Laktat- und Ketoazidose unter Therapie mit Metformin und Dapagliflozin

Arzneiverordnung in der Praxis

Ausgabe 4/2017

Autoren

Zusammenfassung

Fallbericht über eine 65-jährige Patientin mit Diabetes mellitus Typ 2, die unter einer kombinierten Behandlung mit Metformin und Dapagliflozin eine Laktat- und Ketoazidose erlitt und verstarb.

Abstract

Case report of a 65 year old female patient with diabetes mellitus type 2 who suffered fatal lactic acidosis under therapy with metformin and dapagliflozin.

Metformin ist zugelassen zur Behandlung des Diabetes mellitus Typ 2, insbesondere bei übergewichtigen Patienten, bei denen allein durch Diät und körperliche Betätigung keine ausreichende Einstellung des Blutzuckerspiegels erreicht wurde. Es kann bei Erwachsenen in Monotherapie oder in Kombination mit anderen Antidiabetika (einschließlich Insulin) angewendet werden. Bei Kindern ab 10 Jahren und Jugendlichen kann Metformin als Monotherapie oder in Kombination mit Insulin angewendet werden (1). Metformin gilt als Mittel der ersten Wahl zur Behandlung des Diabetes mellitus Typ 2 (2). Es wirkt blutzuckersenkend über eine Verbesserung der peripheren Glukoseutilisation sowie eine Senkung der hepatischen Glukoneogenese und Glykogenolyse. Ferner verzögert es die intestinale Glukoseresorption (1).

Dapagliflozin ist ein selektiver und reversibler Inhibitor des Natrium-Glukose-Cotransporters SGLT-2 in der Niere. Es entfaltet seine blutzuckersenkende Wirkung über eine Blockade der Glukose-Rückresorption in der Niere. Durch diesen Mechanismus kommt es zu einer vermehrten Ausscheidung von Glukose mit dem Urin. Folge kann neben Glukosurie auch Polyurie sein, die zur Hämokonzentration mit Anstieg des Hämatokrits um im Mittel 2,3 % führt (3;4). Dapagliflozin als Monopräparat ist in Deutschland seit 2012 und in fixer Kombination mit Metformin seit 2014 verfügbar. Es ist zugelassen zur Behandlung Erwachsener mit Diabetes mellitus Typ 2, wenn Diät und Bewegung allein den Blutzucker nicht ausreichend kontrollieren. Es kann angewendet werden in Monotherapie bei Unverträglichkeit von Metformin sowie in Kombination mit anderen blutzuckersenkenden Arzneimitteln (einschließlich Insulin), wenn diese Arzneimittel den Blutzucker nicht ausreichend kontrollieren (3;4).

Der AkdÄ wurde der Fall einer 65-jährigen Patientin mit Diabetes mellitus Typ 2 berichtet, die unter einer kombinierten Behandlung mit Metformin und Dapagliflozin eine Laktat- und Ketoazidose erlitt. Die Patientin wurde mit Insulin (Insulin glargin 26 IE s.c. pro Tag, Insulin lispro nach Blutzucker) sowie seit fünf Monaten mit Metformin 2000 mg/d und seit gut zwei Monaten mit Dapagliflozin 10 mg/d behandelt. Seit Einnahme von Dapagliflozin habe sie häufig Wasser lassen müssen. An weiteren Vorerkrankungen bestanden eine arterielle Hypertonie und eine Hyperlipidämie. Das Serum-Kreatinin acht Monate vor Aufnahme betrug 0,88 mg/dl, entsprechend einer eGFR von 65 ml/min/1,73 m2 (MDRD-Formel). Angaben zu einer Proteinurie/Albuminurie liegen nicht vor. Als Komedikation nahm sie Candesartan, Bisoprolol und Amlodipin ein.

Die Patientin wurde in somnolentem Zustand in die Notaufnahme gebracht, nachdem sie bereits seit dem Vortag unter abdominellen Beschwerden und Übelkeit gelitten hatte. Bei Aufnahme war die Patientin exsikkiert und es bestand eine Kussmaul-Atmung. Die Harnprodukion in den ersten zwölf Stunden nach Aufnahme schwankte zwischen 100 und 300 ml/h. Im Labor bestand eine ausgeprägte Azidose (pH 6,78) mit einer Blutlaktatkonzentration von 6,4 mmol/l (im Verlauf maximal 9,4; Referenzbereich: 0,5–2,2). Der Blutzucker betrug 406 mg/dl, das Serumkreatinin 1,67 mg/dl. Im Urin waren Glukose und Ketonkörper nachweisbar. Ferner bestand bei Aufnahme eine Leukozytose (21,1 Tsd/µl). Es ist anzunehmen, dass es bei somnolenter Bewusstseinslage bereits vor der stationären Aufnahme zu einer verminderten Flüssigkeitsaufnahme und bei Glukosurie und Polyurie zu einem prärenalen akuten Nierenversagen gekommen war. Hinweise auf kardiogenen Schock, Darmischämie, Sepsis, Hypoxämie und Leberversagen als Ursache der Azidose gab es nicht. Es wurde die Diagnose einer Metformin-induzierten Laktatazidose gestellt und die Patientin auf die Intensivstation aufgenommen. Ein Metforminspiegel wurde nicht bestimmt.

Therapeutisch wurde Volumen substituiert, Katecholamine sowie Bicarbonat und im Verlauf Trometamol verabreicht. Es erfolgten Dialyse sowie später eine kontinuierliche Hämofiltration. Bei respiratorischer Erschöpfung musste die Patientin schließlich intubiert werden. Trotz der intensivmedizinischen Bemühungen gelang keine anhaltende Stabilisierung des Zustands der Patientin. Sie verstarb etwa 44 Stunden nach Aufnahme.

Laktatazidose wird als sehr seltene Nebenwirkung in der Fachinformation von Metformin genannt (1). Ein Risikofaktor ist eine akute Verschlechterung der Nierenfunktion (1;5;6). Im Rahmen eines akuten Nierenversagens kann eine Metformin-assoziierte Laktatazidose auch bei normaler therapeutischer Dosierung (unterhalb der maximal empfohlenen Tagesdosis), Jahre nach Beginn der Behandlung und bei Patienten ohne vorbestehende Kontraindikationen auftreten. Häufig bestehen in den Tagen vor stationärer Aufnahme Prodromalsymptome, typischerweise gastrointestinale Beschwerden (5). Der Mechanismus der Metformin-assoziierten Laktatazidose ist nur teilweise geklärt. Nach Cohen und Woods (7) werden Laktatazidosen differenziert in den Typ A und den Typ B, wobei die Laktatazidose vom Typ A Folge einer Gewebshypoxie ist, z. B. beim Schock, bei respiratorischer Insuffizienz oder bei einer mesenterialen Ischämie. Beim Typ B kommt es bei ausreichendem Sauerstoffangebot zur Laktatazidose als Folge einer Überproduktion und/oder eines gestörten Abbaus von Laktat. So können Arzneimittel, die die oxidative Phosphorylierung vermindern, eine Laktatazidose induzieren (6). Es gibt Hinweise, dass eine Kumulation von Metformin durch Hemmung der mitochondrialen Atmungskette zur Entstehung einer Laktatazidose vom Typ B führt (5;8). In der Literatur wird die Metformin-induzierte Laktatazidose intensiv und kontrovers diskutiert (9-12). Die Untersuchung der Inzidenz unterliegt dabei verschiedenen methodischen Problemen, was die widersprüchliche Datenlage erklären könnte. So liegt z. B. häufig kein Metforminspiegel vor, der jedoch für die definitionsgemäße Diagnose der Metformin-assoziierten Laktatazidose zu fordern ist (11). Bei Auftreten einer Laktatazidose im Zusammenhang mit Metformin sollte daher der Metforminspiegel bestimmt werden. Zwar sind die Ergebnisse in der Regel erst nach Tagen verfügbar und somit nicht für die Akutbehandlung hilfreich. Sie sind aber im Hinblick auf die Beurteilung der Pathogenese und der Ursache der Laktatazidose wichtig. Auch im vorliegenden Fall ist nicht sicher zu beurteilen, welche Bedeutung Metformin für die Entstehung der Laktatazidose hatte, weil zum Zeitpunkt der Laktatazidose die Metforminkonzentration nicht bestimmt wurde.

Für Dapagliflozin (Monotherapie) finden sich weder in der Fachinformation (3) noch in der Literatur Hinweise auf das Risiko einer Laktatazidose. Beschrieben wurden allerdings inzwischen einige Fälle von Ketoazidose bei normoglykämischen oder nur leicht erhöhten Blutzuckerwerten im Zusammenhang mit SGLT-2-Inhibitoren, insbesondere in den ersten beiden Behandlungsmonaten, aber auch später (13-19). In der Fachinformation wird diabetische Ketoazidose als seltene Nebenwirkung (≥ 1/10.000 bis < 1/1.000) von Dapagliflozin genannt (3;4). Bei Symptomen einer Ketoazidose (z. B. Übelkeit, Erbrechen, Appetitlosigkeit, Bauchschmerzen, starker Durst, Atembeschwerden, Verwirrtheit, ungewöhnliche Müdigkeit, Schläfrigkeit) soll die Behandlung unterbrochen werden und eine Diagnostik erfolgen (14). In der Fachinformation des Kombinationspräparates mit Metformin wird auf Laktatazidose als Nebenwirkung von Metformin und das Risiko des Volumenmangels durch Dapagliflozin hingewiesen (4).

In der Datenbank des deutschen Spontanmeldesystems finden sich über 2200 Fallmeldungen zu Metformin. Am häufigsten wurde Laktatazidose gemeldet, gefolgt von Hypoglykämie, Diarrhoe und Übelkeit. Auf Laktatazidose und verwandte Krankheitsbilder (Recherche nach Laktatazidose als Standardized MedDRA Query, SMQ) beziehen sich etwa 390 Berichte. Zu Dapagliflozin liegen etwa 320 Fallberichte vor. Am häufigsten wurden Ketoazidose, Harnwegsinfektion und Balanoposthitis berichtet. Über Laktatazidose und verwandte Krankheitsbilder (SMQ) wurde in 20 Fällen berichtet (20).

Im vorliegenden Fall bestanden bei Aufnahme keine Hinweise auf eine systemische oder lokale Hypoxie. Eine Laktatazidose vom Typ A ist somit unwahrscheinlich. Da kein Spiegel bestimmt wurde, kann ein Thiaminmangel als Ursache für eine Laktatazidose vom Typ B nicht ausgeschlossen werden. Ein solcher erscheint jedoch wenig wahrscheinlich angesichts der vorliegenden anamnestischen Angaben (keine Fehlernährung, kein Hinweis auf erhöhten Alkoholkonsum). Die Entwicklung eines akuten Nierenversagens scheint die entscheidende Rolle gespielt zu haben: Bereits vorbestehend war eine milde Einschränkung der Nierenfunktion bekannt. Bei schwerer Niereninsuffizienz (eGFR von < 30 ml/min/1,73 m2) ist die Anwendung von Metformin kontraindiziert (1). Es kann spekuliert werden, dass sich im vorliegenden Fall die GFR bereits unter der zeitgleich mit Metformin eingeleiteten Komedikation mit Candesartan verschlechtert hatte. Schließlich wurde zwei Monate vor Aufnahme eine Behandlung mit Dapagliflozin begonnen, die offenbar zu Polyurie und möglicherweise auch zu einer bereits länger bestehender Exsikkose geführt hat. Es ist denkbar, dass sich hierunter das akute Nierenversagen entwickelt hat, welches dann zu einer Kumulation von Metformin mit konsekutiver Laktatazidose geführt hat. Dieser potenzielle Mechanismus der Kombination aus SGLT-2-Inhibitor und Metformin bereitet umso mehr Sorge, da die Kombination aus Metformin und Dapagliflozin zunehmend verwendet wird und auch als fixe Kombination verfügbar ist (4;21).

Fazit für die Praxis

Während das Risiko der Laktatazidose unter Metformin bekannt ist, gibt es bislang keine eindeutigen Hinweise darauf, dass auch Dapagliflozin eine Laktatazidose verursachen kann. Allerdings liegen Berichte über Ketoazidosen im Zusammenhang mit SGLT-2-Inhibitoren vor. Eine Polyurie, vermittelt durch SGLT-2-Inhibitoren, mit nachfolgendem prärenalen Nierenversagen könnte das Auftreten einer Metformin-assoziierten Laktatazidose begünstigen. Bei jeder schweren Erkrankung und/oder wenn die Nahrungs- und Flüssigkeitsaufnahme stark eingeschränkt ist, sollte Metformin in jeglicher Form nicht mehr eingenommen werden. In diesen Fällen sollte auch die Möglichkeit eines prärenalen Nierenversagens durch osmotische Diurese durch einen SGLT-2-Inhibitor beachtet werden. Möglicherweise potenziert die gemeinsame Einnahme von Metformin und SGLT-2-Inhibitoren das Risiko für das Auftreten einer gemischten metabolischen Laktat- und Ketoazidose. Verdachtsfälle von Nebenwirkungen sollten der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft gemeldet werden (http://www.akdae.de/Arzneimittelsicherheit/UAW-Meldung/index.html).

Interessenkonflikte

Ein Interessenkonflikt wird von U. Köberle verneint. A. Daul erhielt persönliche Honorare für Vorträge von Fresenius Kabi, B. Braun und Roche.

Literatur
  1. Merck Serono: Fachinformation "Glucophage 500 mg/ 850 mg/ 1000 mg Filmtabletten". Stand: Januar 2017.
  2. Nationale VersorgungsLeitlinie "Therapie des Typ-2-Diabetes", Langfassung:https://www.leitlinien.de/mdb/downloads/nvl/diabetes-mellitus/dm-therapie-1aufl-vers4-lang.pdf
  3. Astra Zeneca GmbH: Fachinformation "Forxiga® 5 mg Filmtabletten; Forxiga® 10 mg Filmtabletten". Stand: April 2017.
  4. AstraZeneca GmbH: Fachinformation "Xigduo® 5 mg/850 mg Filmtabletten; Xigduo® 5 mg/1000 mg Filmtabletten". Stand: April 2017.
  5. Vecchio S, Giampreti A, Petrolini VM et al.: Metformin accumulation: lactic acidosis and high plasmatic metformin levels in a retrospective case series of 66 patients on chronic therapy. Clin Toxicol (Phila) 2014; 52: 129-135.
  6. Daul K, Kribben A, Daul A: [P012] Bedeutung von Metformin als kausaler Faktor einer Metformin-assoziierten Laktatazidose. Konsequenzen für Diagnostik, Therapie und Prävention. Internist (Berlin) 2016; 57 (Suppl. 1): S12-13.
  7. Cohen RD, Woods HF: Clinical and Biochemical Aspects of Lactic Acidosis. Oxford, London, Edinburgh, Melbourn: Blackwell Scientific Publications, 1976.
  8. Protti A, Fortunato F, Monti M et al.: Metformin overdose, but not lactic acidosis per se, inhibits oxygen consumption in pigs. Crit Care 2012; 16: R75.
  9. Renda F, Mura P, Finco G et al.: Metformin-associated lactic acidosis requiring hospitalization. A national 10 year survey and a systematic literature review. Eur Rev Med Pharmacol Sci 2013; 17 Suppl 1: 45-49.
  10. Salpeter SR, Greyber E, Pasternak GA, Salpeter EE: Risk of fatal and nonfatal lactic acidosis with metformin use in type 2 diabetes mellitus. Cochrane Database Syst Rev 2010; Issue 4: CD002967.
  11. Kajbaf F, Lalau JD: The criteria for metformin-associated lactic acidosis: the quality of reporting in a large pharmacovigilance database. Diabet Med 2013; 30: 345-348.
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  14. AstraZeneca GmbH, Boehringer Ingelheim Pharma GmbH & Co. KG, Lilly Deutschland GmbH, Janssen-Cilag GmbH: Informationsbrief Risiko einer diabetischen Ketoazidose während der Behandlung mit SGLT2-Inhibitoren (Invokana® (Canagliflozin), Vokanamet® (Canagliflozin/Metformin), Forxiga® (Dapagliflozin), Xigduo® (Dapagliflozin/Metformin), Jardiance® (Empagliflozin), Synjardy® (Empagliflozin/Metformin)). Informationsbrief vom 9. Juli 2015.
  15. Candelario N, Wykretowicz J: The DKA that wasn't: a case of euglycemic diabetic ketoacidosis due to empagliflozin. Oxf Med Case Reports 2016; 2016: 144-146.
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  20. Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM): Datenbank Unerwünschte Arzneimittelwirkungen:www.bfarm.de/DE/Arzneimittel/Pharmakovigilanz/RisikenMelden/UawDB/_node.html
  21. Freichel M, Mengel K: Antidiabetika. In: Schwabe U, Paffrath D (Hrsg.). Arzneiverordnungs-Report 2016. Berlin, Heidelberg: Springer-Verlag, 2016; 301-318.