Wege zur Unabhängigkeit von kommerziellen Interessen in der Medizin – der Beitrag der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft

Arzneiverordnung in der Praxis

Ausgabe 3/2020

Autoren
  • Dr. med. Gisela Schott, Berlin, gisela.schott@akdae.de
  • Prof. Dr. med. Klaus Lieb, Mainz
  • Prof. Dr. med. Wolf-Dieter Ludwig, Berlin

für den Fachausschuss für Transparenz und Unabhängigkeit der AkdÄ1

Finanzielle Interessenkonflikte können die Integrität der Wissenschaft gefährden, ebenso wie die Objektivität der Ausbildung, die Qualität der Gesundheitsversorgung und das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Medizin – zu diesem Ergebnis kam das US-amerikanische „Institute of Medicine“ in einem Bericht aus dem Jahr 2009 (1). Eine Dekade später legte „The British Medical Journal“ erneut den Fokus auf den Einfluss kommerzieller Interessen auf die Gesundheit und Gesundheitsversorgung, indem es dazu aufrief, Artikel zum Thema einzureichen (2). Eine der darauffolgenden Publikationen beschäftigte sich mit Wegen zur Unabhängigkeit von kommerziellen Einflüssen in Forschung, Ausbildung und Praxis im Gesundheitswesen (3). Die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ) schilderte in einem Leserbrief dazu ihre Aktivitäten in diesem Bereich (4), von denen wir einige hier vorstellen möchten. Denn seit ihrer Gründung im Jahr 1911 ist ein wesentliches Ziel der AkdÄ, Ärzte unabhängig von Interessen pharmazeutischer Unternehmer (pU) über Arzneimittel zu informieren (5).

Zu den Hauptaufgaben der AkdÄ gehören:

  • die Versorgung der Ärzteschaft mit vielfältigen, unabhängigen und aktuellen Informationen zur rationalen Arzneimitteltherapie und Arzneimittelsicherheit
  • Stellungnahmen für die frühe Nutzenbewertung von Arzneimitteln im Rahmen des Gesetzes zur Neuordnung des Arzneimittelmarktes (AMNOG) nach § 35a SGB V
  • Erfassung, Dokumentation und Auswertung von Berichten über Nebenwirkungen.

Bei der Erfüllung dieser Aufgaben ist für die AkdÄ die Unabhängigkeit ihrer Mitglieder von größter Bedeutung. Seit 2002 müssen alle ordentlichen und außerordentlichen Mitglieder sowie die wissenschaftlichen Mitarbeiter der Geschäftsstelle dem Vorsitzenden ihre Interessenkonflikte erklären, die sich aus finanziellen Beziehungen zu pU und Herstellern von Medizinprodukten (HvM) ergeben. Die Erklärungen der AkdÄ-Mitglieder waren zunächst vertraulich. Seit 2014 sind sie jedoch auf der AkdÄ-Homepage öffentlich zugänglich und enthalten auch die Höhe der Zahlungen und Angaben zu nicht finanziellen Interessenkonflikten (6). Diese Transparenz wurde von den Mitgliedern der AkdÄ freiwillig festgelegt. Sie ist nicht selbstverständlich, da Interessenkonflikte in Deutschland nicht aufgrund einer gesetzlichen Verpflichtung transparent gemacht werden müssen – im Unterschied zu vielen anderen Ländern, auch in Europa (7).

Die AkdÄ ist außerdem bestrebt, Interessenkonflikte bei ihren Mitgliedern zu reduzieren. So wurden bevorzugt neue Mitglieder berufen, die bei großer fachlicher Expertise keine finanziellen Verbindungen zu pU und HvM haben. Außerdem wurde in der Kommission das Risiko einer Verzerrung von Empfehlungen und Arzneimittelbewertungen durch Interessenkonflikte ausführlich diskutiert. In der Folge haben die Mitglieder der AkdÄ ihre finanziellen Verbindungen zu pU und HvM verringert: Beispielsweise hatten in den Jahren 2010–2013 18 von 37 (49 %) ordentlichen Mitgliedern Interessenkonflikte durch die Tätigkeit für „advisory boards“ und/oder das Halten von Vorträgen für pU verglichen mit 7 von 38 (18 %) im Jahr 2017.

Die AkdÄ hat sich außerdem dafür eingesetzt, das Bewusstsein aller Ärzte in Deutschland für Interessenkonflikte und ihren möglichen Einfluss auf medizinische Entscheidungen, Empfehlungen sowie die ärztliche Fort- und Weiterbildung zu schärfen. Dies war ein Grund dafür, dass im Jahr 2014 auf Beschluss der Bundesärztekammer (BÄK) bei der AkdÄ ein Fachausschuss für Transparenz und Unabhängigkeit in der Medizin eingerichtet wurde (8). Ziel des Fachausschusses ist es, eine Kultur der wissenschaftlichen Unabhängigkeit innerhalb der Ärzteschaft zu fördern. Er entwickelt und verbreitet Strategien zur Vermeidung von Interessenkonflikten und gegebenenfalls zum korrekten Umgang mit ihnen. So führte die AkdÄ im Jahr 2016 Regeln für unabhängige Fortbildungsveranstaltungen ein, begleitet von einem Evaluationsbogen. Kontinuierlich beteiligt sich die AkdÄ an der öffentlichen Diskussion zu Interessenkonflikten, beispielsweise durch die Veröffentlichung von Stellungnahmen. In Abstimmung mit der BÄK hat sie sich unter anderem für eine verpflichtende Transparenz von Interessenkonflikten in Deutschland eingesetzt (9).2

Die AkdÄ hat auch selbst wissenschaftliche Untersuchungen zum Thema Unabhängigkeit durchgeführt: Sie hat Forschungsergebnisse zum Einfluss von Interessenkonflikten auf Arzneimittelstudien (10;11) und klinische Leitlinien (12;13) veröffentlicht. Mitglieder der AkdÄ haben ein Buch über Interessenkonflikte in der Medizin herausgegeben, das als eines der Standardwerke zu diesem Thema in Deutschland gilt (14).

Fazit

Um bei der Bewertung von Arzneimitteln und therapeutischen Strategien Unabhängigkeit von kommerziellen Interessen zu sichern, hat die AkdÄ strenge Regeln zur Transparenz und zum Umgang mit Interessenkonflikten verabschiedet und die Interessenkonflikte ihrer Mitglieder in den letzten Jahren kontinuierlich reduziert. Die AkdÄ setzt sich weiter für Unabhängigkeit von kommerziellen Interessen in der Medizin ein. Aktuell beschäftigt sie sich beispielsweise mit Anwendungsbeobachtungen und bereitet hierzu eine Stellungnahme vor. Außerdem engagiert sie sich weiterhin für unabhängige Fortbildungsveranstaltungen und eine verpflichtende Transparenz von Interessenkonflikten. Auch die weitere Reduktion der Interessenkonflikte ihrer Mitglieder ist ihr ein Anliegen.

 

Interessenkonflikte

Ein Interessenkonflikt wird von den Autoren verneint.

Fußnoten

1 weitere Mitglieder des Fachausschusses:

Prof. Dr. med. Christopher Baethge, Prof. Dr. David Klemperer,

Prof. Dr. Johannes Köbberling, Prof. Dr. Thomas Lempert,

Prof. Dr. Bruno Müller-Oerlinghausen, Dr. med. Birke Schneider

2 Informationen zu Interessenkonflikten im Medizinstudium finden Sie unter: https://www.akdae.de/Arzneimitteltherapie/AVP/Artikel/2020-1-2/089h/

Literatur
  1. Committee on Conflict of Interest in Medical Research Education and Practice, Institute of Medicine: Lo B, Field MJ (Hrsg.): Conflict of Interest in Medical Research, Education, and Practice. 1. Aufl.; Washington D.C.: National Academies Press, 2009.
  2. Moynihan R, Macdonald H, Heneghan C et al.: Commercial interests, transparency, and independence: a call for submissions. BMJ 2019; 365: l1706.
  3. Moynihan R, Bero L, Hill S et al.: Pathways to independence: towards producing and using trustworthy evidence. BMJ 2019; 67: l6576.
  4. Schott G, Lieb K, Ludwig W-D: Rapid response to: Pathways to independence: towards producing and using trustworthy evidence. BMJ 2019; 367: l6576.
  5. Müller-Oerlinghausen B: Die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft im Spannungsfeld der Interessen von Ärzteschaft und pharmazeutischer Industrie – Eine Geschichte von Erfolgen und Niederlagen 1911–2010. In: Stiftung Deutsches Technikmuseum Berlin, Schering Stiftung (Hrsg.). Pillen und Pipetten: Facetten einer Schlüsselindustrie. Koehler & Amelang GmbH: Leipzig, 2010; 186-201.
  6. Mitglieder der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft: www.akdae.de/Kommission/Organisation/Mitglieder/. Letzter Zugriff: 22. April 2020.
  7. Mental Health Europe (MHE): Shedding Light: www.mhe-sme.org/shedding-light/. Letzter Zugriff: 22. April 2020.
  8. Fachausschuss für Transparenz und Unabhängigkeit der AkdÄ: www.akdae.de/Kommission/Organisation/Mitglieder/Fachausschuesse/Transparenz/. Letzter Zugriff: 22. April 2020.
  9. Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft: Ein Physician Payments Sunshine Act für Deutschland? Eine Stellungnahme zu Vor- und Nachteilen verpflichtender Transparenz von Interessenkonflikten durch Industriebeziehungen. Stellungnahme der AkdÄ in Abstimmung mit der Bundesärztekammer. Dtsch Arztebl 2019; 116: A 390-392.
  10. Schott G, Pachl H, Limbach U et al.: The financing of drug trials by pharmaceutical companies and its consequences. Part 1: a qualitative, systematic review of the literature on possible influences on the findings, protocols, and quality of drug trials. Dtsch Arztebl Int 2010; 107: 279-285.
  11. Schott G, Pachl H, Limbach U et al.: The financing of drug trials by pharmaceutical companies and its consequences. Part 2: a qualitative, systematic review of the literature on possible influences on authorship, access to trial data, and trial registration and publication. Dtsch Arztebl Int 2010; 107: 295-301.
  12. Schott G, Dünnweber C, Mühlbauer B et al.: Does the pharmaceutical industry influence guidelines? – two examples from Germany. Dtsch Arztebl Int 2013; 110: 575-583.
  13. Schott G, Lieb K, König J et al.: Declaration and handling of conflicts of interest in guidelines: a study of s1 guidelines from German specialist societies from 2010–2013. Dtsch Arztebl Int 2015; 112: 445-451.
  14. Lieb K, Klemperer D, Kölbel R, Ludwig W-D (Hrsg.): Interessenkonflikte, Korruption und Compliance im Gesundheitswesen. 1. Aufl.; Berlin: Medizinisch Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft, 2018.

vorab online

Dieser Artikel wurde am 20. Juli 2020 vorab online veröffentlicht.