Hyperkaliämie im Praxisalltag

Arzneiverordnung in der Praxis

Ausgabe 1/2019

Hyperkalemia in clinical practice

Autorin

Zusammenfassung

Der Artikel fasst Diagnostik und Therapie akuter und chronischer Hyperkaliämien zusammen und nimmt auch Stellung zu neuen Therapieoptionen.

Abstract

This article summarises diagnostics and therapy of acute and chronic hyperkalemia under consideration of new treatment options.

Die Hyperkaliämie ist mit einer Inzidenz von 2–3 % in der Normalbevölkerung eine der häufigsten Elektrolytstörungen im klinischen Alltag. Bei Patienten mit chronischer Nierenerkrankung liegt die Inzidenz sogar zwischen 40–50 % (1). Der niedergelassene Arzt spielt insbesondere beim Management der chronischen Hyperkaliämie von polymedizierten Patienten eine Schlüsselrolle. Die häufige Koinzidenz von chronischer Niereninsuffizienz, Herzinsuffizienz und Diabetes mellitus sowie ihrer Therapien begünstigen das Entstehen einer Hyperkaliämie. Es stellt sich die Frage: Eventuell wichtige Medikamente absetzen oder eine Arzneimittelnebenwirkung mit einem weiteren Medikament behandeln?

Meist ist eine Hyperkaliämie asymptomatisch. Gelegentlich finden sich unspezifische Symptome wie Übelkeit und Diarrhoe, Muskelschwäche bis hin zur Parese, Parästhesien und Palpitationen. Der Kaliumspiegel wird klassischerweise folgendermaßen eingeteilt: milde Hyperkaliämie 5,0–5,4 mmol/l, mittelschwere Hyperkaliämie 5,5–5,9mmol/l, schwere Hyperkaliämie 6,0–6,4 mmol/l und lebensbedrohliche Hyperkaliämie > 6,5 mmol/l (2).

Die weitaus häufigste Fehlmessung einer Hyperkaliämie resultiert aus zu langem venösen Stau bei der Blutentnahme zum Beispiel bei schwierigen Venenverhältnissen. Daher empfiehlt sich bei unerwarteter Hyperkaliämie eine Kontrollentnahme, um zu entscheiden, ob eine wirkliche Hyperkaliämie oder nur eine Pseudohyperkaliämie vorliegt. Einige Labore geben an, ob das zugesendete Material hämolytisch war, man sollte dies in jedem Fall nachkontrollieren, z. B. an einem Ionometer im Vollblut ohne vorherige Zentrifugation (3).

Tabelle 1: Ursachen der Hyperkaliämie (nach (4))


Oft entsteht eine Hyperkaliämie durch die Kombination eines klinischen Risikofaktors mit einem oder mehreren kaliumerhöhenden Medikamenten. Medikamente, die das Entstehen einer Hyperkaliämie begünstigen, sind in Tabelle 2 aufgeführt.

Tabelle 2: Medikamente mit potenziell kaliumerhöhender Wirkung (nach (2))


ACE-Hemmer sind beispielsweise für 10–38 % der Hyperkaliämien bei hospitalisierten Patienten (mit-)verantwortlich (5).

Akute Hyperkaliämie

Je nach Begleiterkrankungen, Schnelligkeit des Auftretens und Höhe ist das Serumkalium unterschiedlich relevant. EKG-Veränderungen sind sehr variabel und können sowohl bei geringer Hyperkaliämie schon auftreten, als auch bei schwerer Erhöhung ausbleiben (2). Typische EKG-Veränderungen sind eine zeltförmig erhöhte T-Welle, eine reduzierte Höhe der P-Welle, ein verlängertes P-R-Intervall sowie eine QRS-Verbreiterung (siehe Abbildung 1). Bei sehr schweren Fällen tritt ein „Sinusmuster“ auf. Aufgrund der schlechten Korrelation mit dem Kaliumspiegel eignen sich die Veränderungen jedoch nur sehr wenig zur Risikoeinschätzung. In einer prospektiven Studie fanden sich nur bei 46 % der Patienten mit Kaliumspiegel > 6 mmol/l typische EKG-Veränderungen (6). Sind diese EKG-Veränderungen aber zu sehen, ist dies immer ein Notfall. Außerdem können letale Arrhythmien auch ohne vorherige EKG-Veränderungen auftreten.

Hyperkaliämie EKG mit verbreitertem QRS-Komplex und spitzer T-Welle


Die Therapie einer akuten sowie auch schweren möglicherweise lebensbedrohlichen Hyperkaliämie erfordert die akute Einweisung in ein Krankenhaus mit Möglichkeit der Hämodialyse. Dort wird bereits in der Notaufnahme der Kaliumspiegel im Vollblut ohne Zentrifugation nachbestimmt, um sofortige Ergebnisse zu erhalten. Es sollte ein 12-Kanal-EKG sowie die Monitorüberwachung am 3-Kanal-EKG folgen (3). Danach muss die Therapie sofort beginnen.

Treten starke EKG-Veränderungen auf, kann Calciumgluconat i.v. zur Stabilisierung des kardialen Membranpotenzials appliziert werden. Es senkt nicht den Kaliumspiegel. Die Applikation sollte nur unter Monitorüberwachung auf Grund des proarrhythmogenen Potenzials erfolgen (2).

Die Applikation von Glukose und Insulin, wie auch vernebeltem Salbutamol, führt zu einem Kaliumeinstrom in die Zelle. Der Wirkeintritt von Insulin und Glukose zeigt sich etwas früher, hält jedoch kürzer an. Die Kombination beider Therapien ist effektiver als die Monotherapie und führt zu einer durchschnittlichen Senkung um 1,21 mmol/l (3;7). Im Anschluss sollte jedoch die Kaliumelimination aus dem Körper angeregt werden, um dauerhaft das Serumkalium zu senken. Dies ist beispielsweise über die Verstärkung der physiologischen renalen Kaliumausscheidung mittels nichtkaliumsparender Diuretika möglich. Thiazide sind effektiver in der Kaliumelimination (4), bei einer GFR < 30 ml/min/1,73m2 sollten jedoch Schleifendiuretika verwendet werden. Bei exsikkierten Patienten kombiniert man diese Maßnahme mit der Volumengabe, vorzugsweise 0,9 % NaCl. Im Schock ist diese Therapie nicht mehr wirksam, da der mittlere arterielle Perfusionsdruck der Niere reduziert ist und ein Katecholaminüberschuss herrscht.

Die Gabe von 8,4 % Bikarbonat ist allenfalls bei metabolischer Azidose indiziert, da die Studienlage bezüglich der kaliumsenkenden Wirkung sehr schwach ist (3;7). Eine Übersicht zur konservativen Therapie der Hyperkaliämie zeigt Tabelle 3.

Tabelle 3: Konservative Therapiemöglichkeiten der Hyperkaliämie


Bei vital gefährdeten Patienten, insbesondere bei Anurie oder schwerer Niereninsuffizienz, ist die notfallmäßige Hämodialyse Therapie der Wahl. Diese ist selbst noch unter Reanimation möglich. In diesem Fall empfiehlt sich nach Einleitung der Therapie eine intensivmedizinische Überwachung.

Chronische Hyperkaliämie

Das Ziel der Behandlung der chronischen Hyperkaliämie ist die Vermeidung kostenintensiver stationärer Aufnahmen und lebensbedrohlicher Komplikationen wie Arrhythmien oder Asystolie. Außerdem gilt es Rezidive von akuten Hyperkaliämien zu vermeiden. Bei einem sukzessiven langsamen Kaliumanstieg bis auf moderate Höhe ist selten eine akute Intervention nötig. Maßnahmen zur Senkung eines chronisch erhöhten Kaliumspiegels sollten jedoch eingeleitet werden, da der chronisch erhöhte Wert den Sicherheitsabstand zu sehr hohen Kaliumwerten vermindert.

Zu den Grundmaßnahmen in der ambulanten Versorgung gehört zunächst die Ernährungsschulung der Patienten bezüglich kaliumarmer Kost. Allgemein empfiehlt sich eine kaliumarme Kost mit einer Einfuhr < 40 mmol/l. Die Compliance wird deutlich erhöht, wenn der Patient über die möglicherweise lebensbedrohlichen Konsequenzen einer Hyperkaliämie aufgeklärt wird. Diese Maßnahme ist einfach und kosteneffektiv, nimmt jedoch viel Zeit in Anspruch. Trotzdem sollte dieser wichtige Schritt nicht übersprungen werden, da so eventuell Folgemedikationen zur Kaliumsenkung und ihre Nebenwirkungen reduziert werden können. Weiterhin ist die Überprüfung der Medikation entscheidend. Die Kombination mehrerer Medikamente, welche das Serumkalium erhöhen (siehe Tabelle 2), ist insbesondere bei Patienten mit chronischer Niereninsuffizienz kritisch zu betrachten. Es gilt den potenziellen Nutzen, zum Beispiel von Aldosteronantagonisten bei Herzinsuffizienz, gegen die Gefahr der potenziellen Nebenwirkung abzuwägen. Insbesondere das Ansetzen von Spironolacton ohne Nachkontrolle der Elektrolyte führt immer wieder zu bedrohlichen Kaliumerhöhungen. Bei einer GFR < 30 ml/min/1,73m2 und Neuansetzen eines AT1-Antagonisten, ACE-Hemmers oder Aldosteronantagonisten sollten regelmäßige Kaliumkontrollen, anfangs wöchentlich, erfolgen. Verantwortlich dafür ist in erster Linie der verordnende Arzt.

Gelegentlich werden auch Mineralokortikoide (z. B. Fludrocortison) zur Kaliumsenkung eingesetzt. Eine Wirkung konnte jedoch in Studien nicht nachgewiesen werden (7).

Sehr häufig gegeben werden orale Kaliumbinder wie Polystyrolsulfonate (CPS Pulver). Die Evidenz bezüglich der Wirksamkeit ist jedoch mangelhaft. In der Originalstudie aus dem Jahr 1961 wurden nur 32 Patienten eingeschlossen (8). Nach heutigen Zulassungsstandards wäre diese Studie aufgrund ihrer geringen Patientenzahl ungeeignet. Nach Einzeldosis zeigt sich in einem Cochrane-Review keine Senkung des Kaliums (9). Die kaliumsenkende Wirkung setzt erst nach 1–5 Tagen ein. Außerdem ist nicht nachgewiesen, ob die Kaliumsenkung tatsächlich durch das CPS Pulver oder die abführende Komedikation (früher meist Sorbitol) ausgelöst wird. Weiterhin muss die Arzneimittelsicherheit gewährleistet sein, die bei CPS Pulver als fragwürdig anzusehen ist. Zu den häufigsten unerwünschten Arzneimittelwirkungen gehören Obstipation, Hypomagnesiämie und Hyperkalzämie. Eine sehr seltene, jedoch schwerwiegende unerwünschte Arzneimittelwirkung (UAW) ist die Darmnekrose, welche mit einer erheblichen Mortalität verbunden ist. Zwischenzeitlich wurde die Theorie favorisiert, dass die Darmnekrose durch den Sorbitolzusatz ausgelöst wird. Deswegen sind andere abführende Mittel, wie zum Beispiel Lactulose, zu bevorzugen, obwohl diese Nebenwirkung auch ohne Sorbitol auftreten kann. Es besteht die Möglichkeit oral oder rektal zu applizieren. Ungeeignet ist die orale Gabe bei Patienten mit Erbrechen oder Erkrankungen des oberen Gastrointestinaltraktes.

Ein neu zugelassener oraler Kaliumbinder ist Patiromer (Veltassa®). Es ist ein nicht resorbierbares Polymer, welches im Darm Kalium im Austausch gegen Kalzium bindet. Die Wirkung beginnt nach ca. 7 Stunden und erreicht ihr Maximum nach 48 Stunden (10). In der OPAL-HK-Studie mit 237 Patienten mit chronischer Nierenkrankheit (CKD) III und IV, RAAS-Inhibitoren-Therapie und Hyperkaliämie zwischen 5,1–6,5 mmol/l konnte eine durchschnittliche Senkung des Serumkaliums um 1 mmol/l (95 % Konfidenzintervall [CI] 1,07 bis –0,95; p < 0,001) nachgewiesen werden (11). In der AMETHYST-DN-Studie wurden sowohl die optimale Dosis als auch die UAW über 52 Wochen untersucht. Es zeigten sich Hypomagnesiämien bei 8,6 %, Hypokaliämien (< 3,5 mmol/l) bei 5,6 % und Obstipation oder Diarrhoe bei 7–11 % (12). Außerdem besteht Interaktionspotenzial mit Ciprofloxacin, Levothyroxin, Metformin und Quinidin, welche mindestens drei Stunden vor oder nach Patiromer eingenommen werden sollten. Ebenfalls sollte ein vorsichtiger Umgang in Kombination mit Substanzen geringer therapeutischer Breite erfolgen, da zu den meisten keine Untersuchungen zu Interaktionen vorliegen. Nachteilig ist die relativ geringe Patientenzahl der Studien und die bisher fehlende klinische Langzeiterfahrung. Außerdem liegen keine Studien bezüglich klinischer Endpunkte vor, wie kardiovaskuläre Mortalität oder Hospitalisation. Man hofft, durch dieses Medikament mehr RAS-blockierende Subtanzen in hoher Dosierung und Aldosteronantagonisten in der Indikation Herzinsuffizienz einsetzen zu können, um dadurch die Prognose dieser Patienten zu verbessern. Gerade dieser Nachweis, also die Verbesserung harter klinischer Endpunkte, ist aber noch nicht erbracht. Wenn ein Medikament nur mit einem zweiten Medikament gegeben werden kann, um Nebenwirkungen zu mindern (Hyperkaliämie), braucht es dafür gewichtige Argumente, die über die Verbesserung von Laborparametern hinausgehen.

Ein weiteres neues Arzneimittel, das jedoch noch nicht in Deutschland zugelassen ist, ist Natrium-Zirkonium-Zyklosilikat (ZS-9). Es ist ebenfalls ein nicht resorbierbares Polymer, welches Kalium im Darm bindet. Durch Imitation der physiologischen Kaliumkanäle bindet es relativ selektiv Kalium (5). Gegenüber den anderen Kaliumbindern liegt der Vorteil im schnelleren Wirkeintritt sowie den geringen UAW, welche nach bisherigen Studien auf Placeboniveau liegen sollen. In einer doppelblinden placebokontrollierten Studie mit 753 Patienten zeigte sich eine dosisabhängige Kaliumreduktion um 0,7 mmol/l bei der Höchstdosis von 10 g (13).

Fazit für die Praxis

Der Nutzen kaliumsteigernder Medikamente und eventuelle Nebenwirkungen der kaliumsenkenden Folgemedikation sind im klinischen Alltag abzuwägen. Bei chronischen Hyperkaliämien ist als erstes die Schulung des Patienten über kaliumarme Diät durchzuführen. Bei akuten schweren Hyperkaliämien sollte die sofortige stationäre Einweisung erfolgen. Neue Kaliumsenker bieten weitere Behandlungsoptionen im Rahmen der akuten und chronischen Hyperkaliämie. Bisher fehlen jedoch Langzeiterfahrungen und Studien mit klinisch wichtigen Endpunkten, die zeigen, dass es Sinn macht, wegen Nebenwirkungen des einen Medikaments ein weiteres zu verabreichen.

Interessenkonflikte

Ein Interessenkonflikt wird von der Autorin verneint.

Literatur
  1. Kovesdy CP: Management of hyperkalaemia in chronic kidney disease. Nat Rev Nephrol 2014; 10: 653-662.
  2. Montford JR, Linas S: How dangerous is hyperkalemia? J Am Soc Nephrol 2017; 28: 3155-3165.
  3. Alfonzo A., Soar J, McTier R et al.: Clinical Practice Guidelines: Treatment Of Acute Hyperkalemia In Adults: renal.org/wp-content/uploads/2017/06/hyperkalaemia-guideline-1.pdf (letzter Zugriff: 11. Oktober 2018). UK Renal Association, März 2014.
  4. Palmer BF, Clegg DJ: Diagnosis and treatment of hyperkalemia. Cleve Clin J Med 2017; 84: 934-942.
  5. Sarwar, CMS., Papadimitriou L, Pitt B et al: Hyperkalemia in heart failure. J Am Coll Cardiol 2015; 68: 1575-1589.
  6. Acker CG, Johnson JP, Palevsky PM, Greenberg A: Hyperkalemia in hospitalized patients: Causes, adequacy of treatment, and results of an attempt to improve physician compliance with published therapy guidelines. Arch Intern Med. 1998; 158: 917-924.
  7. Elliott, MJ, Ronksley PE, Clase CM et al.: Management of patients with acute hyperkalemia. CMAJ 2010; 182: 1631-1635.
  8. Flinn RB, Merrill JP, Welzant WR: Treatment of the oliguric patient with a new sodium-exchange resin and sorbitol; a preliminary report. N Engl J Med. 1961; 264: 111-115.
  9. Mahoney BA, Smith WA, Lo DS et al.: Emergency interventions for hyperkalaemia. Cochrane Database Syst Rev 2005; Issue 2: Cd003235.
  10. European Medicines Agency (EMA), Committee for Medicinal Products for Human Use (CHMP): Assessment report Veltassa: www.ema.europa.eu/documents/assessment-report/veltassa-epar-public-assessment-report_en.pdf (letzter Zugriff: 11. Oktober 2018). EMA/CHMP/424270/2017; London, 18. Mai 2017.
  11. Weir MR, Bakris GL, Bushinsky DA et al., OPAL-HK Investigators: Patiromer in patients with kidney disease and hyperkalemia receiving RAAS inhibitors. N Engl J Med 2015; 372: 211-221.
  12. Bakris GL, Pitt B, Weir MR et al., AMETHYST- DN Investigators: Effect of patiromer on serum potassium level in patients with hyperkalemia and diabetic kidney disease: the AMETHYST-DN randomized clinical trial. JAMA 2015; 314: 151-161.
  13. Packham DK, Rasmussen HS, Lavin PT et al.: Sodium zirconium cyclosilicate in hyperkalemia. N Engl J Med 2015; 372: 222-231.

vorab online

Dieser Artikel wurde am 12. Oktober 2018 vorab online veröffentlicht.