoch eine kortikale Blindheit und ein komplex-fokaler Status epilepticus auf. Er blieb auf 10 mg Diazepam, 2000 mg Levetiracetam und 200 mg Lacosamid refraktär, konnte dann aber mit Phenytoin i.v. durchbrochen werden. Nachfolgend klagte die Patientin über Doppelbilder und Metamorphopsien.

Sechs Tage später bestanden noch Verschwommensehen und unzureichende zeitlich und örtliche Orientiertheit mit langsamer Besserung. Ein kraniales MRT zeigte für PRES typische Ödemzonen, das EEG eine Grundrhythmusverlangsamung und frontotemporale Herde beidseitig aber keine epilesietypischen Potentiale. Nach 13 Tagen wurde die Patientin nahezu beschwerdefrei aus dem Krankenhaus entlassen. Pembrolizumab wurde nicht erneut gegeben.

Immuncheckpoint-Inhibitoren

Pembrolizumab (Keytruda®) ist ein humanisierter monoklonaler Antikörper, verwendet in der Onkologie für mehr als 30 Tumorarten aufgrund indikationsübergreifender Wirkungsweise. Das Präparat zählt zu den Immuncheckpoint-Inhibitoren, die an den „Programmed cell death-1“-(PD-1)-Rezeptor binden und die Interaktion mit dessen Liganden PD-L1 und PD-L2 blockieren.

Die T-Zell-Reaktion gegen den Tumor wird verstärkt durch Hemmung der Bindung des PD-1-Rezeptors an seine Liganden PD-L1 und PD-L2. Andere Immuncheckpoint-Inhibitoren sind Nivolumab und Ipilimumab, unter anderem zugelassen für die Monotherapie bei inoperabel metastasierten Melanomen. Die empfohlene Dosis von Pembrolizumab als Monotherapie beträgt entweder 200 mg alle drei Wochen oder 400 mg alle sechs Wochen als intravenöse Gabe.

Als Nebenwirkungen bekannt sind Müdigkeit/Erschöpfung (24 %), Hautausschlag (19 %), Pruritus (18 %), Diarrhö (12 %), Übelkeit (11 %) und Arthralgie (10 %). Klinisch relevante Nebenwirkungen waren meistens immunvermittelte Zustände wie Lungen-, Darm-, Leber- und Nierenreaktionen, auch Endokrinopathien (z. B. Nebenniereninsuffizienz, Hypophysenunterfunktion, Diabetes mellitus, Hypothyreose), die nach Kortikosteroidgabe und Therapieunterbrechung reversibel sind. Als Nebenwirkungen des Nervensystems werden Guillain-Barré-Syndrom, myasthenes Syndrom, Enzephalitis und Myelitis genannt (1). PRES wurde 2016 von Hottinger (2) für Ipilimumab beschrieben.

Diskussion

Ohne Zweifel lag bei der dargestellten Kasuistik ein posteriores reversibles Enzephalopathie-Syndrom (PRES) vor. Erst nach flächendeckender Einführung der Magnetresonanz-Tomographie wurde PRES als eigene Krankheitsentität bekannt. Typische Merkmale sind Kopfschmerz, epileptische Anfälle, Sehstörungen, Verwirrtheit und gegebenenfalls weitere neurologische Normabweichungen und der typische MRT-Befund mit Ödemzonen im posterioren Marklager.

Zwischenzeitlich gibt es einige Kasuistiken über PRES nach Verabfolgung von Immuncheckpoint-Inhibitoren (2-6).

Unlängst publizierten Lambea-Gil et al. (7) den Fall eines 56-jährigen Mannes, der unter einem Adenokarzinom der Lunge litt. Er erhielt Carboplatin und schließlich Pembrolizumab. Drei Monate nach der ersten Dosis kam es zu Blutdruckanstieg (180 mmHg systolisch), progredienten Sehstörungen, Desorientiertheit und einer leichten Parese (4/5) der rechten Hand. Der MRT-Befund bestätigte das PRES.

Zur Pathogenese des PRES gibt es zwei Hypothesen. Die erste geht davon aus, dass es bei Überschreiten der Grenzen der Autoregulation im Rahmen von Blutdruckanstiegen in den Hirngefäßen zur Hyperperfusion kommt mit der Folge eines vasogenen Hirnödems. Die hinteren Hirnabschnitte seien diesbezüglich besonders vulnerabel (8) wegen einer geringeren Dichte der Gefäßinnervation durch den Sympathikus.

Da aber etwa 30 % der PRES-Fälle normale oder nur leicht erhöhte Blutdruckwerte aufweisen, muss ein weiterer Prozess zur endothelialen Dysfunktion führen. Hierfür seien zirkulierende endogene Toxine (z. B. proinflammatorische Zytokine) oder Exotoxine (Chemotherapie, Immunsuppressiva) verantwortlich. Aktivierung autoimmunologischer Mechanismen wie bei PD-1-Hemmung kann im Rahmen einer immunologischen Kaskade ebenfalls zur Endothelschädigung und damit zum Hirnödem führen.

Der erstgenannte Mechanismus spielt bei hypertensiven Episoden, fluktuierenden hohen Blutdruckwerten und Nierenleiden eine Rolle. Die endotheliale Dysfunktion als zweiter Schädigungsmechanismus wird bei Präeklampsie und Eklampsie, Chemotherapie, immunsuppressiven Medikamenten, Sepsis sowie Autoimmunkrankheiten angenommen.

Der Prozess ist zumeist reversibel. Neben Klinik und MRT-Befund gibt es keine weiteren Möglichkeiten der Verifizierung eines PRES.

Fazit

Bei Kopfschmerz, epileptischen Anfällen, Sehstörungen, Verwirrtheit und ggfs. weitere neurologische Symptomen nach Therapie mit Pembrolizumab sollte an ein posteriores reversibles Enzephalopathie-Syndrom als mögliche Ursache gedacht werden.

Interessenkonflikte

Der Autor erklärt, keine Interessenkonflikte zu haben.

Literatur
  1. MSD Sharp & Dohme GmbH: Fachinformation „Keytruda® 25 mg/ml Konzentrat zur Herstellung einer Infusionslösung“. Stand: Januar 2022.
  2. Hottinger AF: Neurologic complications of immune checkpoint inhibitors. Curr Opin Neurol 2016; 29: 806-812.
  3. Maur M, Tomasello C, Frassoldati A et al.: Posterior reversible encephalopathy syndrome during ipilimumab therapy for malignant melanoma. J Clin Oncol 2012; 30: e76-78.
  4. LaPorte J, Solh M, Ouanoumou S: Posterior reversible encephaliopathy syndrome following pembrolizumab therapy for relapsed Hodgkin`s Lymphoma. J Oncol Pharm Pract 2017; 23: 71-74.
  5. Hussein HM, Dornfeld B, Schneider DJ: Nivolumab-induced posterior reversible encephalopathy syndrome. Neurol Clin Pract 2017; 7: 455-456.
  6. Kim D: Posterior reversible encephalopathy syndrome induced by nivolumab immunotherapy for non-small-cell lung cancer. Clin Case Rep 2019; 7: 935-938.
  7. Lambea-Gil A, Sancho-Saldana A, Caldu-Agud R, Garcia-Rubio S: Posterior reversible encephalopathy associated with pembrolizumab. Neurologia 2021; 36: 548-550.
  8. Fischer M, Schmutzhard E: Posterior reversible encephalopathy syndrome. J Neurol 2017; 264: 1608-1616.

vorab online

Dieser Artikel wurde am 16. Mai 2022 vorab online veröffentlicht.