Kryptogener Schlaganfall und persistierendes Foramen ovale

Arzneiverordnung in der Praxis

Ausgabe 1/2019

Cryptogenic stroke and patent foramen ovale

Autoren

Zusammenfassung

Ein persistierendes Foramen ovale führt in der Normalbevölkerung zu keinem nachweisbar erhöhten Schlaganfallrisiko. Im Einzelfall kann es jedoch in Verbindung mit venösen Blutgerinnseln zu Schlaganfällen durch paradoxe Embolien führen. Nach mehreren negativen Studien zeigen neuere Untersuchungen, dass der mechanische Verschluss eines offenen Foramen ovale nach einem kryptogenen Schlaganfall Rezidive verhindern kann. Im Lichte dieser Ergebnisse empfiehlt eine aktuelle Leitlinie der Fachgesellschaften für Kardiologie und Neurologie sowie der Deutschen Schlaganfall-Gesellschaft den Verschluss bei Patienten mit kryptogenem Schlaganfall. Die kritische Analyse der bisherigen Studien ergibt, dass dieser Eingriff nur sorgfältig selektierten jungen Patienten ohne konkurrierende Schlaganfallursache hilft. Die Number needed to treat liegt mit 18 über zehn Jahre recht hoch. Zudem konnte kein Vorteil des PFO-Verschlusses im Vergleich mit oralen Antikoagulanzien belegt werden. Dies liegt auch an der niedrigen spontanen Rezidivrate von 0,6 bis 1,7 % pro Jahr in den medikamentösen Gruppen. Häufigste Komplikation des PFO-Verschlusses ist Vorhofflimmern, das bei etwa 5 % der Patienten auftritt und bei einem Viertel der Betroffenen persistiert.

Abstract

A PFO does not lead to an identifiable increased risk of stroke in the general population. However, in rare cases it can facilitate a paradoxical embolism from a venous source. Recent randomized trials have shown that mechanical closure of the patent foramen ovale may decrease the rate of future strokes. Consequently, a current practice guideline of the German cardiological and neurological societies and the German Stroke Society advocates closure of the defect in patients with previous cryptogenic stroke. Critical analysis of the current evidence reveals that only carefully selected patients may profit. The number needed to treat is 18 per 10 years. Furthermore, there is no proven advantage of the intervention compared to oral anticoagulation. This is partly caused by the low stroke recurrence rate of 0.6 to 1.7% per year in patients under medical treatment. The most common adverse effect of the closure of the patent foramen ovale is atrial fibrillation which occurs in about 5% of patients and persists in a quarter of them.

Paradoxe Embolien durch ein persistierendes Foramen ovale (PFO) gelten als seltene Schlaganfallursache und können nur in Einzelfällen direkt nachgewiesen werden. Ein PFO findet sich bei 20–25 % der Normalbevölkerung, sodass der isolierte Nachweis eines PFO als Diagnosekriterium einer paradoxen Embolie nicht ausreicht. Als zusätzliche Kriterien eignen sich der Nachweis einer tiefen Beinvenenthrombose, der anamnestische Hinweis auf einen Valsalvamechanismus zu Beginn des Schlaganfalls sowie der Ausschluss anderer Ätiologien. Jahrelang wurde kontrovers diskutiert, ob der Verschluss eines PFO mit einem per Katheter eingebrachten Okkluder in der Sekundärprophylaxe des Schlaganfalls tatsächlich wirksam ist. In einer gemeinsamen S2e-Leitlinienempfehlung (1) von Neurologen und Kardiologen sowie der Deutschen Schlaganfall-Gesellschaft scheint diese Kontroverse nun harmonisch beigelegt worden zu sein:

„Bei Patienten zwischen 16 und 60 Jahren mit einem (nach neurologischer und kardiologischer Abklärung) kryptogenen ischämischen Schlaganfall und offenem Foramen ovale mit moderatem oder ausgeprägtem Rechts-Links-Shunt soll ein interventioneller PFO-Verschluss durchgeführt werden.“

Diese Empfehlung wird mit maximalem Empfehlungsgrad A und der höchsten Evidenzebene I ausgesprochen. Erste Zweifel an diesem hohen Empfehlungsgrad wecken die in der Leitlinie (vorbildlich dokumentierten) drei Gegenstimmen. Die Zweifel werden konkreter, wenn man sich die Daten anschaut, auf denen diese Empfehlung beruht: Drei negativen Studien stehen vier positive gegenüber (2-8). Hinzu kommt ein möglicher Bias durch unverblindete Untersucher in allen sieben Studien, von deren Einschätzung es abhing, welche Ereignisse zur Beurteilung eines möglichen Endpunktes weitergeleitet wurden. Des Weiteren war die Anzahl der im Follow-up verlorenen Patienten in einigen Studien höher als die Anzahl derer, die den Endpunkt erreichten (2,7). Daher sollte die Diskussion mit Erscheinen der Leitlinie nicht beendet, sondern intensiviert werden. Die der Leitlinie zugrunde liegende Datenlage ist mit sieben randomisierten Studien immerhin außergewöhnlich komfortabel. Der Blick in die Studien lohnt sich, um die Kriterien für einen PFO-Verschluss zu schärfen:

  1. Indikationsstellung: Warum fielen drei Studien negativ und vier positiv aus? Eine der möglichen Antworten: In den positiven Studien wurden die Patienten sehr sorgfältig ausgewählt. Entscheidend ist hier die Definition dessen, was in der Leitlinie knapp als „kryptogener Schlaganfall“ bezeichnet wird. Zu diesem Schlagwort werden jedoch ganze Bücher verfasst. In den meisten Studien war die dem PFO-Verschluss vorgeschaltete Diagnostik nicht einheitlich oder gar nicht geregelt. Die beiden großen positiven Studien CLOSE und REDUCE listen jedoch zahlreiche vordefinierte Ausschlusskriterien auf (9;10). Unter anderem war in CLOSE gefordert: keine Mikroangiopathie, keine Stenose eines hirnversorgenden Gefäßes über 30 %, keine Aortenplaques über 4 mm, keine anderen kardialen Emboliequellen, wobei das EKG-Monitoring in der Regel nur kurz war. Eine ähnlich strenge Liste findet sich bei REDUCE, zusätzlich durfte hier kein unkontrollierter Schlaganfall-Risikofaktor wie arterieller Hypertonus, Diabetes mellitus oder Herzinfarkt in der Anamnese vorliegen. In beiden Studien wurde zusätzlich umfangreiche weitere Diagnostik nach dem Ermessen der Behandler betrieben. Nach Ausschluss anderer Ätiologien kann der RoPE-Score („risk of paradoxical embolism“) herangezogen werden, um die ursächliche Bedeutung des PFO einzuschätzen. Auf einer Skala von 0 bis 10 macht ein hoher Wert das PFO als Ätiologie wahrscheinlicher. In der CLOSE-Studie lag der Wert beispielsweise bei 7, was für eine sorgfältige Auswahl der Patienten spricht. Der RoPE-Score bildet jedoch viele Ätiologien, die insbesondere bei jungen Patienten eine Rolle spielen, nicht ab, daher ist er isoliert betrachtet zur Indikationsstellung nicht ausreichend. Auch das Durchschnittsalter der Studienpatienten von 45 Jahren belegt, dass die Patienten in der Regel kein relevantes kardiovaskuläres Risikoprofil mitbrachten.

    Ein Schwachpunkt aller PFO-Verschlussstudien aus heutiger Sicht liegt in der unzureichenden Suche nach Vorhofflimmern, sodass bei einigen Patienten diese Ätiologie wahrscheinlich übersehen wurde. Patienten mit transitorischer ischämischer Attacke (TIA) wurden in den positiven Studien ausgeschlossen – die Leitlinie spricht daher Empfehlungen nur für Schlaganfälle aus. Für die Studien war der Ausschluss zweckmäßig, um die Ergebnisse nicht mit Patienten zu verwässern, bei denen andere Differenzialdiagnosen infrage kamen. Im Einzelfall kann es dennoch sinnvoll sein, Patienten mit klinisch eindeutiger TIA einem PFO-Verschluss zuzuführen.

  2. Graduierung des PFO: Die Kriterien waren in den Studien nicht einheitlich. In den meisten Studien wurde die Größe des PFO über die Anzahl von Kontrastmittelbläschen im linken Vorhof definiert, die mit Hilfe einer Software gezählt wurden. Die Schwellenwerte für klein/moderat/groß waren jedoch nicht einheitlich. In der DEFENSE-PFO wurde dagegen für ein „Hochrisiko-PFO“ eine bestimmte Auslenkung des Vorhofseptums oder ein Mindestabstand zwischen Septum primum und Septum secundum gefordert. Es ist unwahrscheinlich, dass alle Kliniken in Deutschland die gleichen Diagnosekriterien für ein PFO anlegen können und werden wie eine der PFO-Studien. Eine rein subjektive Einschätzung jedoch schränkt die diagnostische Sicherheit und damit auch die korrekte Therapie des PFO ein.

  3. Komplikationen des PFO-Verschlusses: Die periprozedurale Komplikationsrate lag in den Studien zwischen 2 und 10 %. Die Number needed to harm (NNH) beträgt damit 10–50. Die häufigste Komplikation war mit 2,9–6,6 % Vorhofflimmern, das signifikant häufiger als in den konservativen Armen auftrat. Das Vorhofflimmern sistierte bei 72 % der Patienten innerhalb von 45 Tagen (12). Untersuchungen zu möglichen Langzeitfolgen des länger als 45 Tage bestehenden Vorhofflimmerns stehen aus.

    Die periprozedurale Komplikationsrate steigt erheblich mit dem vaskulären Risikoprofil der Patienten. Im Quartil mit den schwersten kardiovaskulären Risikofaktoren einer PFO-Verschlussstudie wurden Komplikationen in bis zu 20 % beobachtet (11). Viele kardiovaskuläre Risikofaktoren bedeuten zudem, dass konkurrierende Ätiologien wahrscheinlicher werden. Solche Patienten wurden in den Studien zum PFO-Verschluss nach Schlaganfall daher in der Regel von vornherein ausgeschlossen.

  4. Behandlungsergebnisse: Die Schlaganfallrezidive waren bereits in den konservativen Studienarmen mit Raten zwischen 0,6 –1,7 %/Jahr selten. Ausnahme ist die DEFENSE-PFO mit 4 % Hirninfarkten/Jahr bei allerdings eingeschränkter Aussagekraft durch kleine Zahlen (5 Hirninfarkte, 1 Hirnblutung). Die absolute Risikoreduktion beträgt laut einer Metaanalyse 0,57 %/Jahr entsprechend einer NNT von 175 pro Jahr bzw. 18 pro zehn Jahre. Keine Unterschiede fanden sich bei TIA, Herzinfarkt, schweren Nebenwirkungen und Mortalität (12). In den Studien fehlen Angaben zu behindernden Schlaganfällen als Endpunkt. Die CLOSE-Studie führt sie immerhin auf, die Rate liegt mit 0,08 %/ Jahr in der konservativ behandelten Gruppe extrem niedrig. Somit steht der Nachweis eines Nutzens des PFO-Verschlusses für behindernde Schlaganfälle genauso aus wie eine Analyse aller patientenrelevanten Endpunkte einschließlich der Komplikationen wie Vorhofflimmern durch den PFO-Verschluss. Hinzu kommt, dass im Vergleich mit Antikoagulanzien kein Vorteil für den PFO-Verschluss bezüglich Schlaganfallrezidiven gezeigt werden konnte – bei allerdings mäßiger Datenlage. Das bessere Abschneiden von Antikoagulanzien im Vergleich mit Plättchenhemmern ist pathophysiologisch plausibel, da es sich bei den Rezidiven überwiegend um paradoxe Embolien aus venösen Gefäßen handelt. Im Vergleich mit Antikoagulanzien sprechen daher andere Leitlinien nur eine schwache Empfehlung für den PFO-Verschluss aus – und auch nur wegen des erhöhten Blutungsrisikos unter Antikoagulation (13).

Fazit für die Praxis

Der Schlüssel zum Behandlungserfolg mittels PFO-Verschluss liegt in der sorgfältigen Auswahl der Patienten. Die neue deutsche Leitlinie hilft bei der Patientenselektion jedoch nur eingeschränkt, da sie eine kryptogene Ätiologie bereits voraussetzt. Wichtige Ausschlusskriterien sind neben einer Reihe von Differenzialätiologien Zeichen von Arteriosklerose, unkontrollierte kardiovaskuläre Risikofaktoren und in der Regel transitorische ischämische Attacken. Des Weiteren sollte nach einem intermittierenden Vorhofflimmern ausführlich gesucht werden. Die Implantation eines Herzmonitors vor eventuellem PFO-Verschluss sollte daher erwogen werden. Jungen Patienten ohne kardiovaskuläre Risikofaktoren, einem RoPE-Score ≥ 7 und weitgehendem Ausschluss von Vorhofflimmern sollte ein PFO-Verschluss angeboten werden. Sie sollten gleichzeitig über die Komplikationen des Eingriffs, das niedrige Rezidivrisiko auch unter medikamentöser Behandlung und über die möglicherweise genauso wirksame Behandlung mit Antikoagulanzien aufgeklärt werden. Bei konservativer Behandlung sind orale Antikoagulanzien möglicherweise besser wirksam als Plättchenhemmer. Hier sind weitergehende Studien notwendig.

Literatur
  1. Diener H.-C., Grau A., Baldus S. et al.: Kryptogener Schlaganfall und offenes Foramen ovale, S2eLeitlinie. In: Deutsche Gesellschaft für Neurologie (Hrsg.): Leitlinien für Diagnostik und Therapie in der Neurologie, 2018. Online: www.dgn.org/leitlinien. Letzter Zugriff: 22. Januar 2019.
  2. Carroll JD, Saver JL, Thaler DE et al.: Closure of patent foramen ovale versus medical therapy after cryptogenic stroke. N Engl J Med. 2013; 368: 1092-1100.
  3. Furlan AJ, Reisman M, Massaro J et al.: Closure or medical therapy for cryptogenic stroke with patent foramen ovale. N Engl J Med 2012; 366: 991-999.
  4. Meier B, Kalesan B, Mattle HP et al.: Percutaneous closure of patent foramen ovale in cryptogenic embolism. N Engl J Med. 2013; 368: 1083-1091.
  5. Mas JL, Derumeaux G, Guillon B et al.: Patent foramen ovale closure or anticoagulation vs. antiplatelets after stroke. N Engl J Med. 2017; 377: 1011-1021.
  6. Søndergaard L, Kasner SE, Rhodes JF et al.: Patent foramen ovale closure or antiplatelet therapy for cryptogenic stroke. N Engl J Med. 2017; 377: 1033-1042.
  7. Saver JL, Carroll JD, Thaler DE et al.:Long-term outcomes of patent foramen ovale closure or medical therapy after stroke. N Engl J Med. 2017; 377: 1022-1032.
  8. Lee PH, Song JK, Kim JS et al.: Cryptogenic stroke and high-risk patent foramen ovale: the DEFENSE-PFO trial. J Am Coll Cardiol 2018; 71: 2335-2342.
  9. Supplementary Appendix CLOSE Trial. Supplement to: Mas J-L, Derumeaux G, Guillon B, et al. Patent foramen ovale closure or anticoagulation vs. antiplatelets after stroke. N Engl J Med 2017; 377: 1011-1021.
  10. Supplementary Appendix REDUCE Trial. Supplement to: Søndergaard L, Kasner SE, Rhodes JF, et al. Patent foramen ovale closure or antiplatelet therapy for cryptogenic stroke. N Engl J Med 2017; 377: 1033-1042.
  11. Merkler AE, Gialdini G, Yaghi S et al.: Safety outcomes after percutaneous transcatheter closure of patent foramen ovale. Stroke 2017; 48: 3073-3077.
  12. Ntaios G, Papavasileiou V, Sagris D et al.: Closure of patent foramen ovale versus medical therapy in patients with cryptogenic stroke or transient ischemic attack: Updated systematic review and meta-analysis. Stroke 2018; 49: 412-418.
  13. Kuijpers T, Spencer FA, Siemieniuk RAC et al.: Patent foramen ovale closure, antiplatelet therapy or anticoagulation therapy alone for management of cryptogenic stroke? A clinical practice guideline BMJ 2018; 362: k2515.

Interessenkonflikte

Ein Interessenkonflikt wird von den Autoren verneint.