Stellungnahme der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft zur Anwendung von Cytotec® (Misoprostol) in der Geburtshilfe

Arzneiverordnung in der Praxis

Ausgabe 1/2020

Ein aktueller Rote Hand-Brief (1) warnt mit Hinweis auf Anwendungsfehler und schwerwiegende Nebenwirkungen vor der Verwendung von Cytotec® in der Geburtshilfe. Die geburtshilflichen Fachgesellschaften haben ebenfalls zur Anwendung von Cytotec® Stellung bezogen (2;3). Auch verschiedene Medienberichte (z. B. SZ, RNZ, ARD) haben sich in den vergangenen Wochen dem Thema gewidmet.

Cytotec® enthält als wirksamen Bestandteil 200 μg Misoprostol, einen synthetisch hergestellten Abkömmling des natürlich vorkommenden Gewebehormons Prostaglandin E1. Cytotec® wurde für die Vorbeugung medikamentenbedingter Magenschleimhautschädigungen und die Behandlung von Magen-Darm-Ulzera zugelassen. Allerdings hat sich der Wirkstoff Misoprostol in den vergangenen 20 Jahren weltweit auch in der Geburtshilfe zur Reifung des Gebärmutterhalses bzw. zur Geburtseinleitung bewährt. Hierfür wird eine deutlich geringere Dosis von 25–50 μg oral oder vaginal verabreicht. Bei Beachtung der richtigen Indikationsstellung einschließlich Einschränkungen und Kontraindikationen und einer korrekten Dosierung hat sich dieses Vorgehen in zahlreichen Studien sowie in einem Cochrane Review (4) randomisierter Studien als wirksam und sicher erwiesen. In bestimmten Aspekten bietet Misoprostol sogar Vorteile gegenüber anderen zur Geburtseinleitung zugelassenen Prostaglandin-E2-Präparaten (Dinoproston) und Oxytocin. Im Gegensatz zu den zugelassenen Prostaglandin-E2-Präparaten hat Misoprostol keine bronchokonstriktorische Wirkung und kann daher bei Patientinnen mit Asthma eingesetzt werden. Bei der Weheneinleitung zeichnet sich Misoprostol auch durch den Vorteil der oralen Anwendbarkeit aus, was das Infektionsrisiko (insbesondere bei Blasensprung) gegenüber vaginalen Prostaglandin-Präparaten senkt und die Akzeptanz bei der Schwangeren erhöht. Ein oral anwendbares Misoprostol ist in der Bundesrepublik Deutschland für diese Indikation derzeit nicht zugelassen.

Im Einklang mit zahlreichen anderen internationalen Leitlinien wird die derzeit in der Erstellung befindliche S2k-Leitlinie zur Geburtseinleitung der deutschen, schweizerischen und österreichischen geburtshilflichen Fachgesellschaften eine Empfehlung für Misoprostol aussprechen.

Prostaglandine können bei Überdosierung bzw. bei zu häufiger Anwendung zu einem Wehensturm mit der Folge einer fetalen Asphyxie mit schwerwiegenden Schäden führen. Nach vorangegangener Kaiserschnittentbindung oder anderen Uterusoperationen in der Vorgeschichte steigt das Risiko für eine Uterusruptur durch Prostaglandin-Anwendung signifikant. Dies muss generell bei der Verwendung von wehenauslösenden Wirkstoffen beachtet werden und beschränkt sich nicht auf den Off-Label-Use von Cytotec® 200 Mikrogramm.

Grundsätzlich ist der Off-Label-Use eines Arzneimittels dann akzeptabel, wenn der betreffende Wirkstoff aufgrund der wissenschaftlichen Datenlage ausreichend gut untersucht ist, kein anderes Präparat mit diesem Wirkstoff für dieselbe Indikation zugelassen ist und wenn das betreffende Arzneimittel Vorteile (für Mutter und Kind) gegenüber anderen zugelassenen Wirkstoffen besitzt. Die Ärzte müssen ihre Patientinnen über den Off-Label-Use aufklären und die ausreichende und umfassende Aufklärung dokumentieren.

Die Cytotec® unter der Geburt zugeschriebenen schwerwiegenden Risiken sind nicht produktspezifisch, sondern betreffen Misoprostol bzw. Prostaglandin-Wehenmittel generell. Allerdings ist bei Cytotec® aufgrund des gastroenterologischen Einsatzbereichs der wirksame Bestandteil mit 200 μg pro Tablette zu hoch für die in der Geburtshilfe zu verwendende Dosis von 25–50 μg. Das Risiko für eine Überdosierung durch unsachgemäße „Stückelung“ ist in gynäkologisch-geburtsmedizinischen Fachkreisen als bekannt vorauszusetzen. Üblicherweise wird Cytotec® in der Klinikapotheke fachgerecht in Darreichungsformen mit geringerer Dosierung geteilt. Dies ist ein (in vielen Ländern) seit Jahren etabliertes Vorgehen. Bis zur Zulassung eines Misoprostol-Arzneimittels mit geeigneter Dosis (25–50 μg) für die Geburtsmedizin ist es wichtig, auf die korrekte Dosierung bei Verwendung von Cytotec® hinzuweisen, die ausschließlich in den Händen eines Facharztes für Frauenheilkunde und Geburtshilfe liegen sollte.

Die unbedingt zu beachtenden wirkstoffspezifischen Indikationseinschränkungen und Vorsichtsmaßnahmen gelten unabhängig vom Zulassungsstatus für alle Misoprostol- bzw. Prostaglandin-Präparate in der Geburtshilfe.

 

Literatur
  1. Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM): Cytotec® (Misoprostol): Risiken im Zusammenhang mit einer Anwendung zur Geburtseinleitung außerhalb der Zulassung („off-label-use“): www.akdae.de/Arzneimittelsicher-heit/RHB/Archiv/2020/20200316.pdf (letzter Zugriff: 6. April 2020). Rote-Hand-Brief vom 16. März 2020.
  2. Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe e. V. (DGGG): Stellungnahme zur Berichterstattung über Cytotec®: www.dggg.de/leitlinien-stellungnahmen/stellungnahmen/stellungnahme-zur-berichterstattung-ueber-cytotec-1167/ (letzter Zugriff: 6. April 2020). Berlin, Februar 2020.
  3. Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe e. V. (DGGG): Rote-Hand-Brief zu Cytotec® ist konsequent und richtig: www.dggg.de/presse-news/pressemitteilun-gen/mitteilung/rote-hand-brief-zu-cytotec-r-ist-konsequent-und-richtig-1191/ (letzter Zugriff: 6. April 2020). Pressemitteilung der DGGG; Berlin, März 2020.
  4. Alfirevic Z, Aflaifel N, Weeks A: Oral misoprostol for induction of labour. Cochrane Database Syst Rev 2014; 6: CD001338.

Hinweise

Das Präparat Angusta® (Misoprostol 25 μg Tbl.) ist in einigen skandinavischen Ländern und in Frankreich für die Geburtseinleitung zugelassen.

Dieser Stellungnahme wurde am 7. April 2020 auf www.akdae.de veröffentlicht.