Fortbildung der AkdÄ in Bremen

Arzneiverordnung in der Praxis

Ausgabe 3/2020

Wir berichten über die Fortbildung der AkdÄ in Bremen in Kooperation mit der Ärztekammer Bremen und der Kassenärztlichen Vereinigung Bremen, die erstmalig am 7. März 2020 stattfand und großes Interesse bei den zahlreich erschienenen ärztlichen Kollegen fand.

Die für die Teilnehmer kostenfreie Veranstaltung richtete sich an klinisch tätige Ärzte und war mit drei Fortbildungspunkten anerkannt. Das umfassende Programm bot ein breites thematisches Spektrum an: Einsatz von Biosimilars (Vortrag Frau Dr. Stanislava Dicheva-Radev), Antibiotika und ihre Resistenzen (Vortrag Prof. Dr. med. Horst Luckhaupt) und Arzneimittel mit Suchtpotenzial (Vortrag Benjamin Ochs). Unter aktuellen medizinischen Gesichtspunkten wurde dabei der neueste Stand der Forschung vorgestellt und zugleich hinsichtlich seiner Bedeutung für die Praxis diskutiert.

Moderiert wurde die Fortbildung von der Geschäftsführerin der AkdÄ Frau Dr. med. Katrin Bräutigam. Die Vorträge stehen Ihnen auf der Internetseite der AkdÄ zur Verfügung:
www.akdae.de/Fortbildung/Vortraege/

Einsatz von Biosimilars

Rathaus von Bremen

Frau Dr. Stanislava Dicheva-Radev stellte einführend den Leitfaden „Biosimilars“ der AkdÄ vor, der im Jahr 2017 erschienen ist, um mit unabhängigen, verständlichen Informationen zu Biosimilars die evidenzbasierten, zweckmäßigen Therapieentscheidungen der Ärzte zu unterstützen. Zum Einstieg ins Thema führte sie die Unterschiede zwischen chemisch-synthetischen und biologischen Arzneimitteln aus und ging ausführlich auf die pharmakologisch sehr heterogene Gruppe der Biologika ein. Weiterhin stellte Frau Dr. Dicheva-Radev die derzeit zugelassenen Biosimilars vor und ging auf die Eigenschaften von Biosimilars ein, die ihnen häufig als ihre Nachteile vorgehalten werden wie Mikrovariabilität, Extrapolation und Immunogenität. Besondere Aufmerksamkeit widmete die Referentin der Austauschbarkeit von Biologika und Biosimilars und stellte einige sogenannte Switch-Studien vor, die die Umstellung von Patienten von einem Referenzarzneimittel auf ein Biosimilar überprüft haben. Abschließend wurden die Empfehlungen der AkdÄ zum Einsatz von Biosimilars präsentiert sowie die Verordnungszahlen zu Biosimilars in Bremen im Jahre 2018.

Antibiotika und ihre Resistenzen

Prof. Dr. med. Luckhaupt referierte anhand von eindrucksvollen Bildern zu häufigen Erkrankungen aus dem HNO-Bereich. Er gab dabei ausführliche Empfehlungen zur Diagnostik dieser Erkrankungen und berichtete vom Umgang damit in seinem Praxisalltag in einem großen Krankenhaus in Dortmund. Der Experte begann mit der kindlichen Mittelohrentzündung und der sich daraus ergebenden, zwar seltenen, aber immer noch vorkommenden Mastoiditis, die vor allem bei Kindern mit Immunschwäche bzw. bei sehr virulenten Erregern auftreten kann und in der Regel nicht nur antibiotisch, sondern auch operativ behandelt werden muss. Weiter ging es mit der akuten Rhinosinusitis, zu der sich in den letzten Jahren laut Prof. Dr. med. Luckhaupt ein echter Paradigmenwechsel vollzogen hat, da die Erkrankung nicht mehr primär mit Antibiotika behandelt wird, sondern mit abschwellenden Maßnahmen wie Kochsalzspülungen, Inhalationen und abschwellenden Nasensprays und gegebenenfalls Analgetika. Er führte aus, dass eine antibiotische Therapie nur bei starken Schmerzen und Fieber sowie bei therapierefraktären Verläufen indiziert sei. Dies gelte auch für die akute Tonsillopharyngitis, die zu 70 bis 80 % viral bedingt ist. Daher sei es besonders wichtig, anhand der klinischen Symptomatik und Scores abzuwägen, ob sie bakteriell bedingt sein könnten bzw. ob auf eine Antibiose verzichtet werden könne. Die Gefahr von aus Streptokokkeninfektionen resultierenden Folgeerkrankungen sei in Europa äußerst selten. Weiterhin ging Prof. Dr. med. Luckhaupt auf in Deutschland selten vorkommende HNO-Erkrankungen wie Mononukleose, Diphterie und Lymphadenitis sowie auf Oberlippen- bzw. Nasenfurunkel ein. Er beendete seinen Vortrag mit Empfehlungen für die Ärzte zu strenger Indikationsstellung, geeigneter Dosierung und kürzeren Einnahmezeiten bei Antibiotikaverordnung, um die günstige Resistenzsituation bei den Erregern häufiger Infektionen im ambulanten Bereich in Deutschland weiterhin aufrechterhalten zu können.

Arzneimittel mit Suchtpotenzial – wo beginnen Missbrauch und Abhängigkeit?

Der Arzt Benjamin Ochs griff das Thema Suchtpotenzial von Arzneimitteln und Arzneimittelabhängigkeit auf und begann seinen Vortrag mit einer Darstellung des Arzneimittelmarkts in Deutschland und den verordneten Dosen an Arzneimitteln, die ein eigenständiges Abhängigkeitspotenzial aufweisen. Er wies darauf hin, dass schätzungsweise 1,5 Mio. Menschen in Deutschland medikamentenabhängig sind. Dabei spielen insbesondere die Benzodiazepine und die Z-Substanzen eine wichtige Rolle, obwohl es für die letzteren lange Zeit die Hoffnung gab, dass sie ein Abhängigkeitspotenzial nicht oder nur in eingeschränkter Form aufweisen. Weiterhin ging der Experte auf die Eigenschaften ein, die bei einem Arzneimittel ein Abhängigkeitspotenzial bedingen. Dazu gehöre vor allem eine pharmakologische Interaktion mit vier Neurotransmittern im synaptischen Spalt: GABA, Endorphine, Dopamin und Endocannabinoide. Ein Abhängigkeitspotenzial wiesen demnach vor allem Benzodiazepine, Z-Substanzen, Barbiturate, Opiate, Stimulanzien und Cannabinoide auf. Einige Arzneimittel rufen zwar keine „echte“ Abhängigkeit hervor, werden aber von den Patienten in einer abhängigkeitsähnlichen Form konsumieret bzw. missbraucht wie z. B. Laxanzien, Steroide und abschwellende Nasensprays.

Bremer Stadtmusikanten

Herr Ochs stellte die Kriterien der ICD-10 für eine Abhängigkeit vor: klare Unfähigkeit zur Abstinenz und Zwang zum Konsumieren, Kontrollverlust, Tendenz zur Toleranzentwicklung und Dosissteigerung und Entzugssymptome. Wenn drei davon über den Zeitraum von mindestens einigen Wochen zutreffend sind, könne man von einer Abhängigkeit sprechen. Keine ICD-10-Kriterien, aber klinisch relevant seien zudem heimliches Konsumieren, Einengung der Interessen auf den Suchtkonsum und soziale Folgeschäden (z. B. Arbeitsplatzverlust). Als Risikopatienten für Medikamentenabhängigkeit gelten Patienten mit unspezifischen Symptomen wie Überforderung, Schlafstörung, Schwindel, Grübeln, diffusen Ängsten; Patienten mit weiteren Suchterkrankungen in der Anamnese; Patienten mit psychiatrischen Komorbiditäten; Angehörige medizinischer Berufe; ältere Patienten und Frauen. Ausführlich ging er dann auf die Abhängigkeit durch Benzodiazepine und Z-Substanzen ein. Davon seien vor allem ältere Frauen häufig betroffen, eine Patientengruppe, für die die Abhängigkeit aufgrund kognitiver Einbußen und Sturzrisiken besonders gefährlich ist. Er zeigte diverse medikamentöse Alternativen und Maßnahmen und Tipps zur Verbesserung der Schlafhygiene auf, um Benzodiazepinverordnungen zu vermeiden und die Abhängigkeit zu bekämpfen. Weiterhin ging Herr Ochs auf die Verordnung von Opioiden ein und stellte Regeln für ihren rationalen Einsatz vor. So sind Opioide z. B. ungeeignet bei chronischen Schmerzen (Ausnahme: Palliativbehandlung) und kontraindiziert bei Schmerzen unklarer Ätiologie und sollten bei somatoformen Schmerzen und Fibromyalgie mit großer Vorsicht eingesetzt werden. Abschließend ging es um die durch abschwellende Nasensprays verursachte Abhängigkeit, von der schätzungsweise über 100.000 Menschen in Deutschland betroffen sind.

Weitere Informationen zu Fortbildungsveranstaltungen der AkdÄ finden Sie unter:
www.akdae.de/Fortbildung/Kalender/

 

vorab online

Dieser Artikel wurde am 9. Juli 2020 vorab online veröffentlicht.