Finanzierung von gesundheitlicher Selbsthilfe durch pharmazeutische Unternehmer
Gesundheitsbezogene Selbsthilfegruppen unterstützen Betroffene und deren Angehörige. Mit den Selbsthilfeorganisationen als ihren überregionalen Zusammenschlüssen informieren sie die betroffene Öffentlichkeit über die jeweilige Krankheit und vertreten die Anliegen der Betroffenen gegenüber Fachleuten und Politik (1). Einfluss auf die medizinische Versorgung nehmen sie z. B. über die Mitarbeit an Leitlinien der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften e.V. (AWMF). An der Ausgestaltung der Versorgung wirkt die Patientenvertretung nach § 140f SGB V insbesondere im Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) mit. Für einige Selbsthilfegruppen ist das Sponsoring durch pharmazeutische Unternehmer (pU) oder Hersteller von Medizinprodukten (HvM) eine zusätzliche Finanzierungsquelle neben Mitgliedsbeiträgen und Fördermitteln von der öffentlichen Hand, den Krankenkassen und Rentenversicherungsträgern (2). Die Finanzierung von Selbsthilfegruppen durch pU oder HvM wird seit vielen Jahren kritisiert und die freiwilligen Regeln zur Zusammenarbeit mit der Industrie werden als unzureichend beanstandet (1) (vgl. (3-6)). Erstmals wurden nun in einer systematischen Übersichtsarbeit Untersuchungen zur Finanzierung von Selbsthilfegruppen durch die Industrie zusammengestellt und ausgewertet (7).
In die Übersichtsarbeit eingeschlossen wurden Studien zur Prävalenz der Finanzierung von Selbsthilfegruppen durch pU oder HvM, zur Transparenz hinsichtlich der Verbindungen und zu den Auswirkungen der Finanzierung auf die Positionen der Selbsthilfegruppen. Die Autoren fanden dazu insgesamt 26 Studien vornehmlich aus den USA und Europa. Die Qualität der Studien wurde als sehr schlecht bis höchstens mäßig bewertet. 15 Studien untersuchten die Prävalenz der Finanzierung durch Unternehmen, die zwischen 20 % (12/61) und 83 % (84/104) lag. Ungefähr ein Drittel der Selbsthilfegruppen, die Unterstützung durch die Industrie erhielten, informierten darüber auf ihrer Homepage (175/642, 27 %). Schätzungen zur Häufigkeit von transparenten Regeln zum Umgang mit Finanzierungen durch die Industrie in 10 Untersuchungen reichten von 2 % (2/125) bis 64 % (175/274). 6 der 10 Untersuchungen fanden bei weniger als 10 % der Gruppen transparente Regeln. 4 Studien untersuchten den Einfluss der Finanzierung auf die Position der Selbsthilfegruppe zu verschiedenen, kontroversen Themen. Diese Untersuchungen zeigten, dass Gruppen, die von der Industrie gesponsert werden, dazu neigen, eine für den Sponsor günstige Position einzunehmen, obwohl sie den Interessen der Patienten widerspricht. Auch diese Ergebnisse müssen aber wegen der niedrigen Qualität der Studien vorsichtig interpretiert werden. Dass Sponsoring zu Ergebnissen führt, die für den Sponsor günstig sind, wurde auch für andere Bereiche im Gesundheitswesen gezeigt, beispielsweise für klinische Studien zu Arzneimitteln oder Medizinprodukten (8).
Fazit für die Praxis
Eine systematische Übersichtsarbeit zeigt, dass ein erheblicher Anteil von gesundheitsbezogenen Selbsthilfegruppen finanzielle Zuwendungen von pU und HvM annimmt, aber häufig nicht über Regeln zum Umgang mit dem Sponsoring durch Unternehmen verfügt. Die Transparenz hinsichtlich der Finanzierung ist unzureichend. Von Unternehmen finanzierte Selbsthilfegruppen neigen dazu, eine für den Sponsor günstige und für die Betroffenen ungünstige Position zu vertreten. Selbsthilfegruppen und Selbsthilfeorganisationen spielen eine wichtige Rolle bei der Interessenvertretung von Patienten, der Aufklärung der Öffentlichkeit und bei Entscheidungen über die medizinische Versorgung. Um glaubwürdig agieren zu können, sollte die gesundheitliche Selbsthilfe Interessenkonflikte vermeiden und ihre Kritikfähigkeit gegenüber der Industrie nicht durch Zuwendungen beeinflussen lassen.
Interessenkonflikte
Ein Interessenkonflikt wird von den Autoren verneint.
Literatur
- Helms U: Gesundheitsbezogene Selbsthilfe – Beteiligung, Interessenkonflikte und Transparenz. In: Lieb K, Klemperer D, Kölbel R, Ludwig W-D (Hrsg.): Interessenkonflikte, Korruption und Compliance im Gesundheitswesen. 1. Aufl.; Berlin: Medizinisch Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft, 2018; 123-128.
- Helms U, Klemperer D: Gesundheitsbezogene Selbsthilfe. Interessenkonflikte durch Pharma-Sponsoring. Arzneimittel-, Therapie-Kritik & Medizin und Umwelt 2015; Folge 1: 173-179.
- Keller M: Geben und einnehmen. Die Zeit, Heft 21 vom 19. Mai 2005.
- Stellungnahme der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft zu dem Antrag des Vereins „Freiwillige Selbstkontrolle für die Arzneimittelindustrie e.V.“ auf Anerkennung der Wettbewerbsregeln (FSA-Kodex Patientenorganisationen):https://www.akdae.de/Stellungnahmen/Weitere/20080828.pdf
- Stellungnahme der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft zu dem Antrag des Vereins "Freiwillige Selbstkontrolle für die Arzneimittelindustrie e.V." auf Anerkennung der zwischenzeitlich geänderten Wettbewerbsregeln (FSA-Kodex Patientenorganisationen):https://www.akdae.de/Stellungnahmen/Weitere/20120414.pdf
- Stellungnahme der Bundesärztekammer und der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft zum Antrag des Vereins „Pro Generika e. V.“ auf Anerkennung des geänderten Pro-Generika-Verhaltenskodex der generischen Industrie für die Zusammenarbeit mit dem Gesundheitswesen in Deutschland („Pro Generika-Verhaltenskodex“):https://www.akdae.de/Stellungnahmen/Weitere/20160708.pdf
- Fabbri A, Parker L, Colombo C et al.: Industry funding of patient and health consumer organisations: systematic review with meta-analysis. BMJ 2020; 368: l6925.
- Lundh A, Lexchin J, Mintzes B et al.: Industry sponsorship and research outcome: systematic review with meta-analysis. Intensive Care Med 2018; 44: 1603-1612.
vorab online
Dieser Artikel wurde am 12. Januar 2021 vorab online veröffentlicht.