Sollen alle Blutdrucktabletten vor dem Schlafengehen eingenommen werden?

Arzneiverordnung in der Praxis

Ausgabe 1/2020

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Zusammenfassung

In einer spanischen Studie nahmen 19.084 Patienten randomisiert in zwei Gruppen ihre Blutdruckmedikation entweder morgens nach dem Aufstehen oder abends vor dem Schlafen gehen ein. In einem Beobachtungszeitraum von im Mittel 6,3 Jahren wurde die Ereignisrate klinisch relevanter Endpunkte nahezu halbiert.

Bisher galt die allgemeine Regel für Hochdruckpatienten, möglichst alle Tabletten gleich nach dem Aufstehen oder zumindest zum Frühstück einzunehmen. Eine zusätzliche abendliche Gabe war lediglich für Patienten mit fehlender Nachtabsenkung oder therapieresistenter Hypertonie vorgesehen. So sollten die Einnahmetreue gefördert und die morgendlichen Blutdruckerhöhungen am wirkungsvollsten behandelt werden.

Diese Jahrzehnte lang geübte Praxis wird jetzt durch die Studie von Hermida et al. infrage gestellt (1). In dieser wurden 19.084 Patienten mit einem mittleren Alter von 60,5 Jahren mit Bluthochdruck 1:1 randomisiert zwei Gruppen (siehe Tabelle 1) zugeteilt: Sie sollten entweder die gesamte Menge an Antihypertensiva zum Schlafengehen oder nach dem Aufwachen einnehmen. Beim Einschluss und danach mindestens einmal jährlich wurden 48h-Langzeitblutdruckmessungen (ambulantes Blutdruck-Monitoring, ABPM) vorgenommen. Der mediane Beobachtungszeitraum betrug 6,3 Jahre. Der kombinierte primäre Endpunkt waren kardiovaskuläre Ereignisse (kardiovaskulärer Tod, Herzinfarkt, koronare Revaskularisation, Herzinsuffizienz oder Schlaganfall).

Tabelle 1: Basischarakteristika der Studienteilnehmer (nach (1))


Die Patienten, die ihre antihypertensive Medikation vor dem Schlafengehen einnahmen, hatten adjustiert nach Alter, Diabetes mellitus, chronischer Nierenerkrankung, Rauchen, HDL-Cholesterin, mittlerem nächtlichen systolischen Blutdruck und Absinken des nächtlichen systolischen Blutdrucks nur das halbe Risiko den zusammengesetzten kardiovaskulären Endpunkt zu erreichen (Hazard Ratio [HR] 0,55; 95 % Konfidenzintervall [CI] 0,50–0,61; p < 0,001). Dies traf auch für die einzelnen kardiovaskulären Endpunkte zu: kardiovaskulärer Tod (HR 0,44; 95 % CI 0,34–0,56), Herzinfarkt (HR 0,66; 95 % CI 0,52–0,84), koronare Revaskularisationen (HR 0,60; 95 % CI 0,47–0,75), Herzinsuffizienz (HR 0,58; 95 % CI 0,49–0,70) und Schlaganfall (HR 0,51; 95 % CI 0,41–0,63) (siehe Tabelle 2).

Tabelle 2: Ergebnisse: adjustierte Hazard Ratios, absolute Risikoreduktion und Number needed to treat nach (1) mit Kommentaren


Eine mögliche Begründung für diese beeindruckende Verbesserung klinisch relevanter Endpunkte könnte die deutlich niedrigere Einstellung nächtlicher Blutdruckwerte gewesen sein. Nur die Hälfte der Patienten mit morgendlicher Einnahme zeigte eine nächtliche Absenkung ihrer Blutdruckwerte („Dipper“) verglichen mit fast zwei Drittel der Patienten mit nächtlicher Einnahme (50 % vs. 63 %; p < 0,001) (siehe Tabelle 3).

Tabelle 3: Abschlusscharakteristika der Studienteilnehmer (nach (1))


Muss nun die klinische Routine geändert werden? Immerhin blieb der Effekt auf den primären Endpunkt bestehen, wenn für Alter, Geschlecht, Diabetes mellitus, Nierenerkrankungen, Rauchen, Ausgangswerte des nächtlichen systolischen Blutdrucks und vorbestehende kardiovaskuläre Erkrankungen adjustiert wurde. Restunsicherheiten in der aktuellen Studie bestehen in Gruppenunterschieden in den jeweils eingesetzten Antihypertensiva. Diese erscheinen einerseits zu gering, um die relativ großen Effekte zu erklären, wie auch ein Kommentar im BMJ anmerkte (2). Andererseits waren sie statistisch signifikant, was in sehr großen Kollektiven durchaus einen Effekt haben kann. Somit müssen, wie üblich in der medizinischen Wissenschaft, diese Beobachtungen durch weitere Studien bestätigt werden. Immerhin hatte dieselbe Arbeitsgruppe vor einigen Jahren eine kleinere Studie mit ähnlichen Ergebnissen veröffentlicht (3). Für 2020 werden die Ergebnisse einer weiteren Studie aus dem Vereinigten Königreich erwartet (4).

Fazit für die Praxis

In einer kontrollierten prospektiven Studie zeigen sich beeindruckende Vorteile in patientenrelevanten kardiovaskulären Endpunkten bei der abendlichen Einnahme von Antihypertensiva im Vergleich zur morgendlichen Gabe. Vor einer generellen Umstellung der bisherigen Praxis sollte eine Bestätigung durch weitere Arbeiten erfolgen.

Interessenkonflikte

Ein Interessenkonflikt wird vom Autor verneint.

Literatur
  1. Hermida RC, Crespo JJ, Domínguez-Sardiña M et al.: Bedtime hypertension treatment improves cardiovascular risk reduction: the Hygia Chronotherapy Trial. Eur Heart J 2019; Epub ahead of print: ehz754.
  2. Mayor S: Taking antihypertensives at bedtime nearly halves cardiovascular deaths when compared with morning dosing, study finds. BMJ 2019; 367: l6173.
  3. Hermida RC, Ayala DE, Mojon A, Fernandez JR: Bedtime dosing of antihypertensive medications reduces cardiovascular risk in CKD. J Am Soc Nephrol 2011; 22: 2313-2321.
  4. Treatment in morning versus evening study: www.isrctn.com/ISRCTN18157641. Letzter Zugriff: 23. Januar 2020.

vorab online

Dieser Artikel wurde am 20. Februar 2020 vorab online veröffentlicht.