Außer Spesen nichts gewesen? Eine Bilanz der bisherigen Therapieforschung zu COVID-19
Die AVP-Redaktion weist auf einen aktuellen Artikel in Prescrire International hin, in dem die aktuellen Behandlungsoptionen für COVID-19 sachlich-kritisch kommentiert werden (1). Er kommt nicht zu einem wirklich optimistischen Ergebnis.
Ohne Zweifel ist viel passiert in der Behandlung von Patienten mit COVID-19. Die eher zurückhaltende als proaktive Entscheidung zur invasiven Beatmung, Kortikosteroide (v.a. Dexamethason) bei schwerwiegendem Verlauf der Erkrankung, sorgfältige Beobachtung der Gerinnungsparameter mit frühem Einsatz von Heparin-Präparaten: All dies hat das Behandlungsergebnis der Patienten mit COVID-19 deutlich verbessert.
Doch an spezifischen therapeutischen Prinzipien mangelt es nach wie vor. In der frühen Erkrankungsphase insbesondere an Wirkstoffen oder Maßnahmen, die den Übergang von der milden-moderaten Verlaufsform in kritische Zustände verhindern. Hier steht die Suche nach antiviralen Medikamenten im Vordergrund. Bei fortgeschrittener Erkrankung ruht der Fokus auf Wirkstoffen zur Modulierung der Immunantwort des Körpers. Diese kann sich im ungünstigen Fall gegen körpereigene Strukturen richten und so zur Verschlechterung des klinischen Zustandes beitragen.
Die täglich wachsende Flut an Publikationen macht es nahezu unmöglich, den Überblick zu behalten. Kaum hat man einen Hinweis auf einen therapeutischen Hoffnungsschimmer vernommen, liest man eine nächste Veröffentlichung mit der gegenteiligen Beobachtung. Die derzeit zum Normalfall gewordene Publikationsform des Preprint, also der Veröffentlichung ohne abgeschlossenen Peer-Review-Begutachtungsprozess, mag dem Bedürfnis nach schneller Information in einem aktuellen Pandemiegeschehen geschuldet sein. Angesichts der Heterogenität dieser Informationen führt das im Ergebnis jedoch nicht zu einer praxisrelevanten Orientierung, sondern eher zu Verwirrung.
Leider gilt diese Beobachtung auch für die aktuellen Leitlinien, selbst wenn sie von renommierten Institutionen wie den deutschen Fachgesellschaften (AWMF) stammen oder auf internationaler Ebene (WHO, IDSA, CDC u. a.) veröffentlicht werden. Die Empfehlungen darin sind zum Teil identisch, zum Teil nur ähnlich und häufig gegensätzlich. Einigkeit herrscht im Wesentlichen zugunsten des oben erwähnten Steroid- und Heparin-Einsatzes und in der Ablehnung der in den multinationalen Studienprojekten gescheiterten Wirkstoffe (Hydroxy)chloroquin, Lopinavir/Ritonavir und Interferon, zumindest im fortgeschrittenen Stadium der Erkrankung. Völlig heterogen dagegen sind die Empfehlungen zu den zahlreichen antiviralen und immunmodulatorischen Antikörpern und small molecules, deren Aufzählung hier den Rahmen sprengen würde. Frappant uneinheitlich sind die Positionen zu dem unter Auflagen zugelassenen Nukleosidanalogon Remdesivir – hier stehen manche Leitlinienempfehlungen im klaren Widerspruch zu den enttäuschenden Studienergebnissen und zum Teil sogar zu den arzneimittelrechtlichen Zulassungen.
Kritikern der definitiv unbefriedigenden Datenlage muss entgegnet werden, dass die medizinische Wissenschaft diese gerade einmal vor über einem Jahr von China auf den Rest der Welt übergesprungene pandemische Erkrankung kennenlernen und verstehen musste – was bisher allenfalls in Teilen gelungen ist. Aber auch „negative“ Studienbeobachtungen können wertvoll sein, indem sie Patienten vor potenziell schädlichen Therapien schützen.
Die Entwicklung von Impfstoffen war im Vergleich dazu nachgerade einfach: Das infektiöse Pathogen war schnell identifiziert und charakterisiert. In erstaunlich kurzer Zeit wurde eine Vielzahl von Vakzinen entwickelt, mit guter Wirksamkeit getestet und zugelassen. Aufgrund dieser Geschwindigkeit sind nicht alle Fragen zu den Risiken beantwortet und können es auch gar nicht sein. Dennoch sind die Impfungen im Moment unsere größte Hoffnung, die Pandemie zu überwinden.
Interessenkonflikte
Ein Interessenkonflikt wird vom Autor verneint.
Literatur
- Covid-19: a recap of treatment options. Prescrire Int 2021; 30: 73-75.