Hyaluronsäure in der Behandlung der schmerzhaften Arthrose der Extremitätengelenke

Arzneiverordnung in der Praxis

Ausgabe 4/2017

Autor

Zusammenfassung

Intraartikulär applizierte Hyaluronsäurepräparate zur Behandlung schmerzhafter Arthrosen der Extremitäten können zu lokalen Unverträglichkeitsreaktionen führen. Die zu erwartenden Effekte beruhen erheblich auf Plazebowirkungen.

Abstract

Intraarticularly applied hyaluronic acid to treat painful osteoarthritis of the extremities can lead to local irritation. The effects of the treatment are reliant on a placebo effect.

Einleitung

Gemäß Fachinformationen sind Hyaluronsäurepräparate angezeigt bei Schmerzen und eingeschränkter Mobilität aufgrund von degenerativen und traumatischen Knorpelschäden in Synovialgelenken, beispielsweise im Kniegelenk, und werden gerne im ambulant-fachärztlichen Arthrosemanagement eingesetzt. Der Arthroseschmerz soll durch Injektion von Hyaluronsäure gelindert und der Stoffwechsel des Gelenkknorpels verbessert werden. Die Wirksubstanz wurde ursprünglich aus Hahnenkämmen gewonnen, heute stehen zudem gentechnisch erzeugte Präparate zur Verfügung. Hyaluronsäure wird intraartikulär injiziert.

Alle intraartikulären Injektionen sind risikogeneigt, einerseits durch das der Intervention innenwohnende Infektionsrisiko, andererseits durch das unerwünschte substanzeigene Nebenwirkungspotenzial.

Kasuistik

Gemeldet wurde der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ) eine unerwünschte Arzneimittelwirkung nach Behandlung einer 64-jährigen Frau. Wegen Knieschmerzen bei Arthrose hatte sie eine intraartikuläre Injektion mit Hyaluronsäure (Hyaluron Hexal®) in beide Knie am 07.02.2017 und 08.02.2017 erhalten. Am nächsten Tag war es zu einer scharf umgrenzten Rötung und Blasenbildung mit Juckreiz im vorderen Knieanteil beidseits, rechts stärker als links, gekommen. Eine allergische Diathese der Patientin war nicht bekannt.

Wahrscheinlich handelte es sich um eine allergische Reaktion der Patientin auf die injizierte Substanz. Nicht ausgeschlossen ist allerdings auch eine kontaktallergische Reaktion auf das alkoholische Desinfektionsmittel.

Diskussion

Während früher Hyaluronsäurepräparate ausschließlich auf der Grundlage von Hühnereiweiß aus Hahnenkämmen hergestellt wurden, werden sie heute auch gentechnisch produziert. Dadurch wurde das Allergiepotenzial deutlich gesenkt. Die Mehrzahl der in Deutschland angebotenen Hyaluronsäurepräparate stammt jedoch weiterhin aus dem natürlichen Mucopolysaccharid aus Hahnenkämmen. Auch das hier injizierte Präparat wurde durch bakterielle Fermentation (Streptokokkus pyogenes) aus Hahnenkämmen extrahiert.

Eine Recherche in der öffentlich recherchierbaren Datenbank des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) ergab, dass für Präparate mit Hyaluronsäure zur intraartikulären Injektion 84 Meldungen mit insgesamt 110 unerwünschten Arzneimittelwirkungen (UAW) eingingen, von denen die Mehrzahl auf allergische Reaktionen hinwiesen.

Die meisten UAW-Meldungen zu Hyaluronsäure entfallen auf jene Produkte, die aus tierischem Eiweiß hergestellt werden. Diese UAW ist in der Produktinformation des Herstellers angegeben. Weiterhin wird auf die Möglichkeit neuer oder verstärkter Gelenkschwellung nach Injektion, örtlicher und allgemeiner Überempfindlichkeitsreaktionen (mit Fieber, Schüttelfrost, Angst, Ödemen, Hautreaktionen, Atemnot, Herzjagen und Blutdruckabfall und in Einzelfällen auch anaphylaktischen Reaktionen) hingewiesen.

Die meisten UAW treten bereits bei der ersten Injektion auf – so auch im hier vorgestellten Fall. Die meisten UAW bedürfen keiner weiteren Maßnahme und klingen von selbst ab. Eine Zunahme von UAW mit der Anzahl der Wiederholungen wird in Studien nicht berichtet (1).

Hyaluronsäurepräparate werden in der Regel vom behandelnden Arzt direkt beim Anbieter bezogen und mit dem Patienten abgerechnet. Es ist davon auszugehen, dass es sich um eine beliebte IGEL-Leistung handelt. Es kann daher nicht abgeleitet werden, wie oft in der täglichen Praxis solche Behandlungen der Arthrose durchgeführt werden.

Vor dem Hintergrund der UAW ist die Frage der Evidenz der unterstellten Wirkungen von Hyaluronsäure auch im Vergleich zu anderen Maßnahmen bei arthrosebedingtem Gelenkschmerz von Bedeutung.

Die kurzfristigen Effekte (bis zu einem Monat) von Hyaluronsäurepräparaten sind schlechter als jene von intraartikulär gespritztem Kortison, bis zu sechs Monate nach Therapie sind sie überlegen; allerdings verursacht intraartikulär gegebene Hyaluronsäure mehr lokale UAW als intraartikulär gespritztes Kortison (2).

Bei mäßiger Studienlage entspricht die Wirkung der intraartikulären Hyaluronsäure-Applikation der oralen Gabe von nichtsteroiden Antirheumatika (NSAR) (3). Allerdings ist von erheblichen Plazeboeffekten der intraartikulären Medikamentengabe auszugehen, wenn sie mit oral applizierten Substanzen verglichen wird (4).

Diese Ergebnisse ergeben sich aus Studien an Patienten mit schmerzhafter Kniearthrose. Bei Behandlungen anderer Extremitätengelenke wie z. B. der oberen Sprunggelenke ergeben sich keine wesentlich anderen Erkenntnisse (5).

Aufgrund des relativ schnellen Abbaus der Hyaluronsäure im Gelenk können positive Effekte nicht allein auf die Substanz zurückgeführt werden. Offensichtlich bewirkt deren Zufuhr eine Stimulation der endogenen Hyaluronsäureproduktion. Der Effekt dieser „Viscosupplementierung“ sollte jedoch nicht überschätzt werden. Der Reibungskoeffizient gesunden Knorpels unterscheidet sich nämlich nicht wesentlich von dem geschädigter Gelenke. Auch nimmt der Gehalt von Lubricin im Rahmen der Degeneration viel stärker ab als der von Hyaluronsäure. Kompensatorisch nehmen die Phospholipide im Rahmen von Reparaturprozessen zu. Der Synergismus dieser drei Baustoffe beeinflusst offensichtlich die sogenannte Schmierung des Gelenks am wesentlichsten. Lubricin verhindert zudem frühe Zerstörungen der superfiziellen Zone im Bereich der subchondralen Grenzschicht des gelenknahen Knochens, deren Bedeutung für die Druckverteilung auf Knorpel und Gelenk ganz wesentlich ist. Lubricin/Proteoglykan 4 bindet an Toll-like-Rezeptoren und beeinflusst hierüber einen hyaluronsaäureunabhängigen bedeutsamen inflammatorischen und chondrokatabolen Signalweg. Dieser Wirkstoff gilt als aussichtsreicher Kandidat für eine zukünftige intraartikuläre Arthrosetherapie.

Die Effekte von intraartikulärer Gabe von Hyaluronsäure sind mittelfristig jenen von Kortisonspritzen und oraler Einnahme von NSAR-Präparaten überlegen. Die Effekte von wiederholten Kortisonspritzen wiederum wurden kürzlich in einer plazebokontrollierten Studie infrage gestellt und auf den gleichzeitig beschleunigten Verlust von Knorpeldicke hingewiesen (6). Die Wirkungen von Hyaluronsäurepäparaten sind erheblich durch Plazeboeffekte zu erklären. Die unerwünschten Nebenwirkungen sind vorwiegend lokaler Natur auf dem Boden von Unverträglichkeiten. Daneben trägt jede intraartikuläre Injektion das Risiko einer Gelenkinfektion auch bei Befolgung von Hygienerichtlinien. Weiterhin stehen intraartikuläre Hyaluronsäureapplikationen in Konkurrenz zu anderen, weniger invasiven Knieschmerztherapien wie Akupunktur.

Fazit für die Praxis

Weil NSAR erhebliche gastrointestinale, kardiale und renale Risiken bergen, können für ältere und multimorbide Patienten mit schmerzhaften Arthrosen der Extremitätengelenke Behandlungen mit intraartikulärer Hyaluronsäure erwogen werden. Therapeutisch sollten die Plazeboeffekte für weiterführende nichtmedikamentöse Maßnahmen genutzt werden. Dabei soll beispielsweise bedacht werden, dass die Kraft der Kniestrecker Knieschmerzen bei Arthrose besser vorhersagen können als das Ausmaß an Gelenkspaltverschmälerung: Kräftige Muskeln können Gelenkverschleiß gut kompensieren (7). Auch jeder Gewichtsverlust wirkt sich günstig auf den Gelenkzustand aus (8-10).

Interessenkonflikte

M. Schiltenwolf hat in den Jahren 2012–2015 persönliche Honorare für Beratertätigkeiten von der AOK Baden-Württemberg und der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung und für produktunabhängige Vorträge von Pfizer und MSD erhalten. Für die Durchführung von klinischen Auftragsstudien oder anderen Forschungsvorhaben erhielt die Klinik Zuwendungen auf ein Drittmittelkonto von Philips, vom Bundesinstitut für Sportwissenschaft und von der Stiftung Psychosomatik der Rückenschmerzen.

Literatur
  1. Bannuru RR, Brodie CR, Sullivan MC, McAlindon TE: Safety of repeated injections of sodium hyaluronate (SUPARTZ) for knee osteoarthritis: a systematic review and meta-analysis. Cartilage 2016; 7: 322-332.
  2. He WW, Kuang MJ, Zhao J et al.: Efficacy and safety of intraarticular hyaluronic acid and corticosteroid for knee osteoarthritis: a meta-analysis. Int J Surg 2017; 39: 95-103.
  3. Bannuru RR, Schmid CH, Kent DM et al.: Comparative effectiveness of pharmacologic interventions for knee osteoarthritis: a systematic review and network meta-analysis. Ann Intern Med 2015; 162: 46-54.
  4. Bannuru RR, McAlindon TE, Sullivan MC et al.: Effectiveness and implications of alternative placebo treatments: a systematic review and network meta-analysis of osteoarthritis trials. Ann Intern Med 2015; 163: 365-372.
  5. Witteveen AG, Hofstad CJ, Kerkhoffs GM: Hyaluronic acid and other conservative treatment options for osteoarthritis of the ankle. Cochrane Database Syst Rev 2015: CD010643.
  6. McAlindon TE, LaValley MP, Harvey WF et al.: Effect of intra-articular triamcinolone vs saline on knee cartilage volume and pain in patients with knee osteoarthritis: a randomized clinical trial. JAMA 2017; 317: 1967-1975.
  7. Muraki S, Akune T, Teraguchi M et al.: Quadriceps muscle strength, radiographic knee osteoarthritis and knee pain: the ROAD study. BMC Musculoskelet Disord 2015; 16: 305.
  8. Riddle DL, Stratford PW: Body weight changes and corresponding changes in pain and function in persons with symptomatic knee osteoarthritis: a cohort study. Arthritis Care Res (Hoboken) 2013; 65: 15-22.
  9. Radiological Society of North America: MRI reveals weight loss protects knees:www.sciencedaily.com/releases/2015/11/151130083959.htm
  10. SK, Wluka AE, Davies-Tuck M et al.: Association of weight gain with incident knee pain, stiffness, and functional difficulties: a longitudinal study. Arthritis Care Res (Hoboken) 2013; 65: 34-43.