S3-Leitlinie Neuroborreliose veröffentlicht

Arzneiverordnung in der Praxis

Ausgabe 1/2019

German S3 guideline for neurological manifestations of Lyme Disease published

Autor

Zusammenfassung

Im April 2018 wurde die S3-Leitlinie Neuroborreliose veröffentlicht. Es bestätigte sich die Therapiedauer von 14 Tagen bei früher und 14–21 Tagen bei später Neuroborreliose. Doxycyclin oral ist Mittel der Wahl, sodass auch bei Neuroborreliose keine i.v. Medikation und keine Kombinationsbehandlungen notwendig sind. Vermeintlich oder tatsächlich persistierende unspezifische bzw. untypische Symptome nach behandelter Neuroborreliose können auf unterschiedlichen Phänomenen beruhen und sollten nicht antibiotisch behandelt werden.

Abstract

In April 2018, the German S3 guideline for neurological manifestations of Lyme Disease was published. 14 days of therapy for early and 14–21 days for late neuroborreliosis was confirmed. Doxycycline is drug of choice, thus there is no indication for i.v. antibiotics or combination therapy. Persisting unspecific or atypical symptoms after neuroborreliosis can have several causes and should not be treated with further antibiotic regimens.

Unter Federführung der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN) wurde im April 2018 die S3-Leitlinie Neuroborreliose veröffentlicht (1). Die aus 25 Vertretern von Medizinischen Fachgesellschaften, des Robert Koch-Instituts, der Deutschen Borreliose Gesellschaft und Patientenorganisationen bestehende Leitliniengruppe hatte unter Moderation der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) über drei Jahre an der Leitlinie gearbeitet.

Wesentliche Aussagen der neuen Leitlinie sind:

  • Es gibt keine wissenschaftliche Grundlage, im Regelfall von der bislang empfohlenen Therapiedauer von 14 Tagen bei früher Neuroborreliose und 14–21 Tagen bei später Neuroborreliose abzuweichen.
  • Doxycyclin ist bei der frühen Neuroborreliose gegenüber Betalaktamantibiotika (Penicillin G, Ceftriaxon und Cefotaxim) im Hinblick auf die Rückbildung der neurologischen Symptomatik bei gleicher Verträglichkeit gleich gut wirksam.
  • Antibiotika-Kombinationsbehandlungen werden nicht empfohlen, da dazu keine validen auswertbaren Studiendaten vorliegen.
  • Vermeintlich oder tatsächlich persistierende unspezifische bzw. untypische Symptome nach Neuroborreliose beruhen zum erheblichen Teil auf Studienartefakten infolge unscharfer Falldefinitionen.

Diese Kernaussagen beruhen u. a. auf zwei systematischen Reviews, die ebenfalls im Rahmen der Leitlinienentwicklung entstanden sind (2;3).

Außerdem werden von den Autoren folgende Empfehlungen hervorgehoben:

  • Die serologische Diagnostik soll nur bei ausreichendem klinischem Verdacht angefordert werden. Die klinische Verdachtsdiagnose einer Neuroborreliose (Hirnnervenausfälle, Meningitis/Meningoradikulitis, Enzephalomyelitis) lässt sich durch den Nachweis entzündlicher Liquorveränderungen in Verbindung mit einer borrelienspezifischen intrathekalen Antikörpersynthese bestätigen.
  • Der Therapieerfolg soll anhand der klinischen Symptomatik beurteilt werden (und nicht etwa durch wiederholte serologische Untersuchungen).

Eine frühe Neuroborreliose tritt am häufigsten als Garin-Bujadoux-Bannwarth-Syndrom (Meningoradikuloneuritis) auf. Im Mittel 4–6 Wochen (maximal 1–18) nach dem Zeckenstich bzw. nach dem Erythema migrans können dann segmentale Schmerzen auftreten, die nachts verstärkt sind und deren Lokalisation wechseln kann. Anfangs sind die Schmerzen oft in der Extremität lokalisiert, in der vorher der Zeckenstich oder das Erythema migrans beobachtet wurde. Die Schmerzen werden als brennend, bohrend, beißend oder reißend beschrieben und sprechen nur gering auf herkömmliche Analgetika an. Ein Maximum wird oft innerhalb weniger Stunden oder Tage erreicht. Anschließend können sich neurologische Ausfälle ausbilden, Paresen häufiger als Sensibilitätsstörungen, insbesondere Ausfälle des N. facialis. Insbesondere bei Kindern sollte auch bei Auftreten einer Meningitis an eine Neuroborreliose gedacht werden. Für weitere Ausführungen wird auf die Leitlinie verwiesen (1).

Untypische und/oder persistierende Symptome

Vor zwei Jahren hatte eine niederländische Arbeitsgruppe in einer randomisierten klinischen Studie nochmals gezeigt, dass eine längerfristige Antibiotikatherapie bei Patienten mit persistierenden Symptomen, die einer Lyme-Borreliose zugeschrieben wurden, keine signifikante Verbesserung gegenüber Plazebo bringt (4).

Das Phänomen „Chronische Lyme-Borreliose“ wurde 2007 in einer viel beachteten Übersichtsarbeit von Feder et al. im New England Journal of Medicine ausführlich beschrieben (5). Auch zehn Jahre später werden allerdings immer noch unspezifische Symptome wie Fatigue, muskuloskelettale Schmerzen und subjektive neurokognitive Einschränkungen allzu häufig der Borreliose zugeschrieben (6). Wichtig ist in diesem Zusammenhang die Erkenntnis, dass mit zunehmendem Lebensalter Borrelien-Antikörper immer häufiger nachweisbar sind, bei gesunden Erwachsenen in der Größenordnung von 10–20 %, dies als Zeichen einer erfolgreichen Immunantwort nach Kontakt mit den Erregern bei Zeckenstichen (7).

In Anbetracht der nach wie vor verbreiteten „falschen und irreführenden Informationen“ zur Borreliose (8) sowie der Angebote von „unorthodoxen alternativen Therapien“ (u. a. Sauerstoffbehandlung, Bestrahlungsmethoden, Urintherapie, Einläufe, Nahrungsergänzungsmittel und sogar Stammzelltransplantation) zur Behandlung von Symptomen, die mit der Borreliose in Verbindung gebracht werden (9), sind randomisierte Studien, systematische Übersichtsarbeiten und klinische Leitlinien in diesem Kontext umso mehr zu begrüßen.

Zu den kutanen Manifestationen der Lyme-Borreliose wurde bereits vor zwei Jahren eine S2k-Leitlinie veröffentlicht (10). Beim typischen Erythema migrans (Entwicklung erst nach einigen Tagen, Durchmesser > 5 cm) ist keine Serologie notwendig, auch keine serologische Verlaufskontrolle. Die Serologie besteht aus einem zweistufigen Verfahren (ELISA-Test, nur bei positivem Resultat ein Western-Blot zum Nachweis spezifischer Banden). Therapie der Wahl ist Doxycyclin 200 mg täglich für 10–14 Tage, bei Kindern bis zum achten Lebensjahr wird Amoxicillin (50 mg/kg Körpergewicht) empfohlen, ebenso in Schwangerschaft und Stillzeit (3 x 500–1.000 mg). Die einzige Indikation, bei der länger als zwei Wochen therapiert werden sollte, ist die Lyme-Arthritis (dann für 28 Tage).

Die nächste Herausforderung für die Leitliniengruppe ist das zur Komplettierung des Krankheitsbildes Borreliose noch verbleibende Modul „Lyme-Arthritis, Lyme-Karditis und andere seltene Manifestationen“.

Fazit für die Praxis

Die verfügbaren AWMF-Leitlinien zur Lyme-Borreliose tragen zur evidenzbasierten Behandlung bei, insbesondere auch zur Vermeidung von unnötiger Diagnostik und Therapie.

Interessenkonflikte

Ein Interessenkonflikt wird vom Autor verneint.

Literatur
  1. Rauer S., Kastenbauer S. et al.: Neuroborreliose: www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/030-071.html (letzter Zugriff: 12. Juni 2018). In: Deutsche Gesellschaft für Neurologie (Hrsg.), Leitlinien für Diagnostik und Therapie in der Neurologie. Online: www.dgn.org/leitlinien. S3-Leitlinie, AWMF-Register Nr. 030/071; April 2018.
  2. Dersch R, Freitag MH, Schmidt S, et al. Efficacy and safety of pharmacological treatments for acute Lyme neuroborreliosis - a systematic review. Eur J Neurol 2015; 22: 1249-1259.
  3. Dersch R, Sommer H, Rauer S, Meerpohl JJ. Prevalence and spectrum of residual symptoms in Lyme neuroborreliosis after pharmacological treatment: a systematic review. J Neurol 2016; 263: 17-24.
  4. Berende A, ter Hofstede HJM, Vos FJ, et al. Randomized trial of longer-term therapy for symptoms attributed to Lyme disease. N Engl J Med 2016; 374: 1209-1220.
  5. Feder HM, Johnson BJB, O'Connell S, et al. The Ad Hoc International Lyme Disease Group. A Critical Appraisal of “Chronic Lyme Disease”. N Engl J Med 2007; 357: 1422-1430.
  6. Melia MT, Auwaerter PG. Time for a different approach to Lyme disease and long-term symptoms. New Engl J Med 2016; 374: 1277-1278.
  7. Wilking H, Fingerle V, Klier C, et al. Antibodies against Borrelia burgdorferi sensu lato among Adults, Germany, 2008-2011. Emerg Infect Dis 2015; 21: 107-110.
  8. Shapiro ED, Baker PJ, Wormser GP. False and misleading information about Lyme disease. Am J Med 2017; 130: 771-772.
  9. Lantos PM, Shapiro ED, Auwaerter PG, et al. Unorthodox alternative therapies marketed to treat Lyme disease. Clin Inf Dis 2015; 60: 1776-1782.
  10. Deutsche Gesellschaft für Dermatologie: Kutane Lyme-Borreliose: www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/013-044.html (letzter Zugriff: 12. Juni 2018). S2k-Leitlinie, AWMF-Register Nr. 013/044; März 2016.

vorab online

Dieser Artikel wurde am 12. September 2018 vorab online veröffentlicht.