10 Jahre Frühe Nutzenbewertung nach AMNOG – Stellungnahmen der AkdÄ

Arzneiverordnung in der Praxis

Ausgabe 3/2020

Einführung

Mit Wirkung zum 1. Januar 2011 ist das Gesetz zur Neuordnung des Arzneimittelmarktes (AMNOG) nach § 35a SGB V in Kraft getreten mit dem Ziel der Sicherstellung einer zweckmäßigen, qualitativ hochwertigen und wirtschaftlichen Arzneimittelversorgung in Deutschland. Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) hat dadurch den Auftrag erhalten, den Zusatznutzen von Arzneimitteln mit neuen Wirkstoffen im Vergleich zum Therapiestandard zu bewerten. Die sogenannte „frühe“ Nutzenbewertung verpflichtet den pharmazeutischen Unternehmer (pU) seit dem 1. Januar 2011, unmittelbar nach Markteintritt eines erstattungsfähigen Arzneimittels mit neuem Wirkstoff den Zusatznutzen gegenüber einer zweckmäßigen Vergleichstherapie nachzuweisen (1). Bevor der G-BA einen Beschluss fasst, der Eingang in die Arzneimittel-Richtlinie nehmen wird und auf dessen Grundlage die Preisverhandlungen zwischen pU und dem Spitzenverband Bund der Krankenkassen (GKV-SV) beginnen, wird ein Stellungnahmeverfahren (schriftlich und mündlich) durchgeführt. Damit wird der Preis neu zugelassener, patentgeschützter Arzneimittel nur noch im ersten Jahr vom pU frei festgesetzt. Danach gilt ein zwischen pU und GKV-SV vereinbarter Erstattungsbetrag, der sich nach dem Ausmaß des Zusatznutzens des neuen Arzneimittels richtet.

Über den Ablauf des Verfahrens der frühen Nutzenbewertung wurde in AVP 1/2016 berichtet. Die unterschiedlichen Kategorien bezüglich des Ausmaßes des Zusatznutzens eines Arzneimittels nach Nutzenbewertungsverordnung sind in Tabelle 1 dargestellt.

Tabelle 1: Unterschiedliche Kategorien nach Nutzenbewertungsverordnung (2)


Stellungnahmen der AkdÄ

Die AkdÄ wurde als Sachverständige der medizinischen Wissenschaft und Praxis vom G-BA als stellungnahmeberechtigte Organisation bestimmt (§ 92 Abs. 3a SGB V). Die AkdÄ-Stellungnahmen zu Verfahren der frühen Nutzenbewertung werden auf der Homepage der AkdÄ veröffentlicht und am Tag der mündlichen Anhörung beim G-BA über den AkdÄ-Newsletter „AkdÄ News“ an die Abonnenten versendet. Zu ausgewählten versorgungsrelevanten Wirkstoffen findet sich nach Beschlussfassung durch den G-BA eine Zusammenfassung in AVP in der Rubrik „Update - Neue Arzneimittel“.

Die AkdÄ hat sich im Zeitraum vom 1. Januar 2011 bis zum 31. August 2020 an insgesamt 163 Verfahren beteiligt (siehe Tabelle 2). 2019 hat die AkdÄ 35 Stellungnahmen eingereicht, 2020 waren es in den ersten acht Monaten 17 Verfahren, eine Beteiligung an 5 weiteren ist geplant.

Legt man die Gesamtzahl der Verfahren beim G-BA von 581 zugrunde, liegt die durchschnittliche jährliche Beteiligung der AkdÄ bisher bei 29 % (siehe Abbildung 1).

Abbildung 1: Jährliche Beteiligung der AkdÄ an den Verfahren der Nutzenbewertung (Angaben absolut und in %; Zeitraum: 1. Januar 2011 bis zum 31. Dezember 2020)


Bei Betrachtung der Arzneimittel mit neuen Wirkstoffen, zu denen der G-BA ein Stellungnahmeverfahren bis dato eröffnet hat, steht das Therapiegebiet der onkologischen Erkrankungen mit 40 % an erster Stelle. Die Beteiligungsraten der AkdÄ an den Stellungnahmeverfahren nach Therapiegebieten sind in Abbildung 2 dargestellt.

Abbildung 2: Beteiligung der AkdÄ an den Verfahren der Nutzenbewertung nach Therapiegebieten (Angaben absolut; Zeitraum: 1. Januar 2011 bis zum 31. Dezember 2020)


Empfehlungen der AkdÄ für die Bewertung des Zusatznutzens sind Bestandteil der AkdÄ-Stellungnahmeverfahren und werden in einem Fazit festgehalten. Dabei resümierte die AkdÄ bei 47 % der 159 eingereichten Stellungnahmen den Zusatznutzen als nicht belegt (siehe Abbildung 3), wohingegen der G-BA diese Kategorie bei 41 % der 501 gefassten Entscheidungen beschloss (siehe Abbildung 4). In ihrem Fazit hat die AkdÄ bei 16 % ihrer Stellungnahmen einen nicht quantifizierbaren Zusatznutzen empfohlen, der G-BA beschloss bei 19 % der Verfahren einen nicht quantifizierbaren Zusatznutzen (siehe Abbildungen 3 und 4).

Abbildung 3: AkdÄ-Bewertung zum Ausmaß des Zusatznutzens (Angaben absolut; höchste Zusatznutzenkategorie je Verfahren; Zeitraum: 1. Januar 2011 bis zum 15. September 2020; n = 159)


Abbildung 4: Beschlüsse des G-BA zum Ausmaß des Zusatznutzens (Angaben absolut; höchste Zusatznutzenkategorie je Verfahren; Zeitraum: 1. Januar 2011 bis zum 15. September 2020; n = 501)


10 Jahre Verfahren der Nutzenbewertung

Das Verfahren der frühen Nutzenbewertung hat in den 10 Jahren seit seiner Einführung eine deutlich bessere Transparenz hinsichtlich der Ergebnisse von klinischen Studien implementiert, auf deren Basis neue Arzneimittel zugelassen wurden, und damit einen enormen Informationsgewinn bedingt, von dem alle im deutschen solidarisch finanzierten Gesundheitswesen profitieren: Patienten, Ärzte, Krankenversicherung (3). Mit dem Gesetz zur Stärkung der Arzneimittelversorgung in der GKV (AM-VSG) wurde geregelt, dass die Beschlüsse des G-BA über den Nutzen von Arzneimitteln mit neuen Wirkstoffen zusammengefasst in die Verordnungssoftware der Arztpraxen implementiert werden. Ziel des gesetzlich eingeführten Arztinformationssystems (AIS) ist es, dass sich Ärzte im Praxisalltag direkt bei der Verordnung eines neuen Arzneimittels schnell und einfach über den Zusatznutzen informieren können (4). Vertragsärzte erhalten ab 1. Oktober 2020 in der Verordnungssoftware einen Hinweis, wenn für ein Arzneimittel ein Beschluss zur frühen Nutzenbewertung vorliegt. Unter anderem sind dabei Angaben über das Anwendungsgebiet, Aussagesicherheit und Ausmaß des Zusatznutzens gegenüber der ZVT und Ergebnisse der klinisch relevanten Endpunkte (Mortalität, Morbidität, Lebensqualität und unerwünschte Ereignisse) erhältlich. Ein Hyperlink ermöglicht den direkten Zugriff auf den Beschluss auf der Internetseite des G-BA. Zudem sind Recherchen möglich, für welche Arzneimittel ein Beschluss zur frühen Nutzenbewertung vorliegt. Diese Arzneimittel können auch über den jeweils hinterlegten ICD‐10‐Code beziehungsweise den Namen des ICD‐10‐GM recherchiert werden (5).

Literatur
  1. Verordnung über die Nutzenbewertung von Arzneimitteln nach § 35a Absatz 1 SGB V für Erstattungsvereinbarungen nach § 130b SGB V: www.gesetze-im-internet.de/am-nutzenv/.
  2. Bickel B: Frühe Nutzenbewertung nach AMNOG und Auswirkungen auf die Vertragsärzte. Arzneiverordnung in der Praxis (AVP) 2016; 43: 43-47.
  3. Zieschang M, Rosien U: Arzneimittelinnovationen: Nutzen, Schaden, Profit – Bericht über die Jubiläumsveranstaltung aus Anlass des 50. Jahrgangs DER ARZNEIMITTELBRIEF. Arzneiverordnung in der Praxis (AVP) 2017; 44: 45-49.
  4. www.g-ba.de/presse/pressemitteilungen/856/
  5. www.kbv.de/html/praxisinformationen.php

vorab online

Dieser Artikel wurde am 13. Oktober 2020 vorab online veröffentlicht.