Welche Medikamente sollen vor Anästhesien abgesetzt werden?

Arzneiverordnung in der Praxis

Ausgabe 1/2019

Which medicaments should be stopped before anaesthesia?

Autoren

Zusammenfassung

Moderne Narkoseverfahren sind zunehmend sicherer geworden. Der Artikel gibt einen Überblick, welche wenigen Medikamente dennoch vor Narkose abgesetzt werden sollten.

Abstract

Modern anesthesia has become safer. This articles summarises which drugs should be stopped nevertheless before anaesthesia.

Einleitung

Die Anästhesie ist für Patienten in den letzten Jahren sehr sicher geworden. Dies ist einerseits auf Verbesserungen in der Gerätetechnik und den Narkoseverfahren, insbesondere auch beim Atemwegsmanagement, zurückzuführen und andererseits in den heute zur Verfügung stehenden Narkotika begründet. Wirklich schwerwiegende unmittelbar lebensbedrohliche Nebenwirkungen wie anaphylaktischer Schock oder Leberzellnekrosen durch Narkosemedikamente sind selten und die maligne Hyperthermie als lebensbedrohliche Erkrankung bei genetisch disponierten Individuen gut behandelbar. Die anästhesieassoziierte Mortalität konnte in den letzten 40 Jahren auf ein Risiko von 1 : 250.000 Anästhesien gesenkt werden (1).

Hinsichtlich der Medikamentensicherheit ist der Metabolismus heutiger volatiler Anästhetika von großer Bedeutung, da diese die Leber und die Niere praktisch nicht belasten. So beträgt die Metabolisierungsrate von Desfluran nur 0,02 %, von Isofluran 0,2 % und von Sevofluran unter 5 %, während das in Deutschland nicht mehr zugelassene Halothan zu 20 % hepatisch verstoffwechselt wird (2;3).

Hier hat sich ein Wandel vollzogen: Galt in früheren Zeiten noch die Sichtweise, bei Patienten mit einer vorgeschädigten Leber volatile Anästhetika zu meiden, werden diese heute bevorzugt eingesetzt, da sie die Leber nicht belasten, eine quantitativ zu vernachlässigende Metabolisierungsrate aufweisen und sich sogar durch organprotektive Effekte auszeichnen (4). Die organprotektive Wirkung der volatilen Anästhetika Isofluran, Sevofluran und Desfluran begründet deren bevorzugte Auswahl in Zusammenschau mit den Vorerkrankungen des Patienten, zum Beispiel profitieren kardiovaskulär vorerkrankte Patienten von deren Verwendung (4).

Die Begleitmedikation der Patienten spielt in zweierlei Hinsicht eine Rolle:

  1. Gibt es Arzneimittelinteraktionen mit den verwendeten Anästhetika?
    Hierbei sind einerseits medikamentöse Nebenwirkungen und Interaktionen zwischen den Substanzen und auch Sicherheitshinweise des Herstellers zu beachten. Glücklicherweise sind direkte Interaktionen selten und betreffen zum Beispiel die Gabe von Pethidin bei Patienten, die mit Monoaminoxidasehemmern (MAO-Hemmer) behandelt werden.
  2. Gibt es pharmakodynamische Wirkungen, die die Ziele einer modernen Narkoseführung kompromittieren?
    Das Ziel der heutigen Narkoseführung ist die „Euhomöostase“. Darunter versteht man die Aufrechterhaltung aller Vital- und Laborparameter und auch physiologischer Parameter im Normbereich. Neuerdings wird darunter die 10-N-Regel (Normovolämie, Normotension, Normokapnie, Normoglykämie, Normofrequenz, Normoxämie, Normothermie, Normonatriämie, No fear, No pain) verstanden (5).

Antihypertonika und Antidiabetika

Als ein unabhängiger Prädiktor für eine perioperative Mortalität ist in verschiedenen Studien das Auftreten von arteriellen Hypotonien identifiziert worden. Galt vor wenigen Jahren noch die Regel, dass eine arterielle Hypotonie unter Narkose „normal“ sei, ist dies unter heutigen Erkenntnissen nicht mehr haltbar. Es konnte ein Zusammenhang zwischen kardialen Ereignissen und der Häufigkeit des Auftretens einer Niereninsuffizienz in Abhängigkeit eines mittleren arteriellen Blutdrucks von unter (MAP) < 55 mmHg und der Dauer der hypotonen Phase nachgewiesen werden (6;7). Aus diesen Erkenntnissen wird heute als ein wesentliches Ziel abgeleitet, Hypotonien während der Narkose zu verhindern. Begleitmedikationen, die eine arterielle Hypotonie unter Narkose begünstigen, müssen daher weggelassen werden. Dies trifft somit verallgemeinernd auf alle Medikamente zu, die den Blutdruck senken.

Ein weiteres praxisrelevantes Beispiel des Einflusses der Dauermedikation unter Narkose betrifft die Gabe von Antidiabetika. Das Ziel ist es, eine Normoglykämie während der Narkose aufrecht zu erhalten. Dabei soll sowohl eine Hypoglykämie als auch eine Hyperglykämie vermieden werden.

Besonderheiten der oralen Antidiabetika

Zur besseren Übersicht haben wir die Empfehlungen im Umgang mit präoperativ und präanästhesiologisch bestehenden Dauermedikamenten tabellarisch zusammengefasst (siehe Tabelle 1). Der Umgang mit präoperativ verordneten Dauermedikamenten und die Empfehlungen werden teilweise je nach Zugehörigkeit der Fachgesellschaften unterschiedlich bewertet (8-15).

Tabelle 1: Empfehlungen im Umgang mit präoperativ und präanästhesiologisch bestehenden Dauermedikamenten


Metformin

Antidiabetika sind die am dritthäufigsten verordneten Medikamente, darunter ist Metformin das am häufigsten verordnete orale Antidiabetikum in Deutschland (16). Somit ist Metformin ein orales Antidiabetikum, das viele Patienten mit Typ II Diabetes in der täglichen Medikation erhalten. Eine seltene aber potenziell tödliche Komplikation ist die Laktazidose im perioperativen Verlauf. Die Häufigkeit einer Laktazidose wird mit 3 : 100.000 Patientenjahren angegeben. Wenn sie auftritt, ist die Mortalität mit 39–50 %, hoch (17).

Nach heutiger Sichtweise ist die Hauptdeterminante einer Laktazidose im Zusammenhang mit Metformin nicht die Interaktion mit einer Allgemeinanästhesie, sondern die Kumulation bei einer höhergradigen Niereninsuffizienz mit Reduktion der glomerulären Filtrationsrate. Diese kann präoperativ bestehen, oder sich auch postoperativ entwickeln. Eine nicht angepasste Dosierung bei reduzierter glomerulärer Filtrationsrate ist daher der Hauptgrund für eine Laktazidose, weshalb Metformin pausiert werden sollte (17).

Sowohl nach Herstellerangaben als auch nach den Empfehlungen des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) muss die Metformingabe entsprechend 48 Stunden vor dem Eingriff pausiert werden (17).

SGLT-2-Inhibitoren

Die seit 2014 eingeführten SGLT-2-Inhibitoren hemmen die renale Glukosereabsorbtion. Der antihyperglykämische Effekt ist abhängig von der Ausscheidung der Nierenfunktion. Ab einer GFR von < 60 ml/min, ist der Einsatz der SGLT-2-Inhibitoren nicht mehr wirksam. Es sind Fälle von normoglykämischer Ketoazidose unter SGLT-2-Medikationen beschrieben (18). Vom Hersteller wurde auf die Notwendigkeit des Absetzens der SGLT-2-Inhibitoren bei akuten Erkrankungen und größeren chirurgischen Eingriffen hingewiesen (19;20). In den Fachinformationen findet sich keine Festlegung auf die präoperative Einnahmepause. Hier empfehlen wir aus Sicherheitsgründen ein 48-stündiges präoperatives Pausieren der Medikamenteneinnahme. Es sollte postoperativ erst bei normaler Nierenfunktion fortgeführt werden.

Ältere Patienten

Im älteren Patientenkollektiv geht die Gabe von Medikamenten mit einem höheren Risiko für das Auftreten eines Delirs einher. Hier sind vor allem Pethidin, Antihistaminika, Spasmolytika, trizyklische Antidepressiva und Atropin zu erwähnen (21).

Fazit für die Praxis

Arzneimittelinteraktionen treten mit der Anzahl der verordneten Medikamente häufiger auf. Die Gabe von durchschnittlich ca. zehn Medikamenten während eines stationären Aufenthalts ist nicht ungewöhnlich. Somit sind Kenntnisse der Wirkungen, Arzneimittelinteraktionen und Herstellerempfehlungen unverzichtbar, um schwerwiegende Nebenwirkungen zu verhindern. Zur besseren Übersicht haben wir die Empfehlungen im Umgang mit präoperativ und präanästhesiologisch bestehenden Dauermedikamenten tabellarisch zusammengefasst (siehe Tabelle 1). Für die Praxis hat sich im Rahmen von Anästhesien das in der Tabelle wiedergegebene Vorgehen bewährt.

Bei der Unterbrechung der Dauermedikation wird unterschieden, ob die Dauermedikation nur am OP-Morgen ausgesetzt oder über einen längeren Zeitraum präoperativ pausiert wird.

Literatur
  1. Schiff JH, Welker A, Fohr B et al.: Major incidents and complications in otherwise healthy patients undergoing elective procedures: results based on 1.37 million anaesthetic procedures. Br J Anaesth 2014; 113: 109-121.
  2. Gottschalk A, Van Aken H, Zenz M, Standl T: Is anesthesia dangerous? Dtsch Arztebl Int 2011; 108: 469-474.
  3. Vollmer MK, Rhee TS, Rigby M et al.: Modern inhalation anesthetics: Potent green house gases in the atmosphere. Geophys Res Lett 2015; 42: 1606-1611.
  4. Lotz C, Kehl F: Volatile anesthetic-induced cardiac protection: molecular mechanisms, clinical aspects, and interactions with nonvolatile agents. J Cardiothorac Vasc Anesth 2015; 29: 749-760.
  5. Sumpelmann R, Becke K, Brenner S et al.: Perioperative intravenous fluid therapy in children: guidelines from the Association of the Scientific Medical Societies in Germany. Paediatr Anaesth 2017; 27: 10-18.
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  7. Walsh M, Devereaux PJ, Garg AX et al.: Relationship between intraoperative mean arterial pressure and clinical outcomes after noncardiac surgery: toward an empirical definition of hypotension. Anesthesiology 2013; 119: 507-515.
  8. Zwissler B: Empfehlungen von DGAI, DGIM, DGCH: Präoperative Evaluation erwachsener Patienten vor elektiven, nichtkardiochirurgischen Eingriffen. Kardiologe 2011, 5: 13-26.
  9. Gallwitz B, Siegel EG: Positionspapier der Deutschen Diabetes Gesellschaft zur Therapie des Diabetes mellitus im Krankenhaus: www.deutsche-diabetes-gesellschaft.de/fileadmin/Redakteur/Leitlinien/Praxisempfehlungen/2017/ Positionspapier_der_DDG_zur_Therapie_des_DM_im_Krankenhaus_2._revidierte_Fassung_Dreyer_2017_SV_30052017.pdf (letzter Zugriff: 8. Oktober 2018). 2. revidierte Fassung; Berlin, Mai 2017.
  10. Bundesärztekammer (BÄK), Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV), Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF). Nationale VersorgungsLeitlinie Therapie des Typ-2-Diabetes – Langfassung: www.versorgungsleitlinien.de/themen/diabetes2/dm2_therapie (letzter Zugriff: 8. Oktober 2018). 1. Auflage, Version 4; Berlin, 2013; zuletzt geändert: November 2014.
  11. Milde AS, Motsch J: Medikamenteninteraktionen für den Anästhesisten; Anaesthesist 2003: 52; 839-859.
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  14. Boehringer Ingelheim Lilly: Gebrauchsinformation Empagliflozin (Jardiance®) 10 und 25 mg: Information für Patienten. Stand: 2017.
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  16. Boden L, Gromes A, Michels C, Reinert W, Verheesen M: Arzneimittelmarkt in Deutschland – Zahlen und Fakten: www.bah-bonn.de/bah/ (letzter Zugriff: 8. Oktober 2018). Bundesverband der Arzneimittel-Hersteller e.V.; Bonn, Berlin, April 2016.
  17. Arzneimittelkomission der deutschen Ärzteschaft. Aus der UAW-Datenbank: Zunahme von Spontanberichten über Metformin-assoziierte Laktazidosen. Dtsch Arztebl 2013; 110: A 464.
  18. AstraZeneca GmbH, Boehringer Ingelheim Pharma GmbH: Risiko einer diabetischen Ketoazidose während der Behandlung mit SGLT-2 Inhibitoren. Informationsbrief vom Juli 2015.
  19. AstraZeneca AB, Boehringer Ingelheim International GmbH, Janssen Cilag International NV: Aktualisierte Hinweise zum Risiko einer diabetischen Ketoazidose während der Behandlung mit SGLT-2 Inhibitoren. Informationsbrief vom 14. März 2016.
  20. European Medicines Agency (EMA): EMA confirms recommendations to minimise ketoacidosis risk with SGLT-2 inhibitors for diabetes: www.ema.europa.eu/documents/referral/sglt2-inhibitors-article-20-procedure-ema-confirms-recommendations-minimise-ketoacidosis-risk-sglt2_en.pdf (letzter Zugriff: 8. Oktober 2018). EMA/265224/2016; London, 28. April 2016.
  21. Holt S, Schmiedl S, Thürmann PA: Potenziell inadäquate Medikation für ältere Menschen: Die PRISCUS-Liste: Dtsch Arztblt 2010: 107: 543-551.

Interessenkonflikte

Ein Interessenkonflikt wird von den Autoren verneint.

Danksagung

Wir danken Herrn Dr. C. Degenhardt für die Durchsicht des Manuskripts und die wertvollen Kommentare.