Iberogast® verursacht potenziell lebensbedrohliche Leberschäden: Endlich werden Warnhinweise in der Fach- und Gebrauchsinformation durch Bayer umgesetzt

Arzneiverordnung in der Praxis

Ausgabe 1/2019

Iberogast® causes potentially life-threatening liver damages: Finally, warning notices are included in the use instructions by Bayer

Autor

Zusammenfassung

Aufgrund der Lebertoxizität von Schöllkraut wurde bereits 2008 allen Phytopharmaka mit einer Tagesdosis von mehr als 2,5 mg Chelidonium-Gesamtalkaloiden die Zulassung entzogen. Alle Präparate mit einer niedrigeren Tages-Gesamtdosis, zu denen der 9-Kräuter-Extrakt Iberogast® gehört, mussten in die Patienteninformation Warnhinweise zur Lebertoxizität in die Gebrauchsanweisung aufnehmen. Dies ist bei Iberogast® aufgrund des Widerstands des pharmazeutischen Herstellers erst jetzt, zehn Jahre später, aufgrund neuer Fallberichte und unter dem Druck des BfArM erfolgt. Unter Nutzen-Risiko-Abwägung kann ein Schöllkraut-haltiges Iberogast® nicht mehr empfohlen werden.

Abstract

Due to liver toxicity of chelidonium majus market authorisation of all phytopharmacological preparations containing more than 2.5 mg daily dose of whole chelidonium alkaloids was withdrawn as early as 2008. For all preparations with lower daily doses – which applies for the 9-herbal extract Iberogast® – their instruction leaflet must include warnings on liver toxicity. In case of Iberogast®, due to refusal of the pharmaceutical company, these warnings were included not earlier than these days, ten years later, under the impression of new case reports and forced by BfArM. Concerning risks and benefits a chelodonium majus containing Iberogast® cannot be recommended any longer.

Iberogast® (STW 5) ist ein alkoholischer Extrakt aus neun Kräutern, der unter anderem Schöllkraut enthält. Das in der traditionellen chinesischen Medizin und in der Naturheilkunde mit verschiedenen therapeutischen Wirkungen assoziierte Schöllkraut hat eine potenziell lebertoxische Wirkung. Aufgrund von 48 Einzelfallberichten wurde 2008 die Zulassung derjenigen Schöllkraut-haltigen Arzneimitteln, bei denen nach der Dosierungsanleitung in der Fach- oder Gebrauchsinformation mehr als 2,5 mg Gesamtalkaloide pro Tage eingenommen wurden, mit sofortiger Wirkung widerrufen (1).

Bei Präparaten, die eine Schöllkraut-Dosierung von 2,5 µg bis höchstens 2,5 mg pro Tag enthielten (wie Iberogast®) sollten die Fachinformationen geändert werden:

  • Kontrolle der Transaminasen bei mehr als vierwöchiger Einnahme
  • keine Einnahme bei bestehender Lebererkrankung oder früherer Lebererkrankung oder gleichzeitige Anwendung leberschädigender Arzneimittel
  • sofortige Beendigung der Therapie bei klinischen Zeichen einer Leberschädigung
  • ein Hinweis auf die Fallberichte mit möglicher Leberschädigung und Fälle mit Leberversagen
  • diese Schöllkrautpräparate dürfen von Schwangeren und Stillenden nicht eingenommen werden.

Bayer, das Iberogast® seit der Übernahme von Steigerwald 2013 vermarktet, hat sich bis September 2018 geweigert, diese Hinweise in die Gebrauchsinformation aufzunehmen. Aufgrund neuer Fallberichte von schweren Leberschäden zu Iberogast®, davon einer mit tödlichem Ausgang, hat Bayer nun die oben genannten Informationen in die Gebrauchsinformation aufgenommen, um einer Anordnung des Sofortvollzugs durch das BfArM zuvorzukommen (2).

Welcher Patient braucht Iberogast®?

Einzig für die Anwendung bei funktioneller Dyspepsie gibt es prospektive, randomisierte, doppelblinde Studien mit einem signifikanten positiven Effekt auf Symptome (3-5). Der Plazeboeffekt auf Symptome ist in Studien bei funktioneller Dyspepsie jedoch immer hoch (bis 60 %) und geschmacksidentische Plazebopräparate standen bei den genannten Studien regelhaft nicht zur Verfügung (6). Trotzdem findet es sich in aktuellen nationalen und internationalen Übersichten zur Therapie der funktionellen Dyspepsie (6;7). Vor dem Hintergrund der vom BfArM in diesem Jahr bewerteten Fälle kann Iberogast® für die funktionelle Dyspepsie (und alle weiteren Indikationen) nicht (mehr) empfohlen werden. Zu einer negativen Nutzen-Risiko-Bewertung Schöllkraut-haltiger Präparate kam die EMA in ihrem Assessment Report zu Choledinium majus bereits (8).

Iberogast® ist ohne ärztliche Verschreibung erhältlich, aber apothekenpflichtig. Nach dem aktuellen Arzneiverordnungsreport wurden 2017 1,5 Millionen DDD des Präparates zulasten der gesetzlichen Krankenkassen verordnet (bei Kindern) bzw. die Kosten (freiwillig) übernommen (9). Zur tatsächlichen Anwendungshäufigkeit gibt es nur Schätzungen, nach denen die Zahl der Tagesdosen um mindestens das Zehnfache höher liegen und Bayer bislang einen Umsatz im dreistelligen Millionenbereich ermöglichte. Bayer wäre gut beraten gewesen, bereits bei Übernahme von Steigerwald 2013 eine schöllkrautfreie Iberogast®-Variante anzubieten und sollte dies jetzt umgehend tun.

Fazit für die Praxis

Iberogast® erhält endlich Warnhinweise zur potenziell lebensbedrohlichen Lebertoxizität. Auch bei der funktionellen Dyspepsie, der einzigen Indikation, für die es positive Evidenz für Symptomlinderung gibt, kann die Nutzen-Risiko-Abwägung nicht (mehr) positiv gesehen werden. Der Hersteller sollte Schöllkraut aus dem Präparat umgehend entfernen.

Interessenkonflikte

Ein Interessenkonflikt wird vom Autor verneint.

Literatur
  1. BfArM: Schöllkraut-haltige Arzneimittel zur innerlichen Anwendung: www.bfarm.de/SharedDocs/Risikoinformationen/Pharmakovigilanz/DE/RV_STP/s-z/schoellkraut.html (letzter Zugriff: 9. Oktober 2018). Bonn, 5. Oktober 2018.
  2. Bayer AG: Iberogast® Gebrauchsinformation: Information für den Anwender: www.iberogast.de/static/documents/Iberogast-Gebrauchsinformation.pdf (letzter Zugriff: 9. Oktober 2018). Stand: September 2018.
  3. Madisch A, Holtmann G, Mayr G et al.: Treatment of functional dyspepsia with a herbal preparation. A double-blind, randomized, placebo-controlled, multicenter trial. Digestion. 2004; 69: 45-52.
  4. von Arnim U, Peitz U, Vinson B et al.: STW 5, a phytopharmacon for patients with functional dyspepsia: results of a multicenter, placebo-controlled double-blind study. Am J Gastroenterol. 2007; 102: 1268-1275.
  5. Melzer J, Rösch W, Reichling J et al.: Meta-analysis: phytotherapy of functional dyspepsia with the herbal drug preparation STW 5 (Iberogast). Aliment Pharmacol Ther 2004; 20: 1279-1287.
  6. Madisch A, Andresen V, Enck P et al.: The diagnosis and treatment of functional dyspepsia. Dtsch Arztebl Int 2018; 115: 222-232.
  7. Talley NJ, Walker MM, Holtmann G: Functional dyspepsia. Curr Opin Gastroenterol 2016; 32: 467-473.
  8. European Medicnes Agency (EMA): Committee on Herbal Medicinal Products (HMPC): Assessment report on Chelidonium majus L., herba: www.ema.europa.eu/documents/herbal-report/final-assessment-report-chelidonium-majus-l-herba_en.pdf (letzter Zugriff: 9. Oktober 2018). EMA/HMPC/369801/2009; London, 13. September 2011.
  9. Schwabe U, Paffrath D, Ludwig WD, Klauber J (Hrsg.): Arzneiverordnungs-Report 2018. Berlin, Heidelberg: Springer-Verlag, 2018.

vorab online

Dieser Artikel wurde am 17. Oktober 2018 vorab online veröffentlicht.