Bedenkliche Stoffe und Rezepturen – Hinweise für die ärztliche Verschreibung

Arzneiverordnung in der Praxis

Ausgabe 2/2018

Questionable substances and formulations – information on medical prescribing

Autor

Zusammenfassung

Nach § 5 des Arzneimittelgesetzes (AMG) ist es verboten, bedenkliche Arzneimittel in den Verkehr zu bringen. Dies gilt auch für Rezepturarzneimittel, die auf ärztliche Verschreibung in der Apotheke individuell angefertigt werden. Als Hilfestellung für den verordnenden Arzt erklären wir, warum ein Stoff oder eine Rezeptur als bedenklich eingestuft werden und drucken die Liste der Stoffe und Rezepturen ab, die zur Anwendung beim Menschen von der Arzneimittelkommission der deutschen Apotheker (AMK) als bedenklich eingestuft wurden. Damit sind niedergelassene ärztliche Kollegen für die Verschreibung von individuellen Rezepturen und für mögliche Rückfragen aus den Apotheken bestens gewappnet.

Abstract

According to § 5 of the Medicines Act (Arzneimittelgesetz, AMG), it is forbidden to put questionable medicines into circulation. This also applies to magistral pharmaceutical preparations (individual medicinal formulations) that are mixed to order on a doctor's prescription in the pharmacy. We aim to assist prescribing physicians with information why a substance or a preparation is classified as questionable and provide the list of substances and preparations that were classified as questionable for human use by the Drug Commission of German Pharmacists (AMK). Therewith office-based medical colleagues are well prepared for the prescription of individual medicinal formulations and for professional consultations with pharmacists.

Rezepturarzneimittel

Rezepturarzneimittel ist ein Arzneimittel, das in der Apotheke im Einzelfall auf Grund einer Verschreibung von Personen, die zur Ausübung der Heilkunde, Zahnheilkunde oder Tierheilkunde berechtigt sind, im Einzelfall und nicht im Voraus hergestellt wird (1). Diese Arzneimittel sind auch heute noch unverzichtbar, um Versorgungslücken zu schließen und eine individuelle medikamentöse Behandlung sicherzustellen. Dazu gehören u. a. Parenteralinfusionslösungen (Ernährungslösungen, antibiotikahaltige und virustatikahaltige Infusionslösungen, Lösungen mit monoklonalen Antikörpern), Zytostatika-Zubereitungen, Lösungen, Salben, Cremes und Kapseln. Im Jahr 2016 wurden in Deutschland 11,6 Mio. Verordnungen für Rezepturarzneimittel zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung abgerechnet (2). Insbesondere im Bereich der Onkologie entfiel der weitaus überwiegende Teil der Verordnungen auf Rezepturarzneimittel in Form von parenteralen Infusionslösungen (2).

Unbedenklichkeit von Arzneimitteln

Die ordnungsgemäße Arzneimittelversorgung von Mensch und Tier und die Sicherheit im Verkehr mit Arzneimitteln werden durch die Vorschriften des Arzneimittelgesetzes (AMG) gewährleistet, welche die Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit der Arzneimittel sicherstellen sollen. Die Unbedenklichkeit von Arzneimitteln ist dann gegeben, wenn der Nutzen alle potenziellen Risiken überwiegt. Bedenkliche Arzneimittel dürfen nach dem AMG nicht in den Verkehr gebracht oder bei Menschen angewendet werden. Als bedenklich gelten nach § 5 Abs. 2 AMG solche Arzneimittel, bei denen nach dem jeweiligen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse der begründete Verdacht besteht, dass sie bei bestimmungsgemäßem Gebrauch schädliche Wirkungen haben, die über ein nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft vertretbares Maß hinausgehen (3).

Daran zeigt sich deutlich, dass Aussagen zur Unbedenklichkeit immer relative Bewertungen sind, die sich ändern können, genauso wie sich der jeweilige Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse ändert. Auch Arzneimittel, die Jahrzehnte lang verwendet wurden, können als bedenklich eingestuft werden, weil z. B. neue Erkenntnisse vorliegen, die das Risiko-Nutzen-Verhältnis verändern.

Bei der Zulassung von Fertigarzneimitteln beruht das Urteil über die Unbedenklichkeit auf der Vorlage wissenschaftlicher Unterlagen. Im Gegensatz dazu werden Stoffe bzw. Rezepturarzneimittel, auch wenn sie seit längerer Zeit verwendet worden sind, nicht regulär pharmakologisch-toxikologisch und klinisch geprüft. Die Frage nach der Bedenklichkeit stellt sich demnach vor allem dann, wenn individuelle Rezepturarzneimittel verordnet werden, da bedenkliche Fertigarzneimittel in der Regel nicht zugelassen werden oder vom Markt genommen werden, wenn neue gravierende Risiken bekannt werden.

Rezepturarzneimittel sind nach § 21 Abs. 2 Nr. 1 AMG nicht zulassungspflichtig, unterliegen aber vor Inverkehrbringen der Plausibilitätsprüfungspflicht durch den Apotheker. Es werden standardisierte, qualitätsgeprüfte Rezepturen (Magistralrezeptur) von Ad-hoc-Rezepturen (Individualrezeptur) unterschieden (4). Standardisierte Rezepturen sind solche für die standardisierte Herstellungsvorschriften bestehen in den Arzneibüchern (Europäisches Arzneibuch (Ph. Eur.), Deutsches Arzneibuch (DAB), Homöopathisches Arzneibuch (HAB)) sowie in anerkannten Quellen wie z. B. Deutscher Arzneimittel-Codex (DAC)/Neues Rezeptur-Formularium (NRF) und Standardzulassungen nach § 36 AMG. Für solche Rezepturarzneimittel sind die galenische Qualität, die Stabilität und auch die Unbedenklichkeit durch die standardisierten Vorschriften gewährleistet. Im Fall von Individualrezepturen, für die keine standardisierten Herstellungsvorschriften bestehen, trifft dies nicht automatisch zu, hier muss die pharmazeutische Qualität sowie die Unbedenklichkeit geprüft werden (5;6).

Das Pharmazeutische Laboratorium des DAC/NRF bietet online einen kostenfreien „Rezepturenfinder für Ärzte“ (mit DocCheck-Login) für die Suche nach einer geeigneten Rezepturformel, der eine gesicherte Basis für die ärztliche Verschreibung in vielen Indikationsgebieten ermöglicht (7).

Bedenkliche Rezepturarzneimittel

Apotheker sind nach § 5 Abs. 1 AMG verpflichtet, die Abgabe bedenklicher Rezepturarzneimittel abzulehnen (3). Nach § 17 Abs. 4 der Apothekenbetriebsordnung (ApBetrO) müssen sie aber ärztliche Verschreibungen in angemessener Zeit auszuführen („Kontrahierungszwang“) (1). Daraus kann sich in einzelnen Fällen eine Konfliktsituation ergeben, die eine einhergehende Evaluation des Risiko-Nutzen-Verhältnis erforderlich macht. Die Bedenklichkeit eines individualen Rezepturarzneimittels kann sich unmittelbar aus den pharmakologisch-toxikologischen Eigenschaften bestimmter Wirkstoffe oder Hilfsstoffe ergeben, sowie aus Interaktion von Bestandteilen oder bezüglich der beabsichtigten Dosis, Konzentration, Anwendungsart und Anwendungsdauer. Sie sollte bei Rezepturarzneimitteln daher immer im Einzelfall durch eine individuelle Nutzen-Risiko-Abwägung beurteilt werden, bei der individuelle Patientencharakteristika ebenso einbezogen werden wie Indikation, Applikationsart, Dosierung, Konzentration und weitere Medikation (6;8).

Die Arzneimittelkommission der Deutschen Apotheker (AMK) hat im Jahr 1996 erstmals eine Stellungnahme und eine Definition zu bedenklichen Arzneimitteln erarbeitet (9). Seit 2001 aktualisiert die AMK periodisch diese Liste bedenklicher Stoffe/Rezepturen, die allerdings aufgrund der fehlenden gesetzlichen Legitimation keine juristische Verbindlichkeit aufweist (8). Stoffe und pflanzliche Drogen werden in die Liste aufgenommen, beispielsweise wenn eine maßgebliche Zulassungsbehörde den Stoff oder die Zubereitung als bedenklich eingestuft hat, wenn die Zulassungen entsprechender Fertigarzneimittel widerrufen wurden oder ruhen oder wenn nach dem aktuellen Stand der Erkenntnisse die Anwendung auf Grund von Risiken bedenklich beziehungsweise nicht vertretbar ist (8).

Risiko-Nutzen-Abwägung

Bei Rezepturarzneimitteln haben Arzt und Apotheker ein gemeinsames Ziel: den Patienten individuell mit einem wirksamen und qualitativ hochwertigen Arzneimittel zu versorgen. Die Bewertung von Rezepturarzneimitteln setzt deshalb im Allgemeinen eine intensive und offene Diskussion zwischen Arzt und Apotheker voraus, damit eine gemeinsame zufriedenstellende Lösung gefunden werden kann. Anhand der vorliegenden Daten sollten gemeinsam der zu erwartende Nutzen und die möglichen Risiken für den individuellen Patienten bewertet sowie Therapiealternativen erwogen werden.

Wenn ein Stoff oder eine pflanzliche Droge nicht in der Liste aufgeführt ist, so kann daraus nicht generell geschlossen werden, dass sie unkritisch in Rezepturarzneimitteln verarbeitet werden dürfen. So sieht die ApBetrO (§ 7 Abs. 1b) seit 2012 vor, dass jede Rezeptur vor der Herstellung auf ihre Plausibilität geprüft – d. h. die Herstellung des Rezepturarzneimittels nach pharmazeutischen Gesichtspunkten beurteilt – und das Ergebnis dokumentiert werden muss, damit nicht vertretbare Risiken für den Patienten ausgeschlossen werden können. Die Plausibilitätsprüfung beinhaltet u. a. zwingend die Prüfung der Art, Menge und Kompatibilität der Ausgangsstoffe untereinander sowie deren gleichbleibende Qualität in dem fertig hergestellten Rezepturarzneimittel über dessen Haltbarkeitszeitraum (1).

Damit ein Rezepturarzneimittel hergestellt werden darf, ist die pharmazeutische Qualität der Ausgangstoffe und des Endprodukts sicherzustellen. Andernfalls darf das Arzneimittel nicht angefertigt und nicht abgegeben werden. In besonderen Fällen, wenn die ordnungsgemäße Qualität des Ausgangsstoffes entsprechend nicht nachgewiesen werden kann, müssen der Nutzen und die Risiken unter Berücksichtigung der pharmazeutischen Qualität und der vorgesehenen Indikation gegeneinander abgewogen werden. Bei einer negativen Nutzen-Risiko-Abwägung darf das Rezepturarzneimittel nicht hergestellt werden, weil es nach § 8 Abs. 1 AMG verboten ist, „Arzneimittel herzustellen oder in den Verkehr zu bringen, die durch Abweichung von den anerkannten pharmazeutischen Regeln in ihrer Qualität nicht unerheblich gemindert sind“ (3).

Abbildung 1: Praxisbeispiel: Amygdalin-Kapseln

Eine negative Nutzen-Risiko-Abwägung würde in der Regel in folgenden Fällen vorliegen:

  • Zum fraglichen Rezepturarzneimittel liegt eine veröffentlichte Stellungnahme einer Zulassungsbehörde vor, die es als bedenklich einstuft. Beispiel: Amygdalin wurde 2014 vom BfArM unter Berücksichtigung sämtlicher verfügbarer Daten als bedenklich eingestuft, da der mögliche Schaden einer Anwendung durch Amygdalin enthaltende, auch in ausreichender pharmazeutischer Qualität vorhandene Arzneimittelzubereitungen den (nicht vorhandenen) Nutzen bei Weitem überwiegt (10).
  • Die Zulassungen von Fertigarzneimitteln mit einem bestimmten Wirkstoff wurden widerrufen oder ruhen aufgrund ungeklärter Risiken, sodass sie nicht verkehrsfähig sind. Beispiel: Das Nutzen-Risiko-Verhältnis Bufexamac-haltiger Arzneimittel zur topischen Anwendung wurde 2009 vom BfArM im Rahmen des Stufenplans in den zugelassenen Indikationen als ungünstig bewertet. Als diese Bewertung durch den Ausschuss für Humanarzneimittel (CHMP) der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) bestätigt wurde, erfolgte der Widerruf der Zulassung in der EU (11).
  • Es liegen Vorbehalte vor aufgrund von Daten zu Risiken in der Literatur oder aufgrund unzureichender Daten bezüglich der Stoffe, der Stoffkombination, der Dosierung, der Konzentration, der vorgesehenen Indikation.

Nicht als bedenklich eingestuft, aber obsolet

Ein besonderer Fall stellen Rezepturarzneimittel dar, deren Bestandstoffe nicht als bedenklich von der AMK eingestuft wurden, aber als obsolet gelten. Ein Beispiel dafür ist Fabry-Spiritus (Zusammensetzung: Phenol, Salizylsäure, Resorcin, Isopropylalkohol). Für Resorcin wurde zwar eine negative Nutzen-Risiko-Beurteilung in der Aufbereitungsmonographie gemäß § 25 Abs. 7 AMG im Jahr 1994 abgegeben aufgrund nicht ausreichend belegter Wirksamkeit und des Risikos für Intoxikationen, Hautirritationen und -nekrosen sowie Augenreizungen mit bleibenden Hornhautschäden (5). Da die Bewertung aber etwas zurückhaltender als z. B. bei Phenol formuliert wurde und die Zulassungen von Fertigarzneimitteln, die Resorcin enthielten, zum damaligen Zeitpunkt nicht vom BfArM widerrufen wurden, wurde Resorcin nicht in die Liste der bedenklichen Stoffe und Rezepturen von der AMK aufgenommen (12). Solche Stoffe dürfen aber nicht mehr ohne Weiteres in Rezepturarzneimittel verarbeitet werden. Aufgrund des Nebenwirkungsprofils gilt Resorcin heute als obsolet (13). Daher sollten risikoärmere Alternativen in Betracht gezogen werden. In Rezepturarzneimitteln wurde Resorcin als keratolytischer und antiseptischer Wirkstoff eigesetzt. Zu diesen Zwecken sollten jedoch Alternativen wie Triclosan, Chlorhexidindigluconat oder Salicylsäure erwogen werden, zu denen standardisierte Rezepturen bestehen.

Tabelle 1: Stoffe/Rezepturen, die zur Anwendung beim Menschen von der Arzneimittelkommission der Deutschen Apotheker (AMK) als bedenklich eingestuft werden (Stand: Mai 2015).

Fazit für die Praxis

Rezepturarzneimittel stellen ein wichtiges Mittel zur individuellen Gestaltung der Pharmakotherapie dar und ergänzen die Therapiepalette der Ärzte. Für bestimmte Stoffe bzw. Rezepturen besteht eine negative Nutzen-Risiko-Abwägung, sodass diese als bedenklich einzustufen sind. Bedenkliche Rezepturarzneimittel dürfen nicht hergestellt und in den Verkehr gebracht werden. Zur Sicherstellung der rationalen Therapie und der Arzneimitteltherapiesicherheit sowie der Patientenversorgung empfiehlt sich bei bedenklichen oder nicht plausiblen Rezepturverordnungen die fachliche Rücksprache zwischen Arzt und Apotheker.

Interessenkonflikte

Ein Interessenkonflikt wird von der Autorin verneint.

Literatur
  1. https://www.gesetze-im-internet.de/apobetro_1987/
  2. Schwabe U, Ludwig W-D: Arzneiverordnungen 2016 im Überblick. In: Schwabe U, Paffrath D, Ludwig W-D, Klauber J (Hrsg.). Arzneiverordnungs-Report 2017. Berlin: Springer-Verlag GmbH, 2017; 3-32.
  3. https://www.gesetze-im-internet.de/amg_1976/
  4. Wohlrab J: Topika und deren Einsatz in der Dermatologie. JDDG: Journal der Deutschen Dermatologischen Gesellschaft 2016: 1061-1071.
  5. Gloor M: Behandlung mit Spezialitäten und Magistralrezepturen. In: Gloor M, Thoma K, Fluhr J (Hrsg.). Dermatologische Externatherapie: Unter besonderer Berücksichtigung der Magistralrezeptur 1. Aufl.; Berlin, Heidelberg: Springer-Verlag, 2000; 1-25.
  6. GD – Gesellschaft für Dermopharmazie e.V.: Leitlinie „Dermatologische Rezepturen“:http://www.gd-online.de/german/fgruppen/magistral/leitlinienmagistral.htm
  7. https://dacnrf.pharmazeutische-zeitung.de/index.php?id=5
  8. Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände e. V. (ABDA): Informationen der Institutionen und Behörden: Bedenkliche Rezepturarzneimittel Stand Mai 2015:https://www.abda.de/amk-nachricht/2015-informationen-der-institutionen-und-behoerden-bedenkliche-rezepturarzneimittel-stand-mai-2015/
  9. Morck H: Bedenkliche Arzneimittel. Pharm Ztg 1998: 17-18.
  10. Lilienthal N: Amygdalin – fehlende Wirksamkeit und schädliche Nebenwirkungen. Bulletin zur Arzneimittelsicherheit 2014; 5: 7-13.
  11. Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM): Bufexamac-haltige Arzneimittel zur topischen Anwendung: Widerruf der Zulassungen in der EU wegen ungünstigen Nutzen-Risiko-Verhältnisses:https://www.bfarm.de/SharedDocs/Risikoinformationen/Pharmakovigilanz/DE/RI/2010/RI-bufexamac.html
  12. Arzneimittelkommission der deutschen Apotheker (AMK): Bedenkliche Rezepturen: Versuch einer Klarstellung. Pharm Ztg 1997; 142: 8.
  13. Fluhr JW, Gloor M: Alternativvorschläge für die obsoleten Rezepturen Solutio Castellani und Fabry Spiritus. Akt Dermatol 1997: 252-256.

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Dieser Artikel wurde am 13. März 2018 vorab online veröffentlicht.